Klick, klick, Propaganda. Grundzüge eines Präventionsprogramms gegen Radikalisierung durch Internet-Propaganda an Schulen im EU-Forschungsprojekt CONTRA.
Julian Ernst, Dr. Josephine B. Schmitt, Dr. Diana Rieger, Michalina Trompeta, Prof. Dr. Gary Bente, Prof. Dr. Peter Vorderer und Prof. Dr. Hans-Joachim Roth • Artikel im ZMI Magazin 2016, S. 7
Das Internet ist längst selbstverständlicher Bestandteil der Lebenswelten Jugendlicher. Auf Plattformen wie YouTube, Instagram oder Facebook bewegen sich Jugendliche routiniert und in großer Vertrautheit. Beiträge werden kommentiert, Bilder geteilt. Beliebt ist vor allem auch das Anschauen von Videos via Smartphone und anderer mobiler Endgeräte. Doch nicht alle online verfügbaren Inhalte können als unproblematisch eingeschätzt werden. Zunehmend haben auch extremistische Gruppierungen soziale Online-Netzwerke als effizientes Medium zur Verbreitung ihrer radikalen Botschaften entdeckt: Kaum anderswo lässt sich Propaganda anonym und derart einfach mit wenigen Klicks veröffentlichen und ist mit noch weit weniger Klicks für jede Person mit einem Internetanschluss zugänglich.
Jugendliche laufen hierdurch im medialen Alltag konstant Gefahr, sich Propagandainhalten auszusetzen – sei es gewollt oder durch Zufall. Extremistische Propaganda – unabhängig von ihrer ideologischen Ausrichtung – kann in verschiedener Gestalt vorliegen: Videos, aber auch Musikstücke, Bilder und Kommentare präsentieren antidemokratische Thesen, predigen Hass gegen bestimmte Gruppen und rufen zu Gewalt auf. Die Inhalte dienen nicht nur der Vermittlung von Informationen über die vertretene Ideologie. Sie sollen begeistern und zur Rekrutierung neuer Anhänger verhelfen. Ziel der Extremistinnen und Extremisten ist es, insbesondere bei medienaffinen Jugendlichen Radikalisierungsprozesse zu befördern und diese in letzter Konsequenz davon zu überzeugen, sich in den Dienst einer vermeintlich höheren Wahrheit o.ä. zu stellen – und damit der demokratischen, wertepluralistischen Gesellschaft, Familie und Freunden den Rücken zu kehren.
Wie kann verhindert werden, dass Jugendliche sich durch online frei verfügbare Propaganda gewalttätigen und demokratiefeindlichen Ideen zuwenden? Auf diese Frage wollen wir mit dem Forschungsprojekt CONTRA Antworten geben. Das im März 2016 gestartete Projekt knüpft an aktuelle Forschungsergebnisse zu Wirkweisen von Online-Propaganda an und setzt sich zum Ziel, Lehrkräften an Schulen wirksame Konzepte und Methoden an die Hand zu geben, um Schülerinnen und Schüler gegen den Einfluss von vorwiegend audiovisueller Internet-Propaganda stark zu machen.
Was und wer ist CONTRA?
CONTRA (Countering Propaganda by Narration Towards Anti-Radical Awareness) ist ein von der Europäischen Kommission gefördertes Forschungsprojekt, in dem ein Programm zur Prävention der Wirkweisen rechtsextremistischer und islamistischer Internet-Propaganda für den Einsatz in Schulen erarbeitet wird. Die derzeit in Entwicklung befindlichen Einheiten und Methoden für den Unterricht werden im Frühjahr 2017 erstmals an Schulen in Deutschland eingesetzt. Ihr Erfolg wird dann evaluiert werden. Die dabei in Deutschland gesammelten Erfahrungen sollen dann auch in anderen EU-Staaten genutzt werden. Das international und interdisziplinär zusammengesetzte Forschungsteam besteht aus Medienpsychologen und Erziehungswissenschaftlern der Universitäten Köln, Mannheim und Haifa (Israel), internationalen Experten von Sicherheitsbehörden aus den Niederlanden (NCTV), Österreich (Österreichischer Verfassungsschutz) und Deutschland (Bundeskriminalamt) sowie Praktikern der Präventions- und politischen Bildungsarbeit mit Jugendlichen (Ufuq e.V., Bundeszentrale für politische Bildung, 180° Wende).
