Modellprojekt der Stadt Köln: Bilinguale Kitas
von Anja Kolb-Bastigkeit • Artikel im ZMI Magazin 2012, S. 12
Kinder lernen Sprachen viel leichter als Erwachsene, das ist klar. Während Erwachsene Grammatik und Vokabeln büffeln müssen, nehmen Kinder eine neue Sprache wie von selbst auf. Bilinguale Kitas und Schulen nutzen diese Sprachbegabung der Kinder, daher sind sie bei Eltern sehr beliebt. Das gilt vor allem für Angebote mit Beteiligung der englischen Sprache.
Frühe Zweisprachigkeit hat über das spielerische Erlernen von zwei Sprachen hinaus für die Kinder weitere, wissenschaftlich nachgewiesene Vorteile. Die Kinder sind im Denken und Handeln kreativer und flexibler, sie entdecken schon in jungen Jahren anhand ihrer verschiedenen Sprachen unterschiedliche Ausdrucksformen und regelhafte Strukturen, und sie reflektieren mehr. Diese Vorteile sind selbstverständlich unabhängig davon, welche Sprachen gelernt werden. Man kann aber sagen: Je komplexer die Struktur einer früh gelernten zweiten Sprache ist, desto leichter lernen Kinder später weitere Sprachen.
Frühe Mehrsprachigkeit funktioniert dann gut, wenn beide Sprachen in die Lebenswelt der Kinder eingebettet sind. Darin besteht oft die Schwierigkeit bilingualer Angebote mit Englisch, wenn nämlich weder die pädagogische Fachkraft noch die Kinder in ihrem Alltag Englisch als Kommunikationssprache nutzen.
Die deutsch-italienisch geführten Kitas des Caritasverbandes für die Stadt Köln zum Beispiel nutzen die Sprachkompetenzen der in Köln lebenden Familien mit italienischer Herkunft für ihre zweisprachige Arbeit mit den Kindern. Von einem solchen Vorgehen profitieren sowohl die „von Hause aus“ zweisprachigen Kinder als auch die zunächst einsprachig deutschen. Sie erfahren eine fremde Sprache und Kultur hautnah, lebendig und aus erster Hand. Ein solches Programm ist möglich, wenn die Erzieherinnen und Erzieher mit den entsprechenden sprachlichen und pädagogischen Kompetenzen zur Verfügung stehen.
Auf Anregung des Integrationsrates der Stadt Köln führt das städtische Jugendamt seit November 2010 ein Modellprojekt in zwei Kitas durch. Die viergruppige Kita in der Teufelsbergstraße in Chorweiler-Blumenberg begleitet die Kinder in einer Gruppe in Türkisch und Deutsch und in einer Gruppe in Russisch und Deutsch. Die zweite am Projekt beteiligte Kita befindet sich in der Lustheider Straße in Köln-Vingst. Es handelt sich hier um eine fünfgruppige Einrichtung, in der in einer Gruppe Türkisch und Deutsch gesprochen wird. In beiden Kitas gibt es sowohl Kinder als auch ausgebildete Erzieherinnen, deren Herkunftssprache die jeweils eingesetzte Sprache ist, so dass die Sprachen in den Alltag eingebettet verwendet werden können.
Oberstes Gebot beim Start des Projekts ist die Freiwilligkeit. Sowohl die beteiligten pädagogischen Fachkräfte als auch die Kinder und ihre Eltern müssen sich aus freien Stücken für die Zweisprachigkeit entscheiden können. Daher begann das Projekt mit Informationsveranstaltungen zum Thema der frühen Mehrsprachigkeit. Bei einigen Eltern gab es Vorbehalte. Sie befürchteten, dass ihre Kinder nicht mehr genügend Kontakt mit der deutschen Sprache haben würden. Die Resonanz der beteiligten Eltern war größtenteils sehr positiv, so dass einem Start des Modellprojektes im November 2010 nichts im Wege stand. Lediglich eine – in der Teufelsbergstraße geplante – Gruppe mit einem deutsch-polnischen Angebot konnte aufgrund der Widerstände in der polnischen Elternschaft leider nicht starten.
Auch in der Kita gab es Bedenken hinsichtlich des Projekts. Die herkunftssprachlichen Erzieherinnen, die ihre Ausbildung in der deutschen Sprache absolviert und bislang ausschließlich mit deutschen Materialien gearbeitet hatten, waren unsicher, ob sie den Kita-Alltag durchgehend in der anderen Sprache würden bewältigen können. Wegen der Unsicherheiten auf Seiten der Eltern und der Erzieherinnen wurde für das Projekt eine Probezeit vereinbart, nach der eine Entscheidung über die Fortführung des Projekts stattfinden sollte.
