„Beide Sprachen sind ja auch wichtig“ – das Thema Mehrsprachigkeit im Metavorhaben Sprachliche Bildung in der Einwanderungsgesellschaft
von Dr. Stefanie Bredthauer, Angelika Gundermann, Dr. Till Woerfel und Prof. Dr. Hans-Joachim Roth
Stellen Sie sich ein Klassenzimmer vor, in dem mehrsprachig aufwachsende Kinder mit Begeisterung in ihren jeweiligen Familiensprachen sprechen, bevor sie von der Lehrkraft aufgefordert werden, „nur Deutsch“ zu reden. Diese Realität erleben viele mehrsprachige Schüler:innen tagtäglich in deutschen Schulen, wie beispielsweise dieser Schüler berichtet:
„In unserer Grundschule da waren zum Beispiel zwei Jungs, das waren meine besten Freunde, die sind Türken und redeten immer Türkisch und da hat die Lehrerin dann gesagt, dass die das nicht mehr reden sollen. Die sagt, das ist eine deutsche Schule.“
Die Förderung der deutschen Sprache in Schulen ist essenziell, doch was passiert, wenn dies auf Kosten der Familiensprachen mehrsprachiger Schüler:innen geht? Viele von ihnen haben den Eindruck, dass sie in eine Situation gebracht werden, in der sie sich zwischen den verschiedenen Sprachen entscheiden müssen. So beschreibt zum Beispiel diese Schülerin:
„Beide Sprachen sind ja auch wichtig. Halt wenn ich jetzt Deutsch verlerne, dann kann ich nicht mehr in der Schule mit meinen Freunden Deutsch reden. Oder Türkisch, dann kann ich nicht mehr mit meiner Familie reden.“
Mehrsprachigkeit kann eine sehr wertvolle Ressource in Schulen sein, dennoch wird sie bislang in der Praxis oft unzureichend genutzt. Wenn sie aber in den Regelunterricht einbezogen wird, empfinden das Lernende durchaus als gewinnbringend, beispielsweise zur Verständnissicherung, wie die folgende Aussage eines Schülers zeigt:
„Also manchmal ja, weil wenn man das Wort halt nicht auf Deutsch kann, aber auf Arabisch, dann versteht man es auch besser. Man kann es dann auch besser erklären als auf Deutsch.“
Hier klingt ganz deutlich ein sogenanntes metasprachliches Bewusstsein durch. Dieses ist ausgesprochen hilfreich für den Ausbau komplexerer Kompetenzen im Sprachausbau, beispielsweise für den zielführenden Einsatz von Lern- und Kommunikationsstrategien. Das reicht bis in Sprachlernkompetenzen hinein, wie das folgende Zitat zeigt, in dem die Schülerin betont, dass das Sprachenlernen durch bereits erworbene Strategien vereinfacht wird:
„Ja, weil ich Albanisch lerne und weiß, wie man eine neue Sprache lernen kann.“
Neben dem Einbezug von Familiensprachen in den Regelunterricht können auch weitere Angebote wie der Herkunftssprachliche Unterricht (HSU) helfen, die mehrsprachigen Ressourcen von Schüler:innen zu fördern (siehe hierzu auch den Beitrag zum Projekt HSU-Interregio von Woerfel et al. ). Eine besondere Wertschätzung entsteht dabei durch formale Anerkennung des HSU, wie ein Schüler berichtet:
„Ja, weil die Teilnahme am Unterricht auf dem Zeugnis steht […] und ich Albanisch auch als Fremdsprache fürs Abi nutzen kann.“
Die hier zitierten Aussagen der fünf Schüler:innen stammen aus zwei verschiedenen Lehrforschungsprojekten: Im ersten Projekt führten Studierende gemeinsam mit Lehrkräften Mikrointerventionen durch, bei denen mehrsprachige Elemente im Unterricht eingesetzt wurden. Im zweiten Projekt wird aktuell eine Schüler:innenbefragung zum HSU durchgeführt. (Ausgangspunkt des Lehrforschungsprojekts war die Masterarbeit von Leonora Krasniqi zur Wahrnehmung und Bedeutung des HSU Albanisch von Schüler:innen.) Die bisherigen Ergebnisse legen nahe, dass der Einbezug von Mehrsprachigkeit in den Regelunterricht für viele Schüler:innen noch nicht zum Standard gehört, sondern etwas Neues ist und als wertvoll wahrgenommen wird und dass der HSU als wichtige Ressource zum Ausbau und Erhalt von Familiensprachen angesehen wird.
Aus postmigrantischer Perspektive sind alle in Deutschland gesprochenen Sprachen Teil der Gesellschaft. Entsprechend sollten sie von Sprachbildungsmaßnahmen berücksichtigt werden. Doch auch wenn inzwischen viele Lehrkräfte gegenüber der Mehrsprachigkeit ihrer Schüler:innen positiv eingestellt sind, fühlen sie sich oftmals noch unsicher, wie sie die mehrsprachigen Ressourcen in der Praxis konkret in ihren Unterricht einbinden können. HSU-Lehrkräfte begegnen zudem großen organisatorischen sowie didaktischen Herausforderungen mit Blick auf die Durchführung des HSU und bei der Begegnung von alters- und sprachbezogener Heterogenität. Deshalb ist es von großer Relevanz, dass mehrsprachigkeitsdidaktische sowie binnendifferenzierende Anteile in die Aus- und Fortbildung von Lehrkräften und pädagogischen Fachkräften integriert und Unterrichtskonzepte hinsichtlich der mehrsprachigen Vielfalt in den Klassen weiterentwickelt werden.
Die beiden erwähnten Forschungsstudien sind Beispiele für die Forschungsvorhaben, die das Metavorhaben „Sprachliche Bildung in der Einwanderungsgesellschaft“ durchführt. Die vom BMBF geförderte Forschungskooperation umfasst zehn weitere Einzel- und Verbundprojekte, die sich bundesweit mit Forschungsfragen zur sprachlichen Bildung vom Elementarbereich bis zur Erwachsenenbildung beschäftigen und dabei den Aspekt der Mehrsprachigkeit auf unterschiedliche Weise berücksichtigen. In einigen Projekten wird sie etwa als Lernvoraussetzung der Schüler:innen oder bei der Entwicklung von Materialien adressiert, während in anderen Projekten der Umgang mit der Mehrsprachigkeit der Lernenden den Fokus bildet, sodass ihr in allen Projektphasen von der Entwicklung über die Datenerhebung bis hin zur Auswertung und Interpretation der Ergebnisse eine substantielle Rolle zukommt.
Weitere Informationen dazu und zu den einzelnen Projekten sowie Forschungsvorhaben finden Sie auf der Website des Metavorhabens:
https://www.sprachebildet.uni-koeln.de.