Lehrkräfte Plus Köln: Internationale Lehrkräfte bestärken, ihre mehrsprachigen Potenziale zu nutzen
von Dr. Ina-Maria Maahs & Semra Krieg • Artikel im ZMI Magazin 2024, S. 36
„Ich übernehme die Aufgabe der interkulturellen Vermittlerin gerne, aber es muss auch okay sein,
wenn man sich ‚nur‘ als Fachkraft sieht.“ Tuba Tufan, Absolventin des Programms Lehrkräfte Plus Köln
Während die Klassenzimmer an Schulen in Deutschland oftmals die Diversität der heutigen Migrationsgesellschaft abbilden, da sich die Schüler:innenschaft durch eine sprachliche, kulturelle, religiöse und ethnische Vielfalt auszeichnet, ist dies in den Lehrkräftezimmern deutlich seltener der Fall (vgl. Maahs 2023, i. D.). Bildungsungerechtigkeiten zu Ungunsten von Lernenden mit Migrationshintergrund und primär anderer Familiensprache als Deutsch, wie sie die großen vergleichenden Bildungsstudien wie IGLU und PISA zeigen (vgl. Bos et al. 2017, S. 21-22; Weis et al. 2019, S. 146-154), werden jedoch auch nicht zwangsläufig beseitigt, wenn mehr mehrsprachige Lehrkräfte an Schulen arbeiten, die selbst über Migrationserfahrungen verfügen. Stattdessen bedarf es gezielter Professionalisierungsangebote, um eine diversitätssensible und mehrsprachigkeitsorientierte Unterrichtsgestaltung anzubahnen.
Das einjährige Programm Lehrkräfte Plus Köln bietet international ausgebildeten Lehrkräften die Möglichkeit, sich durch verschiedene Bausteine auf das Schulsystem in Deutschland vorzubereiten. Dazu gehören auch Lerngelegenheiten, die es ermöglichen, die eigene Mehrsprachigkeit als Potenzial zu erkennen (vgl. Bakkar et al. 2023, S. 117-120). Damit stellt Lehrkräfte Plus Köln, wie Britta Bollmann vom Ministerium für Kultur und Wissenschaft des Landes NRW betont, „eines der Leuchtturmprojekte in NRW“ dar. Aus diesem Grund erhält das vor fünf Jahren initiierte Projekt nun auch eine weitere Förderung bis 2027. Wertvolle Impulse für die weitere Arbeit konnte das Projekt durch die diesjährige Abschieds- und Willkommensfeier gewinnen, in deren Rahmen verschiedene Perspektiven aus der Bildungsadministration, Schulpraxis und Hochschule während einer Podiumsdiskussion miteinander ins Gespräch gebracht wurden: Welche Potenziale bietet Lehrkräfte Plus, um das aktuelle Bildungssystem im Bereich sprachlicher Heterogenität und Mehrsprachigkeit zu optimieren?
Tuba Tufan, Absolventin des Programms Lehrkräfte Plus Köln, betont, wie sie durch Einbezug ihrer eigenen Mehrsprachigkeit Lernende unterstützen kann: „Ich habe damit sehr gute Erfahrungen gemacht, wenn ich mit den Schüler:innen in ihrer Muttersprache spreche oder mich mit ihnen über die anderen Sprachen, die sie bereits können, unterhalte. Dadurch habe ich direkt bemerkt, dass sie sich wohler und mehr wertgeschätzt fühlen.“ Insgesamt sieht sie große Möglichkeiten eines positiven Einflusses internationaler Lehrkräfte auf das Gesamtkollegium. Dabei ginge es nicht nur um ein sprachliches Verständnis, sondern auch um die Möglichkeit, kulturelle Vielfalt und Inklusion in der Schule zu stärken. Gleichzeitig stellt sie jedoch klar, dass diese Aufgabe als „interkulturelle Vermittler:in“ selbst gewählt sein sollte. Es müsse ihrer Meinung nach genauso „in Ordnung“ sein, wenn internationale Lehrkräfte sich „nur“ als Fachlehrkräfte identifizieren. Es ist demnach von generalisierenden Rollenzuweisungen abzusehen, die Lehrkräften mit Migrationserfahrung per se eine Funktion als interkulturelle Brückenbauer:innen, Sprachvermittler:innen oder ähnlichem zusprechen (vgl. Ova, Stein & Zimmer 2020, S. 115-116).
