Integration durch ästhetische Bildung
Eine Nachlese zu Projektpräsentationen im Nachgang des Weltflüchtlingstag 2023
von Carmen Cardaci & Detlef Sarrazin • Artikel im ZMI Magazin 2024, S. 27
Zum Ende des Jahres 2017 entstand aus Überlegungen der Fachberater:innen Integration durch Bildung bei der Bezirksregierung Köln das konkrete Vorhaben, neue, im Verständnis erweiterte Wege der Integration zu gehen. Mit Unterstützung des damaligen Leiters der Arbeitsstelle Migration, Leitender Regierungsschuldirektor Manfred Höhne wurde die Projektinitiative „Integration durch ästhetische Bildung“ auf den Weg gebracht. Zum Weltflüchtlingstag 2019 gab es erste Aufführungen aus verschiedenen Projekten an der LVR-Johann-Joseph-Gronewald-Schule in Köln; 2020 bis 2022 verhinderte Corona größere Aufführungen. Daher war es umso erfreulicher, 2023 wieder eine Gelegenheit zu haben, verschiedene Initiativen zu einer gemeinsamen Projektpräsentation am Berufskolleg Ehrenfeld in Köln zusammenbringen zu können.
Neben den ursprünglich fünf Pilotschulen konnten Herr LRSD Jürgen Tilk als Generalist Integration bei der Bezirksregierung Köln sowie die stellvertretende Schulleiterin des Berufskollegs Ehrenfeld, Frau StD’in Ute Goeke, für das Jahr 2023 Teilnehmende aus sieben Schulen ankündigen, die ihre Initiativen und Projekte vorstellen:
- das Berufskolleg Ehrenfeld mit einer Liveperformance zu einem Filmprojekt mit dem Namen „only human“
- das Geschwister-Scholl-Berufskolleg aus Leverkusen mit einer Filmvorstellung zu einem Trommelprojekt sowie mit kurzen
- Ausschnitten zu einem Theaterprojekt
- die LVR-Anna-Freud-Schule aus Köln mit einer kurzen Choreographie
- die Gesamtschule Waldbröhl mit einer mulitilingualen Märchen-Aufführung
- die Gesamtschule Hennef-West mit der Aufführung von Szenen aus dem Stück „Lucys Film“ nach Volker Zill
- das Gymnasium Eschweiler mit von Schüler:innen selbst verfasster bilingualer Lyrik
- das Genoveva Gymnasium Köln mit einem Film zum Liz-Mohn-Projekt
Das BK Richard-Riemerschmidt, Köln und die LVR-Johann-Joseph-Gronewand-Schule konnten aus schulorganisatorischen Gründen leider nicht teilnehmen.
Allen Projekten gemeinsam war die Grundidee der Projektinitiative: Durch die Fokussierung auf andere Talente, Fähigkeiten und Fertigkeiten sollen Kommunikation und Integration initiiert und wertschätzend wirksam werden. Unsere schulische Sprachförderung ist oftmals selbst in Initiativen des sprachsensiblen Unterrichts und der Sprachförderung zentriert auf Bildungssprache. So bleibt damit trotz aller unterstützend motivierender Arbeiten für die neu hier ankommenden Menschen immer ein Moment der „Defizität“ präsent. In den Projekten sollen die jungen Menschen – ganz bewusst losgelöst davon – mit den bei ihnen vorhandenen Talenten wertschätzend eingebunden werden. Eine Musik oder ein Gesang in ihrer Sprache, ein Rhythmus oder Tanz, der Sprache nicht braucht, eine Pantomime oder eine Darstellung, die mehr sagt als Worte – all dies kann auf alle doch integrierend wirken. Die Teilnehmenden sind zusätzlich motiviert dabei, weil sie sich in ihrem Tun wertgeschätzt fühlen können. Es werden Ebenen der Kommunikation genutzt, die noch tiefer gehen und wirken als Sprache. So entsteht ein nachhaltigeres wertschätzendes Miteinander in den
einzelnen Gruppen und auch unter allen Beteiligten, denen die Initiativen präsentiert werden, getreu dem lyrischen Leitgedanken des Gymnasiums Eschweiler aus der letzten Veranstaltung:
„Wann, wenn nicht jetzt; wer, wenn nicht wir; (wie, wenn ohne Liebe; wo, wenn nicht hier)“.
Den Anfang des Tages machte die Gesamtschule Hennef mit Szenen aus „Lucys Film“, einer heiteren Komödie zu einem „Mädelswochenende“, in dem sich Realität und Fiktion mit teils erschreckenden Momenten vermischen. Die Schule hatte das Stück bereits im Juni 2023 im Bonner Pantheon aufgeführt und präsentierte es hier mit 7 von ursprünglich 10 Akteur:innen. Besonders bemerkenswert ist die Mitarbeit einer Schülerin aus Armenien, die erst vor wenigen Jahren ohne Deutschkenntnisse an die Schule gekommen war, nun in einem Deutsch-Leistungskurs zu den besten gehört und mit diesen Erfahrungen vielleicht auch Schauspielerin werden möchte.
Es folgte das Genoveva Gymnasium mit einem Film zum Liz-Mohn-Projekt „Gemeinsam in Vielfalt“. In einer gemeinsamen Initiative des Musiklehrers der Offenen Jazz Haus Schule Köln, Martin Morgenstern, und den beiden 9-er Profilkursen mit Ole Driever, verantwortlich für Tanz, und Ariane Opitz, verantwortlich für die Gestaltung, wurde die musikalische Übersetzung der menschlichen Werte Geduld, Toleranz, Optimismus, Hilfsbereitschaft, Humor, Ehrlichkeit, Mut und Respekt in Tanz und Skulpturen umgesetzt. An diesem Gesamtprojekt waren in der Schule verschiedene Jahrgänge, einzelne Schüler:innen sowie ganze Klassen bzw. musische Profilkurse der Schule beteiligt. Insgesamt mehr als 100 Schüler:innen dieses multikulturellen Gymnasiums musizieren, komponieren, tanzen, modellieren, bauen, entwerfen, erfinden und lassen ihrer Kreativität freien Lauf, um künstlerisch die Werte auszudrücken, die dieses Gymnasium mit seinen vielen Kulturen und Religionen ausmacht.
Hiernach präsentierte die Gesamtschule Waldbröl eine multilinguale Märchen-Aufführung zu Rotkäppchen, in der die Lernenden kulturelle Vielfalt zelebrieren. Die Sprachen, die in der Vorstellung vertreten waren, umfassten Deutsch, Russisch, Ukrainisch, Französisch, Rumänisch und Englisch. Die Schüler:innen zeigten eindrucksvoll, dass kulturelle und sprachliche Unterschiede überwunden werden können, indem man auf künstlerische Darstellungsmöglichkeiten zurückgreift. Sie nutzten nämlich nicht nur die jeweilige Sprache, um die Handlung zu erzählen, sondern setzten auch Körpersprache, Mimik, Gestik und verschiedene theatralische Elemente ein, um die Emotionen und die Handlung der Charaktere zu vermitteln. Diese Herangehensweise verdeutlichte auf besondere Weise, dass Sprache zwar von Bedeutung ist, jedoch auch nonverbale Kommunikation und der Bezug zum geteilten Weltwissen eine ebenso wichtige Rolle bei der Verständigung spielen können.
Im Anschluss bot das Berufskolleg Ehrenfeld eine Liveperformance zum Filmprojekt „only human“. In dem integrativen Musikprojekt von music4everybody e. V. (m4e) geht es um Menschen mit Flucht- und Migrationsgeschichte und inländische Jugendliche, die durch Kunst zusammengebracht werden. Ein Dokumentarfilm dazu beschreibt die Geschichte junger Menschen, die nach Deutschland kommen und die durch Gesang, Tanz und Schauspielerei in einem gemeinsamen Lernprozess zueinander finden. Im weiteren Verlauf erzählen die Jugendlichen von ihren Diskriminierungserfahrungen in Deutschland. Der Film ist Teil eines integrativen Medienprojekts einer Kampagne für Vielfalt und Toleranz und wurde bereits durch 25 internationale Filmfestivals ausgezeichnet. Der Kurzfilm war Ausgangspunkt für mehrere Projekte. Schüler:innen unterschiedlicher Bildungsgänge schauten gemeinsam den Film und studierten mit Dozent:innen von m4e eine Woche lang eine Liveperformance (Tanz und Gesang) ein. Die Ergebnisse dieser Projektwoche wurden in Ausschnitten aus dem Dokumentarfilm und in einer Liveperformance der Schüler:innen eindrucksvoll präsentiert. Schüler:innen, die weiterhin freiwillig an der Kampagne teilnehmen wollen, proben einen Tag in der Woche am BKE und führen ihre Ergebnisse auf unterschiedlichen Bühnen, u. a. in der Philharmonie, auf.