CONTRA möchte die Aufmerksamkeit Jugendlicher und Pädagoginnen und Pädagogen für radikale Botschaften, sowohl islamistische als auch rechtsextremistische, schärfen, das kritische Reflexionsvermögen stärken sowie die genannten Gruppen zur Teilnahme am sozialen bzw. medialen Diskurs über Extremismus befähigen. Langfristig soll so Radikalisierungsprozessen entgegengewirkt werden, welche durch – im Schwerpunkt audiovisuelle – Online-Angebote bedingt und gefördert werden. Doch welche Rolle spielen Internetvideos überhaupt in der Hinwendung zu radikalen Ideologien?
Radikalisierung durch Internetvideos
Die vorliegenden Forschungsergebnisse zu Radikalisierungsprozessen erlauben kaum konkrete Aussagen über typische Verläufe. Soviel ist dennoch klar: Der Einfluss radikaler Propaganda im Internet auf Entwicklungen und Entscheidungen Jugendlicher darf nicht unterschätzt werden.
Auf Propaganda können Jugendliche über Freunde und Bekannte sowie auch durch Zufall bei der Suche nach jugendtypischen Fragestellungen der Identitätssuche stoßen – von „darf ich einen Freund haben?“ über „was ist eigentlich deutsch?“ wird ein breites Spektrum an Themen bedient. Sowohl rechtsextremistische als auch islamistische Akteurinnen und Akteure verknüpfen ihre Videobotschaften geschickt mit Schlagworten, die oberflächlich keinen weiteren Aufschluss darüber geben, ob es sich um Propaganda handeln könnte oder nicht.
Eine grundsätzlich befürwortende Haltung gegenüber Propagandavideos lässt sich bei jungen Erwachsenen nicht finden. So geht aus der Studie „Propaganda 2.0“ hervor, dass viele junge Erwachsene Propagandavideos eher ablehnen und sie häufig gar nicht bis zu Ende ansehen. Größere Zustimmung zu Propaganda zeigt sich in Abhängigkeit zum Ausbildungsstand der Teilnehmer: Bei Studierenden stieg die Ablehnung von Propaganda, wenn sie ein potentielles Zugehörigkeitsgefühl auslöst. Dies kann beispielsweise der Fall sein bei Propaganda, die Zuschauerinnen und Zuschauer als ingroup adressiert. Im Falle rechtsextremistischer Propaganda sind dies „Deutsche“, „Volksgenossen“ oder ähnliche Gruppenkonstruktionen, bei islamistischer Propaganda werden Musliminnen und Muslime adressiert oder jene, die sich für den Islam als Lebensform interessieren. In rechtsextremistischer Propaganda gelten Musliminnen und Muslime zugleich häufig als outgroup, d.h. sie werden pauschal abgewertet und zu Feinden erklärt. Bei Berufsschülerinnen und -schülern stieg das Interesse an Propaganda, wenn es sich um Propaganda mit „ingroup“-Bezug handelte.