Die besonderen Ressourcen dieser Lehrkräfte, wie Lehr- und Lernerfahrungen in unterschiedlichen Bildungssystemen oder eine migrationsbedingte Mehrsprachigkeit, gezielt im Unterricht zu nutzen, kann eine enorme Bereicherung für Lernende wie Lehrende darstellen, indem sie sowohl sprachliche als auch fachliche Lernprozesse erleichtern. Dieser Prozess ist jedoch nicht als Automatismus zu betrachten. Daher sollten Lehrkräfte für diese didaktische Nutzung ihres eigenen gesamtsprachlichen Repertoires sowie des der Schüler:innen angemessen qualifiziert werden. Zum Curriculum des Programms Lehrkräfte Plus Köln gehören daher auch Seminare zu Mehrsprachigkeit und Heterogenität, die in Verknüpfung mit Lehrveranstaltungen im Modul „Deutsch für Schülerinnen und Schüler mit Zuwanderungsgeschichte“ der Universität zu Köln angeboten werden (vgl. Terhart et al. 2023, S. 45-46).
Das ermöglicht einen interkulturellen Austausch über verschiedene Schul- und Unterrichtskonzepte, vor allem aber auch die direkte Umsetzung von didaktischen Ansätzen wie dem des Translanguaging im Seminar selbst, wie die Lehramtsstudentin Silena Müller in der Diskussion betont. Sie wünsche sich mehr solcher Lehrveranstaltung im Studium, um gut auf den didaktischen Umgang mit der sprachlichen Vielfalt an den Schulen in NRW vorbereitet zu sein. Im Kontext solcher hochschuldidaktischen Seminare können demnach nicht nur bei den Teilnehmenden von Lehrkräfte Plus Köln, sondern auch bei den Dozierenden und Regelstudent:innen der Universität zu Köln ganz neue Denkimpulse angeregt werden. Langfristig kann das Programm damit einen positiven Effekt auf eine stärker an den Bedarfen migrationsbedingt mehrsprachiger Lernender ausgerichtete Unterrichtsgestaltung nehmen.
Diese Wirkung potenziert sich durch die kooperative Ausgestaltung des Programms, die v. a. in den Praxisphasen eine enge Zu-
sammenarbeit mit der Bezirksregierung Köln bedeutet, deren Perspektive während der Veranstaltung durch Jürgen Tilk vertreten wurde. Er konstatiert, wie wichtig es sei, dass in diesem Kontext genau geklärt wird, was die Schulen brauchen, um internationale Lehrkräfte gut ins Kollegium aufzunehmen, und dass gleichzeitig identifiziert werden müsse, welche Bedarfe internationale Lehrkräfte haben, um einen erfolgreichen Wiedereinstieg zu meistern. Gelingt Mentor:innen und Teilnehmenden ein reziproker Austausch und gegenseitiger Perspektivwechsel, stellen die Praxisphasen für das Schulkollegium wie die Teilnehmenden den größten Gewinn dar.
Nabil Zeriouh, Vertreter des Ministeriums für Schule und Bildung NRW, hebt hervor, wie bedeutsam es für eine Veränderung im Bildungssystem sei, dass durch Programme wie Lehrkräfte Plus Köln die Diversität im Kollegium erhöht wird. Er fordert die Teilnehmenden daher direkt auf, „ihre Rolle im System als authentische Botschafter:innen für Heterogenität und Mehrsprachigkeit“ nicht zu unterschätzen. Mehrsprachigkeit sei wichtiger Teil des Portfolios, das alle internationalen Lehrkräfte mitbringen. Dieses Portfolio (didaktisch) zu stärken und davon ausgehend eine Wirkung auch in anderen (Bildungs-)Bereichen der Gesellschaft zu entfachen, sei Teil der Aufgabe des Professionalisierungsangebots von Lehrkräfte Plus Köln. Britta Bollmann erkennt hier insbesondere diversitätsbezogene Innovationspotenziale, die an den lehrkräftebildenden Universitäten Strahlkraft entwickeln könnten. Langfristig sieht sie in der Förderung der Lehrkräfte Plus Programme auch einen bedeutsamen Beitrag, um dem Lehrkräftemangel entgegenzuwirken und gleichzeitig eine bessere Repräsentanz der Migrationsgesellschaft in den Lehrkräftezimmern NRWs zu erreichen.
