Interview mit Dagmar Niederlein – Amt für Kinder, Jugend und Familie Stadt Köln

Interview mit Dagmar Niederlein – Amt für Kinder, Jugend und Familie Stadt Köln

Das Gespräch führte die Geschäftsführung des ZMI

„Selbstwirksamkeit und gelebte Partizipation sind die Basis eines demokratischen und offenen Miteinanders.“

Dagmar Niederlein ist seit Mai 2022 Leiterin des Amtes für Kinder, Jugend und Familie der Stadt Köln. Zuvor hatte sie die kommissarische Amtsleitung in Düsseldorf inne. Im Interview mit dem ZMI geht es um die Herausforderungen, die mit einer sich wandelnden (Stadt-)Gesellschaft einhergehen und darum, wie das Amt diesen begegnet. Die Rolle, die die städtischen Ämter bei der Stärkung der Postmigration im Sinne eines offenen und demokratischen Zusammenlebens spielen, wird dabei besonders deutlich – vom konkreten KiTaalltag bis hin zu Partizipationsprojekten.

ZMI: Das diesjährige ZMI Magazin legt den Schwerpunkt auf das Thema Postmigration. Bildet das Amt für Kinder, Jugend und Familie Ihrer Meinung nach diese aktuelle Phase der Kölner Einwanderungsgeschichte ausreichend ab? Wo sehen Sie noch Potenzial diesbezüglich?
Dagmar Niederlein: Auf Ihre erste Frage kann ich mit einem klaren und freudigen „Ja!“ antworten. Ich bin stolz, dass unser Amt so vielfältig und offen ist und sich die postmigrantische Gesellschaft Kölns hier widerspiegelt. Dadurch ergeben sich vielfältige Erfahrungen, Perspektiven, Sprachen und Kompetenzen, die enorm wichtig sind, um den täglichen Anforderungen zu begegnen und gemeinsame Lösungswege zu begehen, ob neue oder erprobte.
In Köln erlebe ich immer wieder, wie sehr unsere Stadtgesellschaft die Vielfalt lebt und sich in der Auseinandersetzung mit den Themen verändert, anpasst und auch neu erfindet. Diese gegenwärtige Phase der Kölner Einwanderungsgeschichte bildet sich sehr klar auch in der Themenvielfalt und den aktuellen Aufgaben unseres Amtes ab.
Die Anregungen von Kooperationspartner:innen, Mitarbeitenden oder Bürger:innen unterstützen uns darin, dem eigenen Anspruch an Partizipation und Kooperation gerecht zu werden. Dieser Anspruch ist in den Leitlinien unseres Amtes als Handlungsmaxime für alle Mitarbeitenden vereinbart. Engagement braucht es dennoch weiterhin, denn Familienleben wandelt sich und unsere Gesellschaft ist dynamisch. So bleibt es unsere fortwährende Aufgabe, gemeinsam zu überlegen und zu reflektieren, wie all die verschiedenen Akteur:innen, auch aus kommunaler Politik und Verwaltung, in einen Dialog mit allen Beteiligten eintreten können.

ZMI:
Als Amtsleiterin für Kinder, Jugend und Familie liegen mehr als 200 städtische Kindergärten in Ihrem Verantwortungsbereich. Inwiefern haben sich Ihrer Erfahrung nach der Alltag der Erzieher:innen und der KiTaalltag generell in den letzten Jahren verändert? Welche Herausforderungen sind gegeben?

