Interview mit Sabine Stahl: Das LaSI – Rucksack Projekt

Interview mit Sabine Stahl: Das LaSI – Rucksack Projekt

Das Gespräch führten Rosella Benati und Petr Frantik. • Artikel im ZMI Magazin 2023, S. 17

Frau Stahl, Sie sind seit Mai 2021 in der Landesstelle Schulische Integration als Hauptdezernentin tätig. Ziel der Landesstelle ist es, das Handlungsfeld Integration durch schulische Bildung landesweit zu stärken. Wo sehen Sie diesbezüglich konkrete Gestaltungsmöglichkeiten Ihrer Institution?
Sabine Stahl: Es ist für uns als LaSi sehr wichtig, dieses konkrete Ziel zu verfolgen: Die Stärkung der Integration durch Bildung. Bezogen auf die Frage nach den Gestaltungsmöglichkeiten lohnt es sich, genauer auf die Begriffe zu schauen, mit denen wir uns beschäftigen – Integration und Bildung. Im Teilhabe- und Integrationsgesetz Nordrhein-Westfalen wird Integration beschrieben als dynamischer, langanhaltender und gegenseitiger Prozess des Entgegenkommens und Zusammenwirkens aller Menschen in Nordrhein-Westfalen. Dies geschieht in einem Dreischritt: ankommen, teilhaben, gestalten. Bildung wird beschrieben als ein umfassender Prozess des Erwerbs von Wissen und Fähigkeiten, aber natürlich auch als ein Prozess im Blick auf die Persönlichkeit der Kinder, Jugendlichen und Erwachsenen. Bildung findet dabei nicht nur in der Schule statt, sondern auch an vielen anderen Orten und in verschiedenen Institutionen. Unsere Gestaltungsmöglichkeiten richten sich vor diesem Hintergrund auf vier Schwerpunkte: Als erstes haben wir den klaren Auftrag, Personen miteinander zu vernetzen, für Austausch zu sorgen und in diesem Kontext auch zu beraten. Dadurch, dass wir Personen mit unterschiedlichen professionellen Zugängen zum Thema Integration durch Bildung zusammenbringen, entsteht vernetztes Wissen hier in der LaSI. Wir fungieren dabei als eine Art Schaltstelle: Anfragen, die von Eltern oder Lehrkräften, von Schulleitungen oder auch aus Kommunen kommen, können wir nutzen, um sie an die betreffenden Personen im Schulsystem weiterzuleiten und in unsere Arbeitsbereiche einfließen zu lassen. Gleichzeitig haben wir auch eigenes Beratungswissen und eine eigene Beratungskompetenz, zum Beispiel zu dem Arbeitsschwerpunkt Mehrsprachigkeit, was ja das zentrale Thema Ihrer Einrichtung, dem Zentrum für Mehrsprachigkeit und Integration, ist. Die zweite Gestaltungsmöglichkeit liegt darin, Projekte und Maßnahmen, wie beispielsweise „Rucksack“ oder „FIT in Deutsch“, weiter zu fördern. Solche Programme bieten den beteiligten Schulen zum einen ein konkretes Handwerkszeug, um Integration durch Bildung zu gestalten. Zum anderen können Schulen die inhaltlichen Grundüberzeugungen der Programme nutzen, um ihr schulinternes Integrationskonzept zu gestalten und weiterzuentwickeln. An der Stelle sind unsere Kolleg*innen in der LaSI damit beschäftigt, Materialien zu erstellen, für eine nachhaltige Begleitung im Bereich der durchgängigen Sprachbildung zu sorgen, beteiligte Personen zu qualifizieren, Bildungsangebote zu ermöglichen und im Blick auf interkulturelle Schulentwicklung zu beraten. Dabei treten wir aktiv für den Einbezug von Mehrsprachigkeit in Lehr- und Lernprozessen ein. Die dritte Gestaltungsmöglichkeit liegt in der Zusammenarbeit mit den Lehrer*innen in den Kommunalen Integrationszentren. Wir sprechen da von einer Gruppe von ungefähr 250 Personen in NRW, die in 54 Kommunalen Integrationszentren tätig sind. Diese Personen leisten einen wichtigen Beitrag, um in den kommunalen Zusammenhängen die Perspektive von internationalen Schüler*innen zur Sprache und zur Geltung zu bringen. Sie beraten Schulen in ihrer interkulturellen Entwicklungsarbeit und begleiten und beraten Schüler*innen mit internationaler Familiengeschichte im Laufe ihrer Bildungsbiografie. Wir haben den Auftrag, diese Personen immer wieder zusammenzuführen, für einen Austausch zu sorgen und aktuelle Impulse und Themen aufzubereiten. Der vierte und sehr aktuelle Bereich ist die Begleitung und Unterstützung der schulischen Integration von Kindern und Jugendlichen aus der Ukraine. Dazu gehört insbesondere die Beratung von ukrainischen Lehrkräften, wenn sie an Schulen in NRW tätig sein möchten. Alle Handlungsschwerpunkte bieten uns als LaSI die Möglichkeit, unseren Beitrag dazu zu leisten, auf die Entkoppelung von Bildungserfolg und Herkunft hinzuarbeiten.

Sie haben ja bereits die Mehrsprachigkeit in der Darstellung der Schwerpunktthemen der LaSI als Potenzial genannt. Welche Konzepte und Aktivitäten zur Stärkung der Mehrsprachigkeit werden von der Landesstelle Schulische Integration entwickelt bzw. gefördert?
Sabine Stahl: Uns als LaSI beschäftigt die gleiche Überzeugung, die auch Ihnen im ZMI wichtig ist, nämlich dass die natürliche Mehrsprachigkeit von Kindern und Jugendlichen eine wichtige Ressource für das Zusammenleben darstellt, die auch im schulischen Alltag und im schulischen Lernen eine wichtige Rolle einnehmen sollte. Wir übernehmen konkret Aufgabenbereiche im Programm „Rucksack Schule“ und auch in der Arbeit der BiSS-Akademie NRW hat das Thema Mehrsprachigkeit eine hohe Relevanz. Im Programm „Grundschulbildung stärken durch HSU – Mehrsprachigkeit unterstützt den Bildungserfolg von Kindern“, welches vom Land NRW intensiv gefördert wird, hat die LaSI einen landesweiten Koordinationsauftrag: Die beteiligten Fachberater*innen Integration durch Bildung (IdB) der Schulaufsicht erhalten ein mehrstufiges Unterstützungsangebot zur mehrsprachigen Unterrichts- und Schulentwicklung. Regionaler und überregionaler Fachaustausch und Kompetenztransfer, koordiniert durch die Fachberatung aus dem Bereich Integration durch Bildung, unterstützt unmittelbar die standortbezogenen und teilweise unterschiedlichen Mehrsprachigkeitsprogramme der Grundschulen. Auch die beauftragten Lehrkräfte der Kommunalen Integrationszentren (KI) erhalten Schulungsangebote zur Unterstützung der kooperierenden Grundschulen, u. a. zum Einsatz des Bücherkoffers NRW. Gemeinsam wird daran gearbeitet, wie in einer Schule die Zusammenarbeit eines Tandems aus einer Klassenlehrkraft und einer Lehrkraft des Herkunftssprachlichen Unterrichts (HSU) gestaltet werden kann. Welches Fachwissen wird dafür benötigt und welches Verständnis von Teamarbeit fördert die gemeinsame Arbeit am mehrsprachigen Kompetenzerwerb der Schüler*innen?

Das Schwerpunktthema des ZMI in diesem Jahr ist „Elternkooperation und sprachliche Bildung“. Wir wissen, dass die LaSI viel unternimmt, damit auch die Eltern gestärkt werden – beispielsweise durch das Programm „Rucksack Schule“. Welche Erfahrung hat die LaSI bei der Begleitung dieses Programms gesammelt?

Sabine Stahl: „Rucksack Schule“ ist sicher mehr als ein Programm. Es ist im besten Sinne des Wortes ein Schulentwicklungsansatz und gibt Schulen die Möglichkeit, sich mit wichtigen Fragen auseinanderzusetzen: Mit welchem Verständnis findet HSU statt? Wie kann und soll Elternpartizipation gestaltet werden, damit sie wirklich gelingt? Welche Aspekte diskriminierungssensibler Schulentwicklung sollten einfließen, wenn „Rucksack Schule“ an einer Schule verankert wird und welches Integrationsverständnis besteht hier? Und in Bezug auf das Thema Mehrsprachigkeit: Wie will die Schule die mehrsprachigen Kompetenzen der Kinder stärken? Das Programm bietet aus unserer Sicht eine große Chance für eine Schule, sich im Blick auf das Qualitätsverständnis von diversitätsorientierter Schulentwicklung zu positionieren, letztendlich auch so, wie es im Referenzrahmen Schulqualität definiert ist. Dort haben wir ja den klaren Anspruch, Eltern aktiv an der Gestaltung von Schulleben und Lernumgebung zu beteiligen sowie Herkunftssprachen und lebensweltliche Mehrsprachigkeit als Ressource zu betrachten und entsprechend wertschätzend zu nutzen.

Das ZMI hat über die letzten 15 Jahre zahlreiche Konzepte und Materialien zur Förderung der Mehrsprachigkeit innerhalb der Kölner Bildungslandschaft entwickelt, ist Kooperationspartner in BiSS-Transfer und unterstützt das Programm „Grundschulbildung stärken durch HSU. Wie sehen Sie das Potenzial dieser Arbeit auf lange Sicht?
Sabine Stahl: Es ist schon etwas Besonderes, dass eine Stadt oder eine Bildungslandschaft sich auf die Fahne schreibt, diesen zentralen Bereich von Integration, nämlich Sprache, als Handlungsfeld so ernst zu nehmen. Potenzial sehe ich insbesondere in der geteilten Verantwortung, wie sie in der Zusammensetzung des ZMI deutlich wird. Verschiedene Professionen arbeiten zusammen und bringen eine aus ihren jeweils verschiedenen Blickwinkeln eigene Fachlichkeit ein, aber auch einen eigenen Umsetzungsbedarf und Erfahrungsschatz. Als LaSI erleben wir es tatsächlich als Glücksfall, dass wir mit dem ZMI kooperieren können und dass durch das ZMI sehr qualifizierte Produkte, Vorträge, Unterlagen und nicht zuletzt ihr schönes Quiz zum Thema Mehrsprachigkeit zur Verfügung gestellt werden. Auf diese Weise wird es möglich, das Thema auch handhabbar zu machen und konkret einbeziehen zu können. Wir sehen darin einen deutlichen Mehrwert für das Gestalten ganzheitlicher Bildung und freuen uns daher sehr über die Kooperation mit dem ZMI. Mit Blick auf die Zukunft sehe ich viel Potential in einem kontinuierlichen Austausch über gegenseitige Entwicklungsschwerpunkte und Vernetzungsmöglichkeiten, die wir hieraus ableiten können.

Ja, diese wunderbare Kooperation mit der LaSI freut uns als ZMI auch ganz besonders. Wir danken Ihnen für dieses Gespräch.