Lehrkräfte Plus Köln bietet somit vielfältige Räume, um mit- und voneinander zu lernen. Es soll international ausgebildete Lehrkräfte anknüpfend an ihre mitgebrachten Qualifizierungen, Erfahrungen und Kompetenzen dabei unterstützen, im hiesigen Bildungssystem für sich eine Position zu finden, in der sie positiv wirksam sein können. Das bedeutet auch, sich in der eigenen Rolle wohlfühlen zu können – ob es die der versierten Mathematiklehrerin, der Lehrkraft für Deutsch als Zweitsprache oder des interkulturellen Beraters ist. Die Wirkung von Lehrkräfte Plus in die Gesellschaft geht aber darüber hinaus und kann auch die beteiligten Dozierenden, Mentor:innen, Schulleitungen und Studierenden für die Potenziale von Mehrsprachigkeit und Diversität an Schule und Hochschule sensibilisieren.
Literatur:
Bakkar, Abdullah; Krieg, Semra; Purrmann, Kristina & Schüssler, Renate (2023): Pädagogisch-interkulturelle Qualifizierung: ein Markenzeichen des Programms Lehrkräfte Plus. In: Netzwerk Lehrkräfte Plus Nordrhein-Westfalen (Hrsg.): Lehrkräfte Plus. Universitäre Qualifizierungsprogramme für internationale Lehrkräfte mit und ohne Fluchterfahrung in NRW. Konzepte – Analysen – Erfahrungen, S. 112-122. https://lehrkraefteplus-nrw.de/wp-content/uploads/Publikation-Lehrkraefte-Plus-NRW_31.03.23_final.pdf
Bos, Wilfried; Valtin, Renate; Hußmann, Anke; Wendt, Heike & Goy, Martin (2017): IGLU 2016: Wichtige Ergebnisse im Überblick. In: Hußmann, Anke; Wendt, Heike; Bos, Wilfried; Bremerich-Vos, Albert; Kasper, Daniel; Lankes, Eva-Maria; McElvany, Nele; Stubbe, Tobias C. & Valtin, Renate (Hrsg.): Lesekompetenzen von Grundschulkindern in Deutschland im internationalen Vergleich. IGLU 2016. Münster/New York: Waxmann, S. 13-28. https://www.waxmann.com/?eID=texte&pdf=3700Volltext.pdf&typ=zusatztext
Maahs, Ina-Maria (2023): Perspektiven migrationsbedingt mehrsprachiger Lehramtsstudierender auf Ansätze der Mehrsprachigkeitsorientierung in ihrer eigenen Schulzeit, im Studium und im eigenen Unterricht. Zeitschrift für Interkulturellen Fremdsprachenunterricht 28: 2, S. 245-266.https://doi.org/10.48694/zif.3544
Terhart, Henrike; Krieg, Semra; Elshof, Ariane & Lee, Arman (2023): Lehrkräfte Plus an der Universität zu Köln. In: Netzwerk Lehrkräfte Plus Nordrhein-Westfalen (Hrsg.): Lehrkräfte Plus. Universitäre Qualifizierungsprogramme für internationale Lehrkräfte mit und ohne Fluchterfahrung in NRW. Konzepte – Analysen – Erfahrungen, S. 44-55. https://lehrkraefteplus-nrw.de/wp-content/uploads/Publikation-Lehrkraefte-Plus-NRW_31.03.23_final.pdf
Ova, Aylin; Stein, Margit & Zimmer, Veronika (2020): Werteorientierungen von Lehrkräften mit und ohne Migrationshintergrund im Vergleich. PFLB – Zeitschrift für Schul- und Professionsentwicklung 2: 1, 110–125. https://www.pflb-journal.de/index.php/pflb/article/view/3947/3922
Weis, Mirjam; Müller, Katharina; Mang, Julia; Heine, Jörg-Henrik; Mahler, Nicole & Reiss, Kristina (2019): Soziale Herkunft, Zuwanderungshintergrund und Lesekompetenz. In: Reiss, Kristina; Weis, Mirjam; Klieme, Eckhard & Köller, Olaf (Hrsg.): PISA 2018. Grundbildung im internationalen Vergleich. Münster, New York: Waxmann, S. 129-162. https://www.pedocs.de/volltexte/2020/18315/pdf/Reiss_et_al_2019_PISA_2018_Grundbildung.pdf