Effektive Sprachförderung in der KiTa
von Detta Sophie Schütz • Artikel im ZMI Magazin 2012, S. 9
Seit dem Jahr 2000 wird viel über Sprachförderung in vorschulischen Einrichtungen diskutiert. Auslöser dieser Diskussion war die so genannte „Pisa-Studie“, die eindrucksvoll zeigte, dass in Deutschland Kinder aus sozial schwächeren Familien und Kinder mit Migrationshintergrund schlechtere Chancen auf Schulerfolg haben. Dabei scheint die Beherrschung der deutschen Sprache der ausschlaggebende Faktor zu sein.
In der Folge wurden in vielen Bundesländern Sprachstandserhebungen wie in NRW „Delfin 4“ eingeführt, mit Hilfe derer festgestellt werden soll, welche Kinder einen sprachlichen Förderbedarf haben. Die Kindertageseinrichtungen sind gefordert, mit diesen Kindern eine Sprachförderung durchzuführen, um ihre deutschsprachlichen Fähigkeiten soweit voran zu bringen, dass sie dem Unterricht in der Schule folgen können. In der Regel ist es den Einrichtungen völlig frei gestellt, welche Sprachförderkonzepte oder -programme sie anwenden oder ob sie die Sprachförderung selbst gestalten.
Es sind zahlreiche Sprachförderverfahren auf dem Markt – und die wenigsten von ihnen sind wissenschaftlich evaluiert worden: Die wenigen Studien, welche die Effektivität der Sprachförderung untersucht haben, sind zu ernüchternden Ergebnissen gekommen – so, wie die Sprachförderung zurzeit durchgeführt wird, scheint sie deshalb nach Einschätzung vieler Beobachter ihr Ziel zu verfehlen, die Kinder ausreichend auf die schulischen Anforderungen vorzubereiten: In ihrem Aufsatz „Sprachförderung im Vorschulalter: Welche Kinder profitieren ausreichend und welche nicht?“ stellt beispielsweise Barbara Gasteiger-Klicpera im Jahr 2007 sogar fest, dass es kaum einen Unterschied macht, ob die Kinder eine Sprachförderung erhalten oder nicht.
Das Sprachförderkonzept „Language Route“ (ProLog 2007) unterscheidet sich in einigen wesentlichen Punkten von den meisten anderen Sprachförderkonzepten. So werden die Kinder mit Sprachförderbedarf nicht aus dem Gruppenverband herausgenommen und separat gefördert, sondern die Sprachförderung wird in den Kindergartenalltag integriert, sodass alle Kinder daran teilhaben und niemand ausgesondert wird. Die Erzieherinnen und Erzieher erlernen in einer Fortbildung, die von einer Logopädin oder einer akademischen Sprachtherapeutin gegeben wird, bestimmte Verhaltensweisen, mit Hilfe derer sie die Interaktion zwischen sich selbst und den Kindern sowie zwischen den Kindern so optimieren, dass diese ihre deutschsprachlichen Fähigkeiten im Alltag weiterentwickeln können. Die Sprachtherapeutin unterstützt die Erzieherinnen und Erzieher in der Umsetzung der Fortbildungsinhalte, indem sie zu Supervisionsbesuchen in die Einrichtung kommt. Zudem werden in der Kindergartengruppe alle Aktivitäten auf ein ausgewähltes Thema abgestimmt, das einige Wochen lang im Vordergrund steht. So haben beispielsweise Bastelarbeiten, Lieder, Spiele und Ausflüge vier bis sechs Wochen lang das Thema „Bauernhof“ zum Inhalt und die Kinder hören und sprechen bestimmte Wörter aus diesem Themenfeld besonders häufig. Auf diese Weise wird es ihnen erleichtert, diese Wörter zu erlernen und sicher abzuspeichern; im Mittelpunkt steht dabei immer ein zum Thema passendes Bilderbuch.
Das Projekt „LEF-MK“ der Universität zu Köln evaluierte das Sprachförderkonzept „Language Route“
Im Rahmen des Projektes „LEF-MK“, unter der Leitung von Professor Hans-Joachim Motsch, wurde an der Universität zu Köln in Kooperation mit der Stadt Köln und dem ZMI untersucht, ob die „Language Route“ eine effektive Sprachförderung ermöglicht. (Die Ergebnisse dieser Studie wurden nun in der „Vierteljahresschrift für Heilpädagogik und ihre Nachbargebiete (VHN)“ veröffentlicht.) Zur Teilnahme am Projekt „LEF-MK“ wurden in Köln drei städtische Kindertageseinrichtungen als Experimentalgruppe und drei Einrichtungen als Kontrollgruppe ausgewählt. Alle Kindergärten hatten sich freiwillig gemeldet. Es wurde darauf geachtet, dass in beiden Gruppen der Anteil der mehrsprachigen Kinder bei ca. 70 % lag und dass die Kinder der beiden Gruppen sich in ihren sprachlichen Fähigkeiten im Deutschen nicht signifikant voneinander unterschieden. Die Erzieherinnen und Erzieher der Experimentalgruppe erhielten eine Fortbildung bei einer Sprachheilpädagogin, die sie dazu befähigte, die „Language Route“ umzusetzen. In der Kontrollgruppe wurde kein bestimmtes Sprachförderkonzept umgesetzt, sondern die Sprachförderkräfte arbeiteten weiter wie zuvor: Sie holten die Kinder, die im Rahmen des Sprachstandserhebungsverfahrens „Delfin 4“ einen Sprachförderbedarf attestiert bekommen hatten, ein- bis zweimal in der Woche zur Sprachförderung aus ihren Gruppen und arbeiteten dabei mit Materialien, die sie selbst zusammengestellt hatten. Diese Art der Sprachförderung ist in den meisten Kindertageseinrichtungen üblich: Die Kinder, die in den Sprachstandserhebungen – wie man so sagt – durchgefallen sind, werden in separaten Kleingruppen gefördert und regelmäßig von den anderen Kindern ihrer Gruppe separiert. Nicht selten erhalten sie die Bezeichnung „Sprachförderkinder“ oder (in NRW) „Delfin-4-Kinder“. Es ist zu befürchten, dass dadurch eine Stigmatisierung der Kinder mit Sprachförderbedarf stattfindet. Dies ist insbesondere aus dem Grunde bedenklich, da es sich häufig um diejenigen Kinder der Gruppe handelt, die einen Migrationshintergrund haben.
Alle Kinder der Experimental- und der Kontrollgruppe wurden zu Beginn und am Ende eines Kindergartenjahres mit standardisierten Sprachentwicklungstests untersucht, um ihren Entwicklungsfortschritt feststellen zu können.
Diejenigen Kinder, die nach dem Konzept „Language Route“ gefördert worden waren, zeigten signifikante bis höchstsignifikante Fortschritte in ihren lexikalischen Fähigkeiten. Das bedeutet, dass ihr Wortschatz überzufällig an Umfang zunahm. Auch in der grammatischen Fähigkeit der Akkusativmarkierung („Wen siehst Du?“ – „DeN Hund“) zeigte sich ein höchstsignifikanter Entwicklungsfortschritt. Diese Effekte zeigten sich ebenfalls in der Kontrollgruppe. Diese Ergebnisse legen den Schluss nahe, dass Sprachförderung effektiv sein kann und widersprechen damit den Ergebnissen anderer Studien.
Um sicherzustellen, dass die Entwicklungsfortschritte tatsächlich auf die Sprachförderung zurückzuführen waren, wurden auch diejenigen Kinder der Kontrollgruppe untersucht, die keine Sprachförderung erhalten hatten. Sie nahmen nicht an der Förderung teil, da sie entweder noch nicht vier Jahre alt waren und nicht an der Sprachstandserhebung „Delfin 4“ teilgenommen hatten oder aber im „Delfin-4-Test“ keinen Sprachförderbedarf zugeschrieben bekommen hatten. Diese Kinder zeigten in dem verlässlichen, von Christiane Kiese-Himmel 2005 entwickelten Wortschatztest „AWST-R“ („AktiverWortschatztest – Revision“) keinen signifikanten Entwicklungszuwachs. Es zeigte sich also, dass die sprachlichen Fortschritte tatsächlich durch die Sprachförderung bedingt waren. Es konnte somit der Schluss gezogen werden, dass die Sprachförderung in allen sechs Kindertageseinrichtung effektiv war.
Eine Kindertageseinrichtung der Experimentalgruppe unterschied sich in einigen Tests signifikant von den Einrichtungen der Kontrollgruppe. Hier war die „Language Route“ eingesetzt worden und dies hatte zu einem größeren Entwicklungsfortschritt geführt als die Sprachförderung, die in der Kontrollgruppe durchgeführt worden war.
In der Studie wurde zusätzlich untersucht, ob die deutschsprachigen und die mehrsprachigen Kinder in gleicher Weise von der Sprachförderung profitierten. Es zeigte sich: Am Ende der Sprachförderung konnten die deutschsprachigen Kinder mehr Wörter sprechen als zu Beginn, die mehrsprachigen Kinder hingegen verstanden mehr Wörter als vor der Intervention. Die Sprachförderung hatte also bei den deutschsprachigen Kindern einen größeren Einfluss auf die Entwicklung des aktiven Wortschatzes, bei den mehrsprachigen Kindern war hingegen der Einfluss auf den passiven Wortschatz größer. Die Erklärung dafür könnte sein, dass die „Language Route“ in ihrer ursprünglichen Version keine speziell auf mehrsprachige oder auf einsprachig deutsche Kinder zugeschnittene Sprachförderung vorsieht und mehrsprachige Kinder, die über sprachliche Vorkenntnisse in ihrer Muttersprache verfügen und daher die deutsche Sprache auf andere Art erlernen als einsprachig deutsche Kinder, von der „Language Route“ nicht weniger, jedoch anders profitieren.
Der Verlag ProLog, der die deutsche Version der „Language Route“ veröffentlicht hat, reagierte auf diese Ergebnisse und hat inzwischen ein zusätzliches Modul der „Language Route“ eingeführt, dass speziell die Förderung mehrsprachiger Kinder im Fokus hat. Dabei spielt auch die Elternarbeit mit dem Ziel der Förderung der Muttersprache eine größere Rolle. Dieses Modul wurde jedoch in der Evaluationsstudie des Projektes „LEF-MK“ nicht untersucht.
Das Ergebnis des Projektes „LEF-MK“, dass Sprachförderung in Kindertageseinrichtungen effektiv sein kann, ist bemerkenswert, da es den Ergebnissen anderer Studien zur Effektivität von Sprachförderung widerspricht. Die Erklärung liegt möglicherweise in methodischen Mängeln der anderen Studien. Es kann jedoch festgehalten werden, dass die „Language Route“, offenbar im Gegensatz zu den in den anderen Studien untersuchten Verfahren, ein nachweislich effektives Sprachförderkonzept ist. Dass auch die Sprachförderung in der Kontrollgruppe effektiv war, lässt sich damit erklären, dass sich die beteiligten Einrichtungen freiwillig zur Teilnahme an der Studie meldeten und diese Sprachförderkräfte besonders engagiert waren.
Die alltagsintegrierte Förderung nach dem Konzept der „Language Route“ ist also ebenso effektiv wie eine freie Form der Sprachförderung durch sehr engagierte Sprachförderkräfte, sie ist ihr unter bestimmten Umständen sogar überlegen. Damit ist die „Language Route“ zurzeit das einzige positiv evaluierte Sprachförderkonzept. Da es sich um ein Konzept handelt, bei dem die Sprachförderung in den Kindergartenalltag integriert wird und Kinder mit Sprachförderbedarf nicht aus dem Gruppenverband ausgesondert werden, kann es einer Stigmatisierung der Kinder mit Sprachförderbedarf entgegenwirken; dies erscheint insbesondere erstrebenswert, da es sich dabei häufig um Kinder mit Migrationshintergrund handelt.
Weitere Informationen:
Motsch, H.-J., Schütz, D. 2012: Effektivität inklusiver Sprachförderung ein- und mehrsprachiger Vorschulkinder nach der „Language Route“. In: Vierteljahresschrift für Heilpädagogik und ihre Nachbargebiete, 81/2012. München: Ernst Reinhardt Verlag, S. 299–311.