Dagmar Niederlein: In unseren städtischen Kindertageseinrichtungen spiegelt sich im Kleinen das Große unserer Kölner Stadtgesellschaft wider. Wir erleben unterschiedliche Einflüsse, die auch geprägt sind durch individuelle Migrationsgeschichten und -hintergründe, profitieren aber auch seit Jahren vom Wandel des Bildes von Kindertageseinrichtungen in der Gesellschaft. Kindertageseinrichtungen sind keine reinen Betreuungsorte mehr, sondern seit langem anerkannte Bildungs- und Betreuungseinrichtungen, die einem hohen Qualitätsanspruch gerecht werden.
Die Angebote und konzeptionellen Ausrichtungen der KiTas sind vielfältiger geworden. Eltern haben die Wahl zwischen unterschiedlichen pädagogischen Schwerpunkten. Auch die Bereitschaft und Möglichkeiten von Eltern, sich aktiv in der Kindertageseinrichtung einzubringen, sind in den vergangenen Jahren gewachsen. Die inhaltliche Vielfalt, aber auch die Inklusion haben den KiTaalltag weiter verändert. Inklusive Förderangebote haben in den vergangenen Jahren die separaten Förderangebote abgelöst. Dabei stehen die Kinderrechte und die Teilhabe aller Kinder mehr denn je im Fokus.
In all dem Wandel wird der Kitaalltag zusätzlich von Herausforderungen wie Fachkräftemangel und Personalfluktuation beeinflusst. Diese Herausforderungen stellen eine besondere Belastung für alle Akteur:innen in den Kindertageseinrichtungen in Köln dar. Die Jahre 2020 bis 2022 waren sehr stark geprägt von den Gegebenheiten der Coronapandemie, den damit einhergehenden Beschränkungen, hohen organisatorischen Anforderungen, aber auch Sorgen und Nöten der Fachkräfte und der Familien. Auch in 2024 sind viele Familien belastet, ebenso ist die Zahl der Kinder mit Förderbedarfen gestiegen. Dies führt einerseits zu höheren Anforderungen im regulären Tagesablauf einer KiTa, andererseits zu gestiegenen fachlichen Anforderungen im pädagogischen Alltag. Der Fachkräftemangel verschärft diese Problematiken. Viele Pädagog:innen kehren dem Beruf den Rücken, insbesondere auch, weil sie dem eigenen Anspruch an ihre Arbeit nicht mehr gerecht werden können. Die Akquise und die Ausbildung guter pädagogischer Fachkräfte sowie eine nachhaltige Begeisterung für diesen tollen Beruf sind die entscheidenden Voraussetzungen zum Gelingen guter Bildung und Betreuung für alle Kinder.
Neben all diesen Herausforderungen sehe ich auch, dass die städtischen Kindertageseinrichtungen und Familienzentren Orte für Familien sind, in denen alle Familien mit ihrer Vielfalt willkommen sind und Mehrsprachigkeit erwünscht ist.
Die Qualität in unseren KiTas und deren kontinuierliche Weiterentwicklung sind unbedingt notwendig, um den heutigen und zukünftigen Herausforderungen gerecht zu werden.

ZMI:
Wie hat das Amt für Kinder, Jugend und Familie konkret auf diese unterschiedlichen Herausforderungen reagiert?

Dagmar Niederlein: Allen städtischen Kindertageseinrichtungen stehen neben der regulären Fachberatung auch spezialisierte Fachberatungen zur Seite, wie beispielsweise Inklusionsfachberatungen, Sprachfachberatungen und Fachberatungen für Familienzentren. Das zeigt, dass unsere Fachkräfte mit ihren Herausforderungen, Problemen und Fragen nicht alleine gelassen werden.
Um den Herausforderungen der sich wandelnden (Stadt-)Gesellschaft und den sich damit auch in unseren Kindertageseinrichtungen ändernden Bedarfen, Anforderungen und Wünschen gerecht zu werden, ist 2019 das „Qualitätshandbuch der städtischen Kindertageseinrichtungen“ entstanden. Durch einen sehr groß angelegten partizipativen Prozess wurde ein innovatives Trägerkonzept mit Kindern, Eltern, Mitarbeitenden und der städtischen Verwaltung der KiTas entwickelt. Im Herbst 2024 wird dieses aktualisiert.
Dieses konzeptionelle „Rüstzeug“ und der hohe Grad der Professionalisierung in den städtischen KiTas durch das begleitende Qualitätsentwicklungsinstrument der „Internen Evaluation“ und diverse Fortbildungsformate stärken und unterstützen unsere KiTas.
Um zudem die Qualität im Kontext von Mehrsprachigkeit in städtischen Kindertageseinrichtungen weiterzuentwickeln, führt im Auftrag des Amtes für Kinder, Jugend und Familie aktuell die Universität Paderborn unter der Leitung von Prof. Dr. Albers eine Evaluation in städtischen Kindertageseinrichtungen zum Thema „Mehrsprachigkeit“ durch. Die Ergebnisse der Evaluation werden in die Planung von neuen Fortbildungsformaten und -inhalten einfließen.
Deshalb bin ich davon überzeugt, dass die städtischen Kindertageseinrichtungen für die Kinder und Familien in Köln Willkommens- und Bildungsorte im besten Sinne sind. Natürlich gibt es auch Bereiche, in denen wir uns verbessern können, und wir arbeiten daher kontinuierlich daran, allen Kindern ein gelingendes Aufwachsen zu ermöglichen.

ZMI:
Die politischen Verhältnisse ändern sich zurzeit mit hoher Geschwindigkeit. Welche Rolle könnten die städtischen Ämter bei der Stärkung der postmigrantischen Gesellschaft im Sinne eines offenen und demokratischen Zusammenlebens spielen?

