Verrückt? Mit Kindern aus dem vierten Schuljahr nach Venedig – Aus dem Verbund Kölner europäischer Grundschulen
Maja Scheerer, Susanna De Faveri, Maria Antonietta Gallo • Artikel im ZMI Magazin 2014, S. 23
Mai 2014. 21 Kinder der Klasse 4i und drei Lehrerinnen der KGS Zugweg gehen in Köln an Bord eines Flugzeuges, um nach Mestre/Venedig zu fliegen und dort ihre Partnerklasse zu besuchen, die sie seit der ersten Klasse haben. An Bord ein lebhafter Sprachenmischmasch der Kinder: „Ich will aber neben Laura sitzen!“ – „Giuseppe, vieni qui da me!“ – „Ναι, αλλά δεν θέλω να κάτσω δίπλα στη δασκάλα!“– „Çiğdem, was heißt nochmal Flugzeug auf Türkisch?“ – „Ho paura, non sono mai andata in aereo!“ – „Warum soll ich das Handy im Flugzeug beim Start ausmachen? Frau Scheerer, bist du aber altmodisch!“ Während des Fluges eine MP3-Disco, nach der Landung spontaner Applaus der Kinder für den (Auto-)Piloten. Und dann ein Begrüßungsapplaus für uns am Flughafen in Mestre/Venedig…
Wir Lehrerinnen wurden schon während der Planung der Klassenfahrt immer wieder gefragt, wie es möglich ist, mit so vielen „kleinen“ Kindern eine solche Fahrt durchzuführen. Die Antwort war und ist: Es ist möglich, bedarf aber genauester Vorbereitungen auf beiden Seiten (in unserem Fall Deutschland und Italien) und ist somit mit sehr viel Zusatzarbeit der Lehrkräfte verbunden.
Zunächst ist eine solche Fahrt in unseren Augen nur sinnvoll, wenn es einen persönlichen Bezug der Kinder zum „Reiseland“ gibt. Also keine Klassenfahrt als reine „Kulturreise“, sondern ein Besuch bei Freunden, eine interkulturelle Begegnung im Klassenverband. Wir waren mit unserer Partnerklasse in Mestre seit dem ersten Schuljahr in Kontakt, zunächst per Bild und Brief, dann per Mail, schließlich auch per Skype.
Alle Kinder wollen andere Länder und Kulturen kennen lernen
Unsere Klasse ist bilingual, d.h. an der KGS Zugweg gibt es einen bilingualen deutsch-italienischen Zweig, in dem die Kinder – egal welcher Herkunftssprache – vom ersten Schultag an täglich eine Stunde Italienischunterricht haben und in welcher der Sachunterricht zweisprachig unterrichtet wird. Unsere Partnerklasse in Italien dagegen lernt kein Deutsch. Doch gemeinsam haben wir das Interesse an anderen Ländern, Sprachen und Kulturen, und so lernten die Kinder während der vier Jahre schon viel über Unterschiede und Gemeinsamkeiten in Italien und Deutschland.
Durch unsere Klassenfahrt nach Italien wurde dieser interkulturelle Aspekt noch stärker vertieft. Die Kinder waren in Familien untergebracht, immer zwei Kölner Kinder in einer italienischen Familie. Dadurch, dass die Familien aber auch ein Kind im selben Alter hatten und sie mit einem Kölner Klassenkameraden bzw. einer Kölner Klassenkameradin in einer Familie waren, fühlte sich keines unserer Kinder allein oder überfordert und konnte durch die Teilnahme am italienischen Familien- und Schulalltag authentische interkulturelle Kommunikationserfahrungen sammeln.
Wir wurden nicht nur mit Applaus am Flughafen empfangen, sondern auch in der Schule von allen Klassen mit Vorführungen begrüßt unter dem Motto „Arcobaleno – Un ponte tra me e gli altri“ („Regenbogen – Eine Brücke zwischen mir und den anderen“). Um dies sichtbar zu machen, hing in der Schule ein riesiger Regenbogen, der von den Klassen gemeinsam zum Thema „Interkulturelle Freundschaft“ gestaltet wurde, und es wurden gemeinsam italienische Freundschaftslieder gesungen, die wir auch in Köln nach Absprache mit Mestre gelernt hatten. Die Turnhalle als Veranstaltungsraum war nicht nur mit Italien- und Deutschlandflaggen, sondern auch mit vielen Europaflaggen geschmückt, die Präsentationen der Klassen waren nicht nur auf Italienisch, sondern auch auf Englisch, Deutsch, Spanisch und Venezianisch, und persönlich begrüßt wurden wir nicht nur von der Schule samt Schulleiterin, sondern auch von anderen Eltern und u.a. der Kulturbeauftragten der Comune di Venezia (vergleichbar mit der Stadt Köln).
