Interview mit Andreas Bothe, Staatssekretär im Ministerium für Kinder, Familie, Flüchtlinge und Integration des Landes Nordrhein-Westfalen
Das Gespräch führten Rosella Benati und Petr Frantik • Artikel im ZMI Magazin 2021/22, S. 6
Herr Staatssekretär Bothe, im August 2021 haben Sie die bilinguale deutsch-italienische Kita „Zebra Verde“ in Köln zur Preisverleihung des deutschen Kita-Preises besucht. Welche wichtigen Ansätze sehen Sie bei dieser Kita gerade in Bezug auf Mehrsprachigkeit?
Zunächst einmal freue ich mich natürlich immer, wenn Kitas in Nordrhein-Westfalen mit dem Deutschen Kita-Preis ausgezeichnet werden. Bei der Kita „Zebra Verde“ steht die Förderung der Mehrsprachigkeit im Mittelpunkt, neben Deutsch sind besonders Italienisch, aber auch viele weitere Familiensprachen vertreten. Mich hat vor allem der Anspruch der Kita beindruckt, jedem Kind und seinen individuellen Bedürfnissen gerecht zu werden und dies konzeptionell vor dem Hintergrund wissenschaftlicher Erkenntnisse umzusetzen. Besonders spannend finde ich hier die Orientierung an Prinzipien der Reggio-Pädagogik und der Immersionsmethode. Bei den Gesprächen mit den Kindern konnte man sehen, wie wertvoll eine solche Förderung ist.
In den vergangenen Jahren ist ein Bewusstsein für die Bedeutung der Förderung der Familiensprachen für die gesamte sprachliche und persönliche Entwicklung entstanden. In Ihrer Rede während der Preisverleihung berichteten Sie allerdings auch über andere persönliche Erfahrungen mit dem Umgang mit Mehrsprachigkeit. Warum ist es aus Ihrer Sicht so wichtig, Mehrsprachigkeit zu fördern?
Wir sind heute deutlich weiter als noch vor zehn oder zwanzig Jahren. Das liegt auch an der Arbeit von Einrichtungen wie dem ZMI. Wenn Sie mich nach meinen persönlichen Erfahrungen fragen: Unsere Kinder sind bilingual aufgewachsen, denn meine Frau ist gebürtige Kroatin. Als unsere Kinder in die Kita gekommen sind, die beiden sind 22 und 19 Jahre, haben wir oft skeptische bis ablehnende Reaktionen bekommen. Häufig war die Einstellung: Wenn Kinder mehrsprachig aufwachsen, lernen sie keine Sprache richtig. Ich habe aber bei unseren Kindern ganz anderes beobachtet. Sie profitieren immens davon, dass sie zweisprachig aufgewachsen sind und hatten es beim Erlernen von Fremdsprachen viel leichter als ich zum Beispiel. Mehrsprachigkeit habe ich als Basis für das Erlernen weiterer Sprachen und für den Aufbau eines Sprachgefühls wahrgenommen. Sie trägt zudem zu einer kulturellen Offenheit bei. Ich hätte es sehr schade gefunden, wenn das Kroatische in unserer Familie verloren gegangen wäre.
Als Staatssekretär des Ministeriums für Familien, Kinder und Jugendliche lernen Sie bestimmt viele Konzepte von unterschiedlichen Kitas kennen. Wie sind Ihre Erfahrungen in Bezug auf die Berücksichtigung der Heterogenität unserer Gesellschaft?
Die Grundlage für die Bildung in den Kindertageseinrichtungen sind neben dem Kinderbildungsgesetz die Bildungsgrundsätze des Landes Nordrhein-Westfalen. Die Förderung von Mehrsprachigkeit ist darin verankert. Das ist auch unser Leitbild für den Kita-Alltag und soll in allen Kindertageseinrichtungen konzeptionell verankert sein. Gelebte sprachliche und kulturelle Vielfalt ist zudem die Realität in unserer Gesellschaft. Rund ein Drittel der Menschen in Nordrhein-Westfalen haben eine Einwanderungsgeschichte. Das sollte sich aber nicht nur in der Bildungsarbeit, sondern möglichst auch beim Personal in den Kitas widerspiegeln. Wir brauchen Vorbilder, wir brauchen mehr Diversität. Wir sind da als Ministerium auf einem guten Weg und jede Sprache ist uns gleichermaßen willkommen; wir machen hier keine Hierarchie der Sprachen.
Wie im Schulbereich, so fehlt oft auch in den Kindertageseinrichtungen pädagogisches Personal. Im Rahmen von Zuwanderung aus europäischen als auch nicht-europäischen Ländern kommen viele ausgebildete Fachkräfte nach Deutschland. Wie kann man diese Menschen mit ihren fachlichen und sprachlichen Kompetenzen schnell ins Bildungssystem einbinden?