Dagmar Niederlein: Als Kölner Stadtgesellschaft haben wir gemeinsam die Aufgabe, die postmigrantische Realität abzubilden und Repräsentationslücken zu schließen. Basierend auf dem Selbstverständnis des Amtes für Kinder, Jugend und Familie ist die Zusammenarbeit mit unterschiedlichen Trägern der Jugendhilfe, den Familien, also den Kindern, Jugendlichen und den Eltern, sowie mit Kooperationspartnern zentral. Auf diese Weise werden die vielen unterschiedlichen Perspektiven, Meinungen und auch Haltungen in das Verwaltungshandeln einbezogen. Der kontinuierliche Austausch und die intensive stadtweite Zusammenarbeit auf vielen Ebenen prägen das Amt für Kinder, Jugend und Familie in allen Bereichen des riesigen Aufgabengebietes. Zum Beispiel gab es das Beteiligungsformat „HEY Mülheim“ im Rahmen der „Kinderfreundlichen Kommune Köln“, um Kindern und Jugendlichen die Möglichkeit zu geben, sich aktiv und niedrigschwellig mit ihrer Stimme einzubringen und gehört zu werden. Hierbei werden wir von den anderen beteiligten Kölner Ämtern intensiv unterstützt.
Selbstwirksamkeit und gelebte Partizipation sind die Basis eines demokratischen und offenen Miteinanders. Diese Werte müssen von der Stadtgesellschaft und insbesondere auch von der Stadt Köln, von allen Ämtern und Gremien, gelebt und weitergetragen werden, um Demokratie nachhaltig zu sichern – im Großen und im Kleinen, von Jung und von Alt.

ZMI:
Sie wissen, dass das ZMI ein Bündnis bestehend aus der Bezirksregierung Köln, der Universität zu Köln und der Stadt Köln ist. Wie schätzen Sie persönlich die Bedeutung und Wirkung dieser Kooperation ein?

Dagmar Niederlein: Diese Kooperation ist ein gelungenes Beispiel der Verzahnung von Wissenschaft, Forschung, Politik und Verwaltung. Gemeinsam haben die Bezirksregierung Köln, die Universität zu Köln und die Stadt Köln mit ihrem Kooperationsvertrag im Jahr 2008 das gemeinsame Bestreben für eine interkulturelle Öffnung der Kölner Bildungslandschaft festgelegt und somit den Grundstein des ZMI gelegt.
Ich denke, dass das ZMI in Köln eine ganz besondere Kooperation ist, die auch über die Stadtgrenzen hinaus ein Renommee besitzt!
Seit 2008 steht das ZMI als Ansprechpartner mit seiner Expertise, seinen Publikationen und Veranstaltungen und vor allem mit der Energie seiner Akteur:innen allen Fachleuten im Kontext von Mehrsprachigkeit zur Seite. Zwischen dem Amt für Kinder, Jugend und Familie und dem ZMI hat sich so über die Jahre eine sehr gute Zusammenarbeit entwickelt. Uns eint das gemeinsame Ziel, Mehrsprachigkeit und Integration als Bereicherung zu erkennen, die Angebote zur Förderung von Mehrsprachigkeit und Integration in der Stadt weiterzuentwickeln, um so insbesondere das gelingende Aufwachsen von allen Kindern zu unterstützen.
Die vielen interessanten Sprachfeste und Fachtage, die das ZMI jährlich organisiert, sind Beispiele dafür, wie sich eine gute Zusammenarbeit über Amts- und Institutionsgrenzen hinweg für die Fachkräfte und damit auch für die Kinder positiv auswirken kann. Gut angenommen werden auch die Materialien des ZMI, wie z. B. die Sammlung „Gelebte Mehrsprachigkeit SPRACHSTARK“ mit mehrsprachigen Liedern, Spielen und Texten und die sehr informative Internetseite.
Das ZMI blickt mit seinen drei verschiedenen Brillen, aus Sicht der Stadt Köln und der städtischen Verwaltung, aus Sicht des Landes NRW im Regierungsbezirk Köln und aus der Sicht der Forschung in der Universität zu Köln, auf die bestehenden Angebote zur Förderung der Mehrsprachigkeit, bereitet aktuelles Fachwissen eingängig für die Praxis auf und regt zum Perspektivwechsel an. Das ZMI entwickelt Ideen, gibt Impulse, setzt Akzente und regt zum fachlichen Diskurs und zur Reflexion an. So entstehen Diskussionen, die nachwirken und Veränderungsprozesse initiieren.
Das soll auch in Zukunft bitte gerne so bleiben. Herzlichen Dank dafür!

ZMI:
Vielen Dank, Frau Niederlein.