In den beiden Kitas wird nach dem Immersionsprinzip gearbeitet, das heißt, die Kinder bekommen ein „Sprachbad“, das konsequent angewandt wird: eine Erzieherin, eine Sprache. In der zweisprachigen Gruppe spricht eine Erzieherin durchgängig die andere Sprache, also Türkisch bzw. Russisch, während zwei andere Erzieherinnen durchgängig Deutsch sprechen. Die „Arbeits- und Verkehrssprache“ in den Kindertageseinrichtungen bleibt Deutsch. Selbstverständlich findet weiterhin eine Sprachförderung in der deutschen Sprache mit den Kindern statt, denen Sprachförderbedarf im Rahmen des Sprachstandsfeststellungsverfahrens nach § 36 Abs. 2 Schulgesetz bescheinigt wurde.
Beide Einrichtungen wurden kontinuierlich vom Jugendamt begleitet und insbesondere in der Elternarbeit unterstützt. Regelmäßig alle vier bis fünf Monate fanden Elternabende statt, in denen Zeit für Fragen ist. Schnell war dabei klar, dass die Kinder durch die zweisprachige Betreuung keine Nachteile beim Deutschlernen haben, und dass das Projekt fortgeführt werden soll.
Die Erzieherinnen bekamen durch das Zentrum für Mehrsprachigkeit und Integration finanzierte „Sprachcoaches“ in Türkisch und Russisch, die auch Reime, Aktivitäten und Spiele besorgen konnten. Darüber hinaus stand den beiden Kitas bei Bedarf eine Diplom-Sprachheilpädagogin als „Personal Coach“ zur Seite. Zu ihren Aufgaben zählen neben der Vermittlung von Informationen zu Sprachentwicklung und Mehrsprachigkeit auch die Supervision und die Beratung. Die Kosten für das Modellprojekt (notwendiges bilinguales Spiel- und Beschäftigungsmaterial und die Sprachheilpädagogin) werden aus den Sachmitteln der Landesmittel für die Sprachförderung in den Kindertageseinrichtungen bestritten. Diese Sachmittel wurden in den vergangenen Jahren ebenfalls für Modellprojekte und zusätzliche Fortbildungen zur Sprachförderung verwendet (z.B. Kikus München, Language Route, Sprachkonzept des Deutsches Jugend Institut München).
Im Jahr 2012 kann man für das Projekt eine positive Zwischenbilanz ziehen. Alle Kinder haben sich altersentsprechend weiterentwickelt. In beiden Modelleinrichtungen können Erfolge festgehalten werden, die sich mit den wissenschaftlichen Erkenntnissen decken. Die gesamtstädtische Konzeption für die pädagogische Arbeit in den Tageseinrichtungen gilt natürlich für diese Kitas weiterhin. Es gibt auch keine personellen Veränderungen in den Kindertageseinrichtungen. Es wird mit den vorhandenen personellen Ressourcen und Herkunftssprachen gearbeitet. Die Umstellung auf eine mehrsprachige Kindertageseinrichtung muss eine Ent- und darf keinesfalls eine Belastung für das pädagogische Personal bedeuten.
Der Abschlussbericht über das Projekt soll Ende 2012 erscheinen. Er wird zeigen, ob und unter welchen Rahmenbedingungen der Ausbau weiterer bilingualer Angebote in städtischen Kindergärten möglich ist.
Hintergrund: Natürliche Mehrsprachigkeit schon im Elementarbereich unterstützen
Nachdem 2009 der Verbund Kölner Europäischer Grundschulen gegründet wurde, ist es nur folgerichtig, die natürliche Mehrsprachigkeit schon bei den Kleinen in den Kindertageseinrichtungen zu unterstützen. Der Integrationsrat der Stadt Köln hat das Modellprojekt an Kölner Kitas initiiert und sich von Anfang an dafür eingesetzt. Die Hälfte aller Kölner Kinder unter sechs Jahren hat einen Migrationshintergrund, viele von ihnen wachsen mehrsprachig auf. Mehrsprachigkeit stellt eine wichtige Kompetenz dar, eine Schlüsselqualifikation für den globalen Markt und eine unverzichtbare Ressource für uns alle. Eine Stadt wie Köln kann von der Wertschätzung sprachlicher und kultureller Vielfalt nur profitieren.
Ein guter Anfang ist in Köln gemacht. Die Erfahrungen beteiligten Kinder, Eltern und Erzieherinnen sollen uns ermutigen mehr Angebote zu schaffen. Der Integrationsrat der Stadt Köln steht mit Rat und Tat für den Ausbau dieses Programms zur Verfügung. Viele Eltern wissen um die Vorteile von früher Mehrsprachigkeit und kennen die Bedeutung ihrer Herkunftssprachen und Herkunftskulturen für die Entwicklung ihrer Kinder. Der Europarat fordert seit langem, dass alle Europäerinnen und Europäer neben der Muttersprache mindestens zwei weitere Sprachen beherrschen. Hier in Köln haben wir die Möglichkeit, diese Forderung zu verwirklichen. Wir sollten daher die Pläne für weitere mehrsprachige Kitas so bald wie möglich in die Tat umsetzen.
Tayfun Keltek, Vorsitzender des Integrationsrates der Stadt Köln