Hierauf folgend brachten für das Gymnasium Eschweiler zwei Schülerinnen selbst verfasste bilinguale Lyrik auf die Bühne. Lyrische Texte nicht nur zu verfassen, sondern diese dann auch noch vorzutragen, stellt eine besondere Herausforderung dar, die auf mehreren Ebenen Mut erfordert. Geübt hatten die Schüler:innen bereits beim eigenen Schulfest „Vielfalt (er-)leben“ im vergangenen Jahr und die Mühen waren belohnt worden. Die Gedichte der Schüler:innen wurden beim Deutschen Lyrikpreis 2022 mit dem ersten und zweiten Platz ausgezeichnet. Auch das am BK Ehrenfeld anwesende Publikum zollte den Ergebnissen mit Applaus entsprechend Respekt und die Lehrkräfte formulierten stolz: „Wir lassen uns immer wieder überraschen von den schlummernden Talenten in unserer Schülerschaft.“
Die LVR-Anna-Freud-Schule brachte eine kurze Choreographie zum Arbeitstitel „Begegnung“ auf die Bühne. Entstanden aus einer Improvisation wurde eine kleine Bewegungsfolge gezeigt, die Emotionen, Bilder und Erinnerungen in Bezug zu „Begegnung“ im Kontext eigener Geschichten und Erfahrungen darstellt. Die unterschiedlichen Empfindungen zum Thema „Begegnung“ sowie verschiedene Fragen regten wirksam zum Nachdenken an: „Möchte ich nicht gesehen werden?“, „Wie mache ich auf mich aufmerksam?“, „Fühle ich mich wohl?“, „Bin ich allein?“, „Nehme ich Kontakt auf?, „Ist die Begegnung eine Momentaufnahme, ein Blickkontakt oder nachhaltig?“
Den Abschluss des Programms bildeten Film-Präsentationen aus verschiedenen Projekten des Geschwister-Scholl-Berufskollegs aus Leverkusen. Die Schulleiterin, Frau OStD’in Dr. Ohlms, übernahm die Moderation einiger Filmausschnitte und sprang damit für wegen Erkrankung kurzfristig ausgefallene Akteur:innen ein.
Die Rückmeldungen aus vielen Projekten selbst und die Reaktionen des Publikums machten deutlich, dass die jeweiligen Projekte das Selbstbewusstsein der teilnehmenden Schüler:innen stärken und die Akzeptanz von Vielfalt innerhalb der Schule und auch darüber hinaus fördern konnte. Solche Projekte tragen dazu bei, Vorurteile abzubauen und die Vielfalt als Stärke der Gemeinschaft zu erkennen.
Ein besonderer Dank gilt in diesem Jahr dem Berufskolleg Ehrenfeld, das nicht nur den Raum zur Verfügung stellte. Aufgrund der Kooperation im Rahmen des Projektes „only human“ mit music4everybody e. V. war es diesmal möglich, ein technisches Equipment der Spitzenklasse zu nutzen. Ton- und bildtechnische Unterstützung durch music4everybody e. V. trugen wesentlich dazu bei, dass alle Präsentationen besonders wirken konnten – vielen Dank dafür.
Das Resümee aller Beteiligten: eine bewegende Veranstaltung, die zeigt, welche integrative Kraft auch und besonders in Momenten ästhetischer Bildung steckt, „only human“ – Mensch und menschlich zu sein mit allen Talenten und dies zu zeigen und zu leben. Damit verbunden ist der Wunsch und die Aufforderung, diesen Weg weiter zu gehen mit all dem, was aus den Werten, die das Genoveva Gymnasium musikalisch dargeboten hat, abzuleiten ist: Den Mut zu haben, sich auf einen Weg zu begeben, der sicher an mancher Stelle Geduld und gegenseitige Hilfsbereitschaft erfordert; in Ehrlichkeit und Echtheit einander zu begegnen; Humor als Brücke, gegenseitiger Respekt als Basis und dabei immer den Optimismus zu behalten. So haben an diesem Tag alle nachdrücklich wirkende Darbietungen auf die Bühne gebracht, die Motivation und Inspiration für persönliche und gesellschaftliche Initiative sein können, um das Miteinander als Menschen menschlich(er) zu gestalten.
„For there is always light, if only we‘re brave enough to see it, if only we‘re brave enough to be it.“
(Amanda Gorman)
Mit dieser immanenten Handlungsaufforderung weisen wir Sie jetzt schon auf den Termin für die nächsten Präsentationen hin: am 20. Juni 2024 im Richard-Riemerschmid-BK in Köln.