Venedig für alle
Über diese Verbindungen bekamen wir z.B. das Mittagessen in der Schulmensa in der ganzen Woche kostenlos, und auch für den Ausflug nach Venedig mit Führungen in Dogenpalast und Markusdom viele Vergünstigungen. Die Finanzierung der Fahrt wurde auch durch Kölner Sponsoren ermöglicht, da die Kölner Kinder im Vorfeld viele Firmen usw. angeschrieben haben und ihr Anliegen erklärt haben, dass sie am Ende der vierten Klasse ihre Freunde in Mestre/Venedig besuchen möchten. Als Kosten für die Fahrt fielen durch die verschiedenen Unterstützungen nur noch an: Flugkosten (wir haben einen recht günstigen Gruppenpreis gebucht), Ausflugskosten für Venedig, etwas Taschengeld und ein Gastgeschenk für die italienische Familie. Durch die Briefe der Kinder, in denen sie Firmen um finanzielle Unterstützung baten, konnten alle Kinder mitfahren, kein Kind musste aus familiären finanziellen Gründen zu Hause bleiben. In Mestre verbrachten wir drei Tage gemeinsam in der Schule und anderthalb Tage bei Ausflügen in Venedig. Diese Zeit wurde von den Lehrerinnen in Mestre und Köln gemeinsam geplant. Als Gastgeschenk präsentierten wir einen selbst gedrehten Film über Köln: „Questa è Colonia“ – „Das ist Köln“. Hierüber freuten sich die italienischen Freundinnen und Freunde sehr. Viele verspürten danach den Wunsch, selbst in unsere wunderschöne Stadt zu reisen. Dieser Film entstand durch die freundliche Unterstützung der Regisseurin Besime Atasever.
Kekse zum Frühstück?
Unsere Schülerinnen und Schüler nahmen Unterschiede und Gemeinsamkeiten wahr, sowohl in der Schule als auch in den Familien, z.B. die Schulkleidung, die Unterrichts- und Pausenzeiten (verbindliche Ganztagsschule in Italien, dafür eine längere Mittagspause mit Mensaessen, wozu die italienischen Kinder aber ihr eigenes Geschirr mitbringen!), die Frühstücksgewohnheiten (kein Brot, sondern Kekse) usw. Hinzukommend die Eigenheiten der Stadt Venedig: Keine Autos, sondern Wasserbusse (Vaporetti), keine Straßen, sondern Fußwege mit vielen Brücken usw. – und schließlich das Eintauchen in die italienische Sprache…
Bei der Vorbereitung haben die Lehrkräfte darauf geachtet, dass Kindern genügend Spielzeit bleibt, was für Kinder in diesem Alter sehr wichtig ist. Zudem wurden im Vorfeld noch in Köln mit den Kindern beliebte Spiele der italienischen Kinder gespielt und deren Regeln erklärt, so dass die Kinder gleich gemeinsam losspielen konnten. Bereits am ersten Schultag in der ersten Pause spielten die Kinder wie alte Freunde gemeinsam, so dass nicht zu erkennen war, wer aus Köln und wer aus Mestre war. Vermutlich erleichterte der vorangegangene Skype-Kontakt auch das Wiedererkennen der Kinder, da sie dadurch nicht nur Kontakt zu ihrer Briefpartnerin oder ihrem Briefpartner hatten, sondern auch die anderen Kinder bereits ‚kannten’.
Anstrengend, aber begeisternd
Natürlich ist eine solche Reise für die beteiligten Lehrkräfte anstrengend und mit viel Zusatzarbeit verbunden, insbesondere in der Vorbereitung, dennoch ist alle Skepsis, die uns im Vorfeld begegnet ist, zu widerlegen. Am treffendsten brachte es eine italienische Lehrerin auf den Punkt. Sie sagte ganz klar, sie habe sich im Vorfeld nicht an der Planung beteiligt, da sie der Meinung war, es sei verrückt, mit Viertklässlerinnen und Viertklässlern von neun und zehn Jahren eine solche Reise durchzuführen. Als wir nun dort waren habe sie aber erlebt, dass es durchaus möglich und sinnvoll sei, sie sei begeistert, mit welcher Neugierde und Offenheit sich die Kinder beiderseits begegneten, sie selbst würde eine solche Reise aber nicht durchführen, da ihr die Verantwortung zu groß sei.
Aber was zählt schon die Verantwortung, wenn man bei einer solchen Fahrt die strahlenden und staunenden Kinderaugen sieht?
Nur zwei Koffer fehlten
Die Verantwortung ist nicht zu leugnen, aber nach dieser Reise können wir nur sagen: Alles hat gut geklappt, kein Kind ist in Venedig verloren gegangen, es ist nichts passiert, niemand hatte großes Heimweh, lediglich ein Ausweis eines Kölner Kindes schien verloren, so dass eine Lehrerin bei der italienischen Polizei eine Verlustmeldung machte, damit das Kind mit diesem Nachweis wieder mit zurückfliegen konnte. Bei der Ankunft in Köln fehlten zwei Koffer, die noch in Mestre waren und am nächsten Tag den Kindern nach Hause geliefert wurden. Und das war das Schlimmste, das passiert ist…
Wir können mit dem Ziel interkultureller Begegnungen nur empfehlen, solche Reisen durchzuführen. Kinder im Alter von neun oder zehn Jahren haben genau das richtige Alter, um interkulturell und sprachlich von einer solchen Erfahrung zu profitieren. Sie beobachten, werten nicht und stellen mit kindlicher Unbefangenheit fest, dass manches anders ist. Inklusion ist in Italien beispielsweise eine Selbstverständlichkeit, so staunten die Kinder nicht schlecht, dass z.B. ein blindes Kind und Kinder mit anderen Behinderungen die Schule besuchen. Zudem überwinden sie Sprachbarrieren und wachsen daran – und gewinnen so unglaublich wichtige Erfahrungen für das Leben!
Wie nachhaltig die Fahrt war, zeigt sich auch an der Tatsache, dass mindestens vier unserer Kölner Kinder in den Sommerferien gleich wieder mit ihren Familien nach Mestre/Venedig fuhren und auch einige italienische Familien nach Köln kommen wollen, denn teilweise haben sich auch Eltern aus Köln und Mestre angefreundet…