„Du bist dran! – Space4Kids im Rautenstrauch-Joest-Museum“: Partizipation, Inklusion und Spaß für Kinder im ethnologischen Museum

„Du bist dran! – Space4Kids im Rautenstrauch-Joest-Museum“:
Partizipation, Inklusion und Spaß für Kinder im ethnologischen Museum

von Dr. Fabiola Arellano Cruz • Artikel im ZMI Magazin 2024, S. 17

Die Art und Weise, wie wir Kultur präsentieren und vermitteln, hat Auswirkungen – auch politische – und kann ermächtigend oder auch hemmend sein. Im Rautenstrauch-Joest-Museum ist es daher wichtig, Besucher:innen nicht einfach ein kulturelles Angebot zu präsentieren, sondern Prozesse zu schaffen, an denen sie teilnehmen und als Mitgestalter:innen von Wissen agieren können, um neue Perspektiven in die bisher dominierenden Erzählungen zu integrieren. Und dies beginnt… mit den Kindern.

Im Sommer 2023 luden wir Kinder der OGS des Integrationshauses „InHaus Kids“ und der OGS Westerwaldstraße ein, an zwei jeweils zweitägigen Workshops im Rautenstrauch-Joest-Museum (RJM) teilzunehmen. Diese Kinder, in Bezug auf ihr Alter und ihre Herkunft vielfältig, teilen dennoch eine gemeinsame Eigenschaft: Sie sind international und sprechen mindestens zwei Sprachen.
Nach einer kurzen Willkommens- und Vorstellungsrunde führten wir die Kinder im ersten Teil des Workshops „Hinter die Kulissen“ des Museums. Mit dem großen Lastenaufzug fuhren wir zuerst nach oben in den Technik- und Maschinenraum. Hier erfuhren die Kinder, wie so ein großes Gebäude geheizt und gekühlt wird und lernten etwas über die Bedeutung angepasster Raumtemperaturen und Beleuchtung für die Objekte der Dauerausstellung. Dort konnten sie auch aus der Nähe sehen, wo und wie Vitrinen, Sockel und Podeste für die Präsentation der Objekte hergestellt werden. Danach ging es mit dem Lift nach unten in das Depot. Dort beherbergt das RJM eine Sammlung von über 60.000 Objekten aus der ganzen Welt. Diese Sammlung ist nicht öffentlich zugänglich und damit umso spannender für die Kinder. Zum Abschluss gingen wir in die Dauerausstellung. Nun konnten die Kinder besser verstehen, wie so ein Ausstellungsraum gestaltet wird, was man dafür benötigt und welche Dinge leider nicht gestattet sind.
Im zweiten Teil des Workshops stellten wir eine geplante Spielausstellung im RJM vor und befragten die Kinder zu den Themen Raumgestaltung, Inklusion und Spielregeln. Nachdem sie Ideen zu diesen Themen gesammelt hatten, begannen die Kinder, ihre Ideen mit unterschiedlichen Materialien als Baumodelle umzusetzen.
Diese Workshops, die in Kooperation mit InHaus e. V. entstanden sind, hatten zum einen das Ziel, den Kindern zu zeigen, wie ein ethnologisches Museum funktioniert und was seine Aufgabenbereiche sind. Zum anderen wollten wir von den Kindern erfahren, was für sie ein Museum der Kulturen der Welt beinhalten sollte, um ein schöner und interessanter Ort für sie zu sein. Das RJM möchte sich zu einem inklusiveren und familienfreundlichen Ort wandeln, in dem Kinder sich willkommen und in ihrer Vielfalt repräsentiert fühlen – ein sogenannter Third Space*, welcher eine Plattform für einen Austausch über kulturelle Grenzen hinweg bietet und ein Gefühl der Zugehörigkeit und Zusammengehörigkeit fördert. Die Workshops waren die Einleitung für ein Partizipationsprojekt, das am Weltkindertag am 20. September 2023 gestartet ist.

Partizipationsprojekt „DU BIST DRAN! – Space4Kids im RJM“
„DU BIST DRAN! – Space4Kids“ ist ein ergebnisoffenes und partizipatives Projekt im RJM, bei dem die Teilhabe von Kindern im Alter von 6 bis 12 Jahren am Ort „Museum“ gemeinsam mit Kindern ausgearbeitet wird.
Das Projekt ist in zwei Phasen unterteilt. Im ersten Teil verwandelt sich der große Sonderausstellungsbereich des RJM in einen Experimentierraum, in dem Kinder mit spielerischen Workshops und Mitmachformaten das Museum erforschen und mitgestalten können. Im zweiten Teil transformiert sich der Raum in einen Spielparcours mit Kunstwerken zum Thema Spiele der Welt. Zum Einsatz kommen hierbei Spiele aus der Sammlung des RJM und interaktive Elemente. In diesem Rahmen entsteht gemeinsam mit den Besucher:innen außerdem ein Archiv an Erinnerungen an die prägendsten Spielmomente und an Lieblingsspiele aus der Kindheit.
Das Thema Spielen wurde gewählt, da es ein Thema ist, das uns alle verbindet. Spielen ist Teil jeder Kultur und gehört von Geburt an zu jedem Menschen, unabhängig von Sprache, Alter oder sozialem Status. Wir verstehen Spielen allerdings nicht nur als Thema, sondern auch als Möglichkeit der Interaktion und Wissensvermittlung. Über spielerische Methoden können die Geschichten im ethnologischen Museum neu erzählt und Barrieren gegenüber dem Museum abgebaut werden.

Methodik: Neues Wissen produzieren und mitgestalten
Schon der Name des Projekts postuliert unsere Absicht in einem Wortspiel: „Du bist dran!“. Damit wollen wir nicht nur betonen, dass es sich um eine interaktive Ausstellung handelt, sondern auch auf die Methodik hinweisen. Für die Konzeption der oben genannten Workshops haben wir uns methodisch von der Partizipativen Aktionsforschung und der Methode Planning for Real inspirieren lassen.
Bei der Partizipativen Aktionsforschung handelt es sich nicht nur um eine Methode, sondern auch um ein Forschungsparadigma, bei dem es darum geht, die Teilnehmer:innen in die Forschung einzubeziehen und die inhärente Machtdynamik traditioneller Ansätze radikal zu verändern. Dieses partizipatorische Engagement erkennt an, dass alle Menschen, unabhängig von Alter, Geschlecht, Herkunft, Fähigkeiten oder Bildungsstand, Wissensproduzent:innen und soziale Akteur:innen sind, die den sozialen Wandel vorantreiben (Vgl. Brydon-Miller, 2008). Die Methode Planning for Real ist ein innovativer und partizipativer Ansatz, um Kinder aktiv in den Projektplanungsprozess einzubeziehen. Kinder werden als Expert:innen ihrer eigenen Lebenswelt betrachtet und in die Entscheidungsfindung einbezogen.
Um eine Ausstellung zum Thema Spielen zu kreieren – ein Thema, das mit Kindern, ihren Bedürfnissen und Interessen verbunden ist – müssen wir ihre Ideen berücksichtigen, ganz nach dem Motto: „Nichts über uns ohne uns!“. Dabei helfen spielerische Methoden, komplexe Themen auf verständliche und unterhaltsame Weise zu begreifen. Die Kinder können dadurch auch dabei unterstützt werden, eine tiefere Verbindung zu unterschiedlichen Kulturen aufzubauen und gleichzeitig ihr Verständnis für kulturelle Unterschiede (weiter) entwickeln.

Museumspädagogik: Neue Bedürfnisse in der postmigrantischen Gesellschaft
Die britische Museologin Eilean Hooper-Greenhill (2000) identifiziert zwei pädagogische Ausrichtungen in Museen: „Pädagogik als Übertragung“ und „Kommunikation als Kultur“. Im ersten Ansatz werden Museumsbesucher:innen als Empfänger:innen von Wissen und Anweisungen betrachtet, wobei Wissen als faktisch, objektiv, singulär und wertfrei angesehen wird. Dieses normative Modell ist heute nicht mehr zeitgemäß, da es nicht zur (selbst-)kritischen Reflexion über bestehende Institutionen, Machtverhältnisse oder spezifische historische Umstände anregt (vgl. ebd.: 132f). Der zweite Ansatz, den Hooper-Greenhill „Kommunikation als Kultur“ (ebd. 2000: 138f) nennt, begreift die Museumsbesucher:innen als differenzierte Gruppen, deren Lebensrealitäten durch Klasse, Geschlecht, Herkunft sowie durch Alter geprägt werden, und die aktiv an Interpretationsprozessen beteiligt sind.
Postkoloniale und postmigrantische Gesellschaften bringen neue Bedürfnisse hervor, sodass neue Formen der Museumspädagogik und der musealen Praktiken, gerade in ethnologischen Museen, erforderlich sind. Als ein Museum der Kulturen der Welt, das ein koloniales Erbe in sich trägt und historische Objekte aus aller Welt bewahrt, liegt es in unserer Verantwortung, diversen Erinnerungen und Erzählungen in unser dekolonialen musealen Praxis sowohl inhaltlich als auch programmatisch einen Raum zu geben. Denn ein postmigrantisches Deutschland braucht nicht nur neue Visionen für die Zukunft, sondern auch neue Erzählungen über die Vergangenheit (vgl. El-Tayeb 2016).

*Third Space oder Dritter Ort
Der Dritte Ort, ein Konzept aus der Sozialwissenschaft und der Kulturtheorie, bezieht sich auf einen Raum oder ein soziales Umfeld, das jenseits der traditionellen Trennung von privat und öffentlich oder häuslich und institutionell liegt. Er ermöglicht informelle, gemeinschaftliche und oft gleichberechtigte Interaktionen. In solchen Räumen kommen Menschen mit unterschiedlichem Hintergrund zusammen und es können neue Formen von Identität und Kultur geschaffen werden.

Literatur:

Brydon-Miller, M. (2008). Ethics and action research: Deepening our commitment to principles of social justice and redefining systems of democratic practice. In Reason P., Bradbury H. (Eds.), The SAGE handbook of action research: Participative inquiry and practice (pp. 199–210). Thousand Oaks, CA: Sage.
El-Tayeb, F. (2016). Undeutsch. Die Konstruktion des Anderen in der postmigrantischen Gesellschaft. Bielefeld: transcript Verlag.
Hooper-Greenhill, E. (2000). Museums and the Interpretation of Visual Culture. London: Routledge.