Im Internet finden sich auch zahlreiche Gegenstimmen (Counter-Narratives/Counter-Messages). Zu einem großen Teil werden diese von staatlichen Institutionen und zivilgesellschaftlichen Akteuren organisiert und publiziert. So stellen sich zum Beispiel verschiedene muslimische YouTuberinnen und YouTuber radikalen Argumentationen des rechten und islamistischen Lagers entgegen. Die „Datteltäter“ etwa parodieren in ihren YouTube-Videos sowohl Islamfeinde als auch Islamisten und bringen damit die Absurdität entsprechender ideologischer Forderungen zum Ausdruck. Auch Dominik Musa Schmitz kontert die vermeintlich attraktiven Angebote von Neo-Salafisten: Er ist prominenter Aussteiger aus der deutschen neo-salafistischen Szene und erzählt rückblickend über seinen Radikalisierungsprozess und den Weg aus der Szene.
Gegenbotschaften haben zum Ziel, Propaganda zu entkräften und Alternativen zu radikalem Denken aufzuweisen. Die Wege sind unterschiedlich: So stehen die beiden genannten Beispiele für ironisch-performative Inszenierungen und rationale Aufklärung durch Information und Lebenserzählung.
Doch können Gegenerzählungen auch scheitern? Können sie Jugendlichen vielleicht sogar indirekt Wege zur Propaganda eröffnen?
Nur einen Mausklick von der Gegenbotschaft zur Propaganda
Die Pfade zur Propaganda, etwa auf der Video-Plattform YouTube, verlaufen nicht zwangsläufig gradlinig. So stoßen Jugendliche nicht nur durch die gezielte Suche auf audiovisuelle Manipulationsversuche. Radikale Botschaften sind für viele Jugendliche potentiell nur einen Mausklick weit entfernt – dies trifft selbst dann zu, wenn Videos von Gegenstimmen abgerufen werden. Öffnet man zum Beispiel auf YouTube den Kanal von Dominik Musa Schmitz, werden durch den automatisierten Algorithmus der Plattform neben den „Datteltätern“ auch Kanäle als ähnlich vorgeschlagen, deren Sender und Inhalte man als überaus problematisch einstufen kann (s. roter Rahmen in der Abbildung). Neben dem Kanal des im deutschsprachigen Raum bekannten neo-salafistischen Predigers Pierre Vogel, wird auch der Kanal „Die wahre Religion“ empfohlen: Der Videokanal einer für ihre Missionierungsarbeit (auch: Da`wa-Arbeit) bekannten Gruppierung um den neo-salafistisch ausgerichteten Aktivisten Ibrahim Abou-Nagie.
Das im Rahmen von CONTRA entwickelte Präventionsprogramm möchte Jugendliche auf solche Herausforderungen und Fallstricke im Umgang mit Online-Angeboten aufmerksam machen, für die Verführung durch einfache Propagandaantworten sensibilisieren und zu eigener Positionierung ermutigen.
Nicht bewahren: Befähigen!
Am oben genannten Beispiel wird deutlich, dass Jugendliche während des alltäglichen Surfens jederzeit auf radikale Botschaften stoßen können – sei es gewollt oder einfach nur zufällig. Da Mediennutzung ein bedeutsamer Teil der Freizeitgestaltung Jugendlicher ist, ist der Versuch, Jugendliche von potentiell radikalisierenden Inhalten fernzuhalten, aus (medien-)pädagogischer Perspektive keine Option. CONTRA folgt der Auffassung, dass Jugendliche nicht vor der Konfrontation mit Propaganda im Internet „bewahrt“ werden können. Sie müssen jedoch darauf vorbereitet werden, diese Manipulationsversuche im Internet erkennen, reflektieren und einordnen zu können. Hierfür zentral ist die Förderung der kritischen Medienkompetenz.