Leider finden im Ausland ausgebildete Fachkräfte teilweise noch nicht so einfach den Zugang zu den Kindertageseinrichtungen, wie wir uns das wünschen. Wir haben aber bereits verschiedene Maßnahmen getroffen, um diesen Zugang zu erleichtern. Die Möglichkeit der Anerkennung als sozialpädagogische Fachkraft für die Arbeit in einer Kindertageseinrichtung ist in der Regel gegeben. Geregelt ist dies unter anderem in der „Verordnung zu den Grundsätzen über die Qualifikation und den Personalschlüssel“ vom 4. August 2020. In rechtlicher Hinsicht haben wir damit die Grundlagen für einen schnelleren Einstieg in das System der Kindertagesbetreuung geschaffen. Voraussetzung ist, dass im Rahmen des sogenannten „Verfahrens zur Feststellung der Gleichwertigkeit ausländischer Berufsqualifikationen in Nordrhein-Westfalen“ für den Beruf der sozialpädagogischen Fachkraft festgestellt wird, dass Qualifikation und Erfahrung der Tätigkeit in Kindertageseinrichtungen entsprechen und dass die erforderlichen Kenntnisse der deutschen Sprache vorhanden sind. Für das „Verfahren zur Feststellung der Gleichwertigkeit“ ist die Zentralstelle Fachkräfteeinwanderung NRW zuständig. Sie bietet sowohl für Arbeitgebende als auch Arbeitnehmende eine Beratung hinsichtlich des Aufenthaltsrechts und der Arbeitsmarktzugänge. Eine weitere rechtliche Grundlage, damit zugewanderte Fachkräfte einen Zugang zu Kitas erhalten können, ist durch das „Fachkräfteeinwanderungsgesetz“ gegeben, das seit dem 1. März 2020 in Kraft ist.
In Zeiten der Pandemie haben wir zudem das Kitahelfer-Programm (m/w/d) aufgelegt. Alltagshelferinnen und -helfer haben Kitas unterstützt und den dortigen Mehraufwand durch Corona abgefedert. Dieses Programm setzen wir aufgrund des derzeitigen Infektionsgeschehens landesseitig nun noch einmal bis zum Ende des Kitajahres am 31.7.2022 fort. Je nach Vorbildung und Vorkenntnissen können Interessierte zwischen drei verschiedenen Qualifizierungsmodellen wählen. Sie können sich zur Assistenzkraft im nichtpädagogischen Bereich, zum staatlich geprüften Kinderpfleger (m/w/d) in praxisintegrierter Form qualifizieren lassen oder aber eine Ausbildung zum staatlich anerkannten Erzieher (m/w/d) in praxisintegrierter Form beginnen. Hierfür stellen wir weitere Mittel zur Verfügung, zusätzlich zu den Mitteln, die über das Kinderbildungsgesetz kommen.
Was wird gerade im Bereich der mehrsprachigen Bildung von Ihrem Ministerium umgesetzt und was soll Ihrer Meinung nach in Zukunft noch geschehen?
Mit der Reform des Kinderbildungsgesetzes, die zum 1. August 2020 in Kraft getreten ist, wurde die Bedeutung der Förderung und Anerkennung der Mehrsprachigkeit von Kindern in der Kindertagesbetreuung noch einmal gestärkt. Wir als Landesregierung geben nun erheblich mehr Mittel in die Kindertagesbetreuung in Nordrhein-Westfalen. Konkret bedeutet dies, dass die finanziellen Mittel für Sprachförderung und plusKITAS zusammengelegt und auf 100 Millionen Euro erhöht wurden. Von diesen Mitteln profitieren gerade Einrichtungen mit einem hohen Anteil von Kindern mit besonderem Unterstützungsbedarf. Vorrangiges Ziel ist es, die Bildungschancen der Kinder durch individuelle Angebote zu steigern. Zusätzlich unterstützen wir mit den Familienbildungsprogrammen „Griffbereit“ und „Rucksack KiTa“ die Förderung der sprachlichen und sozialen Integration von Kindern mit und ohne Einwanderungsgeschichte oder Fluchterfahrung sowie deren Familien.
Für eine qualitativ gute Sprachbildung und Sprachförderung – egal in welcher Sprache – ist gut ausgebildetes Personal unabdingbar. Aus diesem Grund unterstützt die Landesregierung die Qualifizierung des pädagogischen Personals unter anderem in den Bereichen der Alltagsintegrierten Sprachbildung und Mehrsprachigkeit auch mit finanziellen Zuschüssen.
Unser Ziel ist es auch, die pädagogischen Fachkräfte, die selbst mehrsprachig aufgewachsen sind, in ihrer Mehrsprachigkeit zu stärken. Wir hoffen, dass die nächste Generation, die jetzt in der Kita ist, ihre Herkunftssprachen mit einer anderen Selbstverständlichkeit in die pädagogischen Berufe einbringen wird.
Vielen Dank für das Gespräch