Was ist eigentlich ZEBRA?
Interview mit der Geschäftsführerin eines deutsch-italienischen Kita-Trägers. Die Fragen stellte Rosella Benati • Artikel im ZMI Magazin 2018 S. 35
Frau Abbruscato, Sie sind Gründerin und Vorstandsvorsitzende von Z.E.B.R.A. e.V. Was verbirgt sich hinter dieser Abkürzung?
Die Buchstaben stehen für Zeitgemäße Erziehungsarbeit und Bilingualität nach dem Reggio-Ansatz. Als wir 2013 den Verein zur Eröffnung einer deutsch-italienischen Kita gründeten, fanden wir das gestreifte Tier als Symbol perfekt: Die erste berühmte Einrichtung aus Reggio Emilia hatte ein Zebra als Logo, ein geheimnisvolles Tier, das sich nicht domestizieren lässt. Außerdem ist das Wort ist in beiden Sprachen identisch.
Nach der ZEBRA Kita kam 2016 eine weitere Einrichtung hinzu…
Richtig, die ZEBRA VERDE. Der Namenszusatz bedeutet „grün“, wie der Grüngürtel, in dem diese zweite Tagesstätte eingebettet ist. Beide Kitas sind zweigruppig und bilingual.
Nach welchem Ansatz richtet sich die Zweisprachigkeit in den Einrichtungen?
Zunächst sind wir mit dem Ansatz „eine Person eine Sprache“ gestartet. Eine Hälfte des Teams sprach Deutsch als Muttersprache, die andere Italienisch als Muttersprache. Alle sprachen die „Sprache des Herzens“, unabhängig vom sprachlichen Hintergrund des jeweiligen Kindes und dessen Familie. Sprache wechseln war den Erzieherinnen untersagt. Dann merkten wir, dass einige Eltern, die sehr gut beide Sprachen beherrschten, einen anderen Ansatz verwendeten: den situativen. Sie sprachen mit dem Kind beide Sprachen, wählten die eine oder die andere, je nachdem, wer anwesend war. Sobald jemand eine Sprache nicht verstand, wechselten sie in die Sprache, die niemanden ausschloss. Dieser Aspekt war wichtig für unsere sonstige pädagogische Arbeit. Deshalb übernahmen wir für die zweisprachig aufgewachsenen Kolleginnen diesen Ansatz.
Gab es bei den Kindern keine Unsicherheiten? Kam es zum „Sprachsalat“?
Die Kinder verstanden sehr schnell das neue Prinzip. Zum „Sprachsalat“ kam es nicht, weil die Kinder sehr wohl wissen, welche Sprache gerade angewendet wird. Aber zu Sprach-Mix kam es durchaus.
Davor haben viele Eltern Angst: Mehrsprachigkeit könnte zu Sprachchaos und zu „Halbsprachigkeit“ führen. Meinen Sie, diese Angst sei berechtigt?
Ganz klar nein. Dass Kinder in einem deutschen Satz auf ein italienisches Wort zurückgreifen, weil ihnen das deutsche gerade nicht einfällt ist kein Zeichen für Halbsprachigkeit, sondern für einen beneidenswerten Sprachreichtum. Sie nutzen alle Ausdrucksmöglichkeiten, die sie haben, selbstverständlich und kreativ wie in all ihrem Tun.
Nach dem neueren Ansatz „Translanguaging“ ist es sogar erlaubt, mitten im Satz die Sprache mehrmals zu ändern. Wie stehen Sie dazu?
Vor etwa einem Jahr, im Rahmen des Bundesprogramms „Sprach-Kitas: Weil Sprache der Schlüssel zur Welt ist“ lernten wir diese Theorie kennen. Sie befreite uns von dem ständigen Versuch, die Menschen auf Monolingualität zu reduzieren. Bei uns sprechen aber alle mehr als eine Sprache. Und sie hat uns gelehrt, dass Sprache in erster Linie Beziehung ist. Ein intensiver, authentischer Austausch mit Menschen ist für die Sprachbildung viel effektiver als krampfhaft an einer Sprache festzuhalten.
Welche Familien geben ihre Kinder in Ihre Kitas und mit welchem Ziel?