Förderung kritischer Medienkompetenz: #weARE
Unter kritischer Medienkompetenz wird in CONTRA, nach Ganguin und Sander, „eine analytische, reflexive und ethische Einordnung bzw. Beurteilung medialer Inhalte“ verstanden, im Speziellen von Propaganda. Schülerinnen und Schüler sollen fähig sein, etwa die im Beispiel (siehe Abbildung) dargestellten Verknüpfungen von Videos mit zweifelhaften Kanälen zu erkennen bzw. im Falle des Aufrufens kritisch hinterfragen zu können. Dies bedarf spezifischen Wissens, Fähigkeiten und Haltungen. Diese spiegeln sich bei CONTRA in drei Zieldimensionen wider: awareness (Aufmerksamkeit), reflection (kritische Reflexion) und empowerment (Stärkung eigener Positionierung), eingängig abgekürzt mit #weARE. Die Dimension awareness beschreibt eine grundlegende Aufmerksamkeit für radikale Botschaften im Netz, das schlichte Wissen darüber, dass man auf YouTube und anderen Online-Portalen auf Propagandainhalte verschiedener Gestalt stoßen kann. Reflection geht bereits einen Schritt weiter. Schülerinnen und Schüler können bestimmte Kriterien an Online-Inhalte (z. B. Videos) anlegen und zu einem Schluss kommen: Handelt es sich gerade um Internet-Propaganda oder nicht? Die Ebene der Handlung und des Aktiv-Werdens ist ebenfalls berücksichtigt. Mittel und Wege nicht nur zu kennen, sondern auch zu nutzen, beispielsweise den Inhalten hasserfüllter Videos oder Kommentare etwas entgegensetzen und die eigene Stimme und Position als machtvoll wahrzunehmen und einsetzen zu können – dies meint empowerment.
Konkrete Methoden zur Förderung kritischer Medienkompetenz und Prävention von Radikalisierung werden bis zum Ende der Projektlaufzeit von CONTRA im Frühjahr 2018 entwickelt, evaluiert und publiziert. Bei konkreten Fragen zum Projekt besuchen Sie die Projektwebseite www.project-contra.org.
1 Vgl. S.172 f. bei Calmbach, M./Borgstedt, S./Borchard, I./Thomas, P. M./Flaig, B. B. (2016). Wie ticken Jugendliche 2016? Lebenswelten von Jugendlichen im Alter von 14 bis 17 Jahren in Deutschland. Springer Verlag, Wiesbaden 2016.
2 Vgl. bei Medienpädagogischer Forschungsverband Südwest (Hrsg.). JIM 2015. Jugend, Information, (Multi-) Media (mpfs). Basisstudie zum Medienumgang 12- bis 19-Jähriger in Deutschland.
3 Vgl. bei Jugendschutz.net (Hrsg.) (2015a): Islamismus im Internet. Propaganda-Verstöße-Gegenstrategien. Mainz. sowie bei Jugendschutz.net (Hrsg.) (2015b): Rechtsextremismus online. Beobachten und nachhaltig bekämpfen. Bericht über Recherchen und Maßnahmen im Jahr 2014. Mainz.
4 Rieger, Diana/Frischlich, Lena/Bente, Gary (2013): Propaganda 2.0. Psychological Effects of Right-Wing and Islamic Extremist Internet Videos. Luchterhand Verlag, Köln. Online abrufbar unter: https://www.bka.de/SharedDocs/Downloads/DE/Publikationen/Publikationsreihen/PolizeiUndForschung/1_44_Propaganda2.0.html
5 Vgl. bei Wiedl, Nina/Becker, Carmen (2014): Populäre Prediger im deutschen Salafismus. Hassan Dabbagh, Pierre Vogel, Sven Lau und Ibrahim Abou Nagie. In: Schneiders, Thorsten Gerald (Hrsg.): Salafismus in Deutschland. Ursprünge und Gefahren einer islamisch-fundamentalistischen Bewegung. Transcript Verlag, Bielefeld 2014. S.187-215.
6 Vgl. S.233 bei Ganguin, Sonja/Sander, Uwe (2015): Zur Entwicklung von Medienkritik. In: von Gross, Friederike/ Meister, Dorothee M./Sander, Uwe (Hrsg.): Medienpädagogik – ein Überblick. Beltz Juventa, Weinheim und Basel 2015. S.229-246.
7 Vgl. S.234 ebd.