Interview mit LMR’in Dr. Tanja Reinlein – Ministerium für Schule und Bildung NRW

Interview mit LMR’in Dr. Tanja Reinlein – Ministerium für Schule und Bildung NRW

Das Gespräch führte die Geschäftsführung des ZMI

ZMI: Sehr geehrte Frau Dr. Reinlein, Sie sind Leiterin der Abteilung 3, Berufliche Bildung, Lehren und Lernen in der Digitalen Welt, Prävention und Integration, Internationales des MSB. Aus Ihrer Abteilung ist Herr Boukllouâ, Referatsleiter 323 Integration durch Bildung, im Beirat des ZMI vertreten. Die Themen Herkunftssprachlicher Unterricht und Mehrsprachigkeit sind für das ZMI von besonderem Interesse. Worin sehen Sie die spezifische Bedeutung dieser Themen innerhalb Ihrer Abteilung?
Dr. Reinlein: Die Bedeutung dieser Themen liegt für mich in der Relevanz für den einzelnen Schüler bzw. die einzelne Schülerin. Leider ist uns in den letzten Schulleistungsstudien noch einmal bescheinigt worden, dass wir noch zu viele Schülerinnen und Schüler aus unseren Schulen entlassen, die nicht über die notwendigen Basiskompetenzen verfügen. Diese sind aber wichtig, damit Schülerinnen und Schüler selbstbestimmt leben und ihr Leben mündig gestalten können. Und genau hier liegt für mich auch die Bedeutung der Bereiche Herkunftssprachlicher Unterricht und Mehrsprachigkeit. Die Wissenschaft hat ja nachvollziehbar herausgearbeitet, dass das vertiefte Erlernen auch der Herkunftssprache, also das Durchdringen der sprachlichen Strukturen auf bildungssprachlichem Niveau, dazu beitragen kann, die Zielsprache Deutsch besser zu erlernen. Nur wer über ausreichende bildungssprachliche Kompetenzen verfügt, kann die Lerninhalte im Unterricht erfassen, sich an Diskussionen beteiligen und auch im sozialen Miteinander, in der Schulgemeinschaft und später im Berufsleben erfolgreich sein.
Daher ist es wichtig, in einer Gesellschaft wie der unseren, die sprachliche und kulturelle Vielfalt als Ressource zu verstehen und zu nutzen. Unser Ziel ist es, dass Schülerinnen und Schüler durch den Herkunftssprachlichen Unterricht ihre Identität stärken und gleichzeitig ihre Chancen im Bildungssystem verbessern.

ZMI:
Inwiefern sehen Sie Möglichkeiten, Herkunftssprachlichen Unterricht und mehrsprachigkeitsorientierten Unterricht landesweit an allen Schulen nachhaltig zu verankern?

Dr. Reinlein: Bildungssprachliche Kompetenzen sind in allen Sprachen der Schlüssel dafür, komplexe Lerninhalte erfassen und sich präzise ausdrücken zu können.
Der Herkunftssprachliche Unterricht (HSU) ist in Nordrhein-Westfalen bereits seit Jahrzehnten fest etabliert und ein wesentlicher Bestandteil der integrationspolitischen Infrastruktur des Landes. Das Land Nordrhein-Westfalen verfügt über ein sehr gut eta-bliertes und stark nachgefragtes HSU-Angebot in mehr als 30 Sprachen. Dafür stellt das MSB rund 1.000 Stellen zur Verfügung. Aktuell nehmen mehr als 106.000 Schülerinnen und Schüler in über 7.300 Lerngruppen am HSU teil. Ich denke, dies unterstreicht die Bedeutung, aber auch das Engagement des Landes an dieser Stelle.

ZMI:
Sie beschäftigen sich auch intensiv mit dem Thema „Lehren und Lernen in der digitalen Welt“ und haben im

Podcast des MSB über das Potenzial von KI-Tools wie ChatGPT gesprochen. Welches Potenzial sehen Sie in solchen Tools für das mehrsprachige Lehren und Lernen?
Dr. Reinlein: KI-Tools wie ChatGPT bieten enormes Potenzial, auch im Bereich des mehrsprachigen Lernens. Sie können auf die individuellen Bedürfnisse der Schülerinnen und Schüler eingehen, indem sie in Echtzeit Unterstützung in mehreren Sprachen bieten und personalisiertes Feedback geben. Ein Chatbot kann zum Beispiel als interaktiver Sprachpartner dienen, der den Schülerinnen und Schülern hilft, ihre Sprachkenntnisse zu verbessern, während sie gleichzeitig digitale Kompetenzen entwickeln. Durch den Einsatz solcher Technologien werden die Reflexionsfähigkeit sowie das kritische Denken gefördert. Gleichzeitig können digitale Tools genutzt werden, um Basiskompetenzen wie Lesen, Schreiben und Rechnen zu fördern. Projekte wie der digitale Leseraum „LeOn“ zeigen, wie digitale Angebote Sprachkompetenzen und Basisfähigkeiten unterstützen können.

ZMI:
Das ZMI arbeitet seit 2008 erfolgreich daran, mehrsprachige Bildung als Bestandteil unserer postmigrantischen Gesellschaft zu stärken. Sehen Sie eine Möglichkeit, das ZMI-Modell auf andere Universitätsstädte zu übertragen?

Dr. Reinlein: Grundsätzlich ist es immer sinnvoll, auf bewährte Konzepte zurückzugreifen und wirksame Instrumente zu nutzen. Entscheidend ist, dass das Konzept an weiteren potentiellen Standorten so weiterentwickelt und gestaltet wird, dass die dortigen Bedarfslagen leitend sind. Aber natürlich hilft es, dass man mit dem ZMI bereits über ein Muster einer erfolgreichen Kooperationsstruktur verfügt.

ZMI: Vielen Dank für das Gespräch, Frau Dr. Reinlein.