Das sind zum einen deutsch-italienische Familien, die Italienisch, als die schwächere Sprache, unterstützt wissen möchten. Viele sind Einwanderer in der dritten Generation, die die eigene Herkunftssprache nicht beherrschen und die möchten, dass das eigene Kind die Bildungssprache lernt oder sich einfach mit der Verwandtschaft in Italien unterhalten kann. Einige Familien sind kürzlich aus Italien gekommen und möchten ihrem Kind eine „sanfte Landung“ in der neuen Welt gönnen, in die sie katapultiert wurden. Dann haben wir deutsche und anderssprachige Familien, die uns wegen der Reggio-Pädagogik wählen oder einfach Gutes über uns gehört haben.
Wenn Sie heute eine Kita eröffnen würden, würden Sie sich wieder für Bilingualität entscheiden?
Unbedingt. Nicht nur, weil ich selbst meine Kinder zweisprachig erziehe. Nicht nur, weil Kinder durch eine zweisprachige Kita ohne Anstrengung eine weitere Sprache erlernen, was viele Schüler später große Mühe kostet. Sondern auch, weil für viele Menschen in unserer Gesellschaft die Zweitsprache mit einem kulturellen Universum und letztlich mit der eigenen Identität zusammenhängt. Wenn alle Bereiche des Lebens eines Kindes geachtet und gepflegt werden, kann sich seine Persönlichkeit am besten entfalten.
Einige Einrichtungen planen eine bilinguale Gruppe zu eröffnen. Welche Vorteile hätte die Kita?
Wenn die gewählte Sprache auch die sogenannte Herkunftssprache einiger Kinder wäre, dann hätte man sehr schnell einen deutlichen Gewinn in deren kognitiver Entwicklung. Gerade Kinder, die wenig bis keine Deutschkenntnissen haben, könnten ihre Entdeckung der Welt erstmal in der neuen Umgebung fortsetzen, ohne zuerst die Sprachbarriere abbauen zu müssen. Die Kita könnte außerdem Fördergelder für Coaching und Material erhalten. Die Stadt Köln unterstützt nämlich solche Vorhaben mit einer einmaligen Starthilfe von 12.000 €.
Haben Sie eine solche Hilfe in Anspruch genommen?
Leider nicht. Zu der Zeit gab es diese Gelder nicht. Außerdem hätten wir nicht gewusst, wer uns hätte coachen können. Wir gehören anscheinend zu den Pionieren in diesem Bereich.
Aber gegen eine Starthilfe hätten Sie sicherlich nichts gehabt…
Geld ist nicht immer die beste Hilfe. Viel wichtiger wäre eine Lockerung des Anerkennungsverfahrens ausländischer Abschlüsse! Wir mussten oft talentierte, hochqualifizierte und hochmotivierte Pädagoginnen oder Pädagogen, die in ihrem Heimatland für diese Arbeit befähigt sind, ablehnen, weil sie den deutschen Fachkräften nicht gleichgestellt sind. In manchen Fällen hat eine Kinderpflegerin mit zweijähriger Ausbildung bessere Chancen als jemand mit einem Master in Erziehungswissenschaften. Das ist einfach bitter und bei dem aktuellen Fachkräftemangel schwer zu verstehen.
Was braucht eine Kita, die sich ‚bilingual‘ nennen möchte?
Wenn jeden Tag auch eine andere Sprache als Deutsch gesprochen, gesungen, vorgelesen, gefeiert, sprich „gelebt“ wird, dann hat man Bilingualität. Besser wäre, ein Bilingualitätskonzept zu haben, das die Arbeit theoretisch untermauert. Sprechinnen und Sprecher, die auch die andere Kultur vermitteln können, sind auch ein wichtiges Kriterium. Andernfalls vermittelt man einfach eine Fremdsprache. Das machen viele Einrichtungen mit Englisch. Die Qualität der Sprachvermittlung ist dann oberflächlicher als bei Bilingualität. Europäische Förderprogramme (Erasmus oder Comenius) finanzieren auch Praktikantinnen und Praktikanten. Die kann man so einsetzen, wie in der Schule Fremdsprachenassistentinnen oder -assistenten eingesetzt werden. Wer in unseren Kitas arbeitet, freut sich besonders über personelle Entlastungen. Ein ausgearbeitetes bilinguales Konzept würde auch diesen Vorteil mit sich bringen.
Frau Abbruscato ich danke Ihnen für dieses Gespräch.
Gerne. Ich habe zu danken.