Gerlind Belke und das Generative Schreiben

Gerlind Belke und das Generative Schreiben

von Petra Heinrichs im Namen der Arbeitsstelle Migration der Bezirksregierung Köln

Sie war Vordenkerin und Wegbereiterin eines sprachenbildenden Deutschunterrichts, ihre Forschungen und didaktischen Konzepte zum Erwerb konzeptioneller Schriftlichkeit und zu Mehrsprachigkeit waren wegweisend.
Die Philologin und Sprachdidaktikerin Dr. Gerlind Belke verstarb am 13. September 2024 im Alter von 85 Jahren. Ihr Lebenswerk und ihr großes persönliches Engagement waren bahnbrechend für das Programm DemeK – Deutschlernen in mehrsprachigen Klassen, das an zahlreichen Schulen der Stadt Köln sowie im gesamten Regierungsbezirk verankert wurde, um sprachliches und fachliches Lernen im Regelunterricht nachhaltig zu verzahnen. Als Herzstück solch eines integrativen Unterrichts für mehrsprachige Lerngruppen entwickelte Gerlind Belke die Methode des Generativen Schreibens.

Struktur und Kreativität
Im Spannungsverhältnis eines primär für einsprachige Kinder konzipierten Deutschunterrichts und einer schulischen Realität, in der Mehrsprachigkeit „eher die Regel als die Ausnahme“ ist, forderte Gerlind Belke schon früh eine „integrative Didaktik“, mit deren Hilfe Schülerinnen und Schüler sprachlich ebenso gefördert wie gefordert werden.1 Im regulären Deutschunterricht werden Kindern und Jugendlichen, ähnlich wie im Fremdsprachen-Unterricht, sprachliche Mittel an die Hand gegeben, welche sie dazu befähigen, sich im Bereich der konzeptionellen Schriftlichkeit sprachrichtig zu äußern. Dieses Scaffolding liefert eine Struktur, die für kreative Schreibprozesse unerlässlich ist. Besonders Textsorten der sog. Elementarliteratur (Lieder, Abzählreime, Kindergedichte etc.) und Poesie liefern durch Reim, Rhythmus und Wiederholungen Vorlagen, an denen sich die Lernenden entlang hangeln können. Sie produzieren Texte, in denen sