Rassismuskritische Unterrichtsmaterialien für die Primarstufe? Unbedingt!
von Aslı Can Ayten und Dr. M Knappik
Die Zugangswege zum Thema Rassismus sind unterschiedlich – nicht nur, aber insbesondere, wenn Sie selbst als Pädagog:in tätig sind: Einige von Ihnen nähern sich dem Thema Rassismus von außen an, weil Rassismus Sie nicht selbst direkt betrifft. Einige von Ihnen machen selbst Rassismuserfahrungen. Unter Ihren Schüler:innen, deren Eltern und unter Ihren Kolleg:innen sind wahrscheinlich ebenfalls viele, die Rassismus erfahren. Sich dem entschieden entgegenzustellen, ist dringend notwendig, weil Schüler:innen und Pädagog:innen das Recht darauf haben, diskriminierungsfrei zu lernen und zu lehren.
Aber Rassismus ist vielschichtig und nicht immer leicht zu erkennen. Rassismus wird nicht nur individuell verursacht, sondern ist auch strukturell verankert, unter anderem durch benachteiligende Erlasse oder institutionelle Vorgaben. Er ist auch medial präsent, beispielsweise durch Schulbücher, in denen manche Schüler:innen nie, nur negativ oder stereotypisiert repräsentiert sind. Wegen dieser Komplexität ist es nicht immer leicht, Rassismus zu erkennen. Und selbst wenn er erkannt ist, ist es häufig nicht möglich, ihn anzusprechen, ohne dass diese Erfahrung negiert wird. Daher bietet eine pä-dagogisch verantwortete und reflektierte Thematisierung von Rassismus und Rassismuserfahrungen gerade auch für die Primarstufe eine große Chance. Allerdings ergibt sich hieraus auch die Herausforderung, dieses komplexe Thema auf eine Weise im Unterricht zu erarbeiten, die den Anforderungen und Lernvoraussetzungen der Schüler:innen in diesem Alter gerecht wird.
Rassismuskritische Unterrichtsmaterialien für die Primarstufe
Aus diesen Gründen wurden von einem Team der Bergischen Universität Wuppertal und des Vereins CrossPäd 1 rassismuskritische Unterrichtsmaterialien für die Primarstufe entwickelt. Das Ziel dieser Materialien lautet: Alle Schüler:innen sollen die Möglichkeit erhalten, über Rassismus zu lernen. Sie sollen die Möglichkeit erhalten, ein Verständnis dafür zu entwickeln, was Rassismus ist und in welchen Formen er sie selbst oder ihre Freund:innen betrifft. Jede Klasse soll gemeinsam mit ihren Lehrkräften eine Sprache dafür finden können, Rassismus zu benennen. Schüler:innen sollen darin bestärkt werden, dass sie richtig und wichtig sind. Und alle sollen lernen können, wie wir – als Schulklasse, als Schule, als Gesellschaft – gemeinsam Rassismus abbauen können.
Die Materialien umfassen:
- eine Einführung in die Materialien für Lehrkräfte mit einem ausführlichen Glossar und umfangreichen Literaturtipps zum
Weiterlesen für sich selbst oder mit Schüler:innen sowie - Materialienpakete zu den Themen:
- Warum ist Dazugehören wichtig?
- Rassismus, der unsichtbare Geist, der uns trennt
- Was ist Rassismus?
- Was ist sprachlicher Rassismus? (für den Einsatz im Herkunftssprachlichen Unterricht)
- Rassismus und Medien
- (Post-)Kolonialität
Jedes Materialienpaket enthält eine ausführliche Sachinformation, Hinweise zur Durchführung sowie Kopiervorlagen.
Die Unterrichtsmaterialien sind so konzipiert, dass sie sowohl Schüler:innen mit eigenen Rassismuserfahrungen als auch solche ohne eigene Rassismuserfahrungen abholen möchten. Das gemeinsame Erarbeiten einer Sprache, um Rassismus benennbar und besprechbar zu machen, steht im Vordergrund. Durch die Arbeit mit den Materialien und eine achtsame pädagogische Gesprächsführung soll ein Raum entstehen, in dem Rassismuserfahrungen von Kindern besprechbar werden und ihre Wünsche nach Zugehörigkeit und Gemeinschaft ernst genommen werden. Dabei kommt der Stärkung der Klassengemeinschaft eine tragende Rolle zu.
Erprobung und Weiterentwicklung der Materialien
Eine der größten Herausforderungen bei der Entwicklung von rassismuskritischen Unterrichtsmaterialien für die Primarstufe ist es, die Komplexität des Themas für die Zielgruppe der Primarstufenschüler:innen zugänglich zu machen. Eine weitere Herausforderung ist es, die Verletzungen, die Rassismus erzeugt, auf eine Weise besprechbar zu machen, die sensibel und kindgerecht auf das eingeht, was besprochen werden möchte, ohne Kinder zu exponieren oder erneut zu verletzen. Damit beide Herausforderungen für die Praxis gut gelöst werden, ist eine Erprobung der Materialien durch erfahrene Grundschulpädagog:innen notwendig. Daher ist es als großer Gewinn einzuschätzen, dass Schulen aus dem Verbund Kölner Europäischer Grundschulen sich bereit erklärt haben, die Materialien im Herbst und Winter 2024 zu erproben. Die Vorschläge der Pädagog:innen nach der Erprobung fließen sodann in die Weiterentwicklung der Materialien ein, die voraussichtlich ab dem Schuljahr 2025/26 veröffentlicht und allen interessierten Pädagog:innen kostenfrei zur Verfügung stehen werden.
1 Mitgearbeitet haben Mohammed Kouras und Ka Kem (Verein CrossPäd) sowie Sara Hägi-Mead, Aslı Can Ayten, Sofiane Kaci, M Knappik, Viviana Sánchez Linz und Gizem Evin Dağ (Bergische Universität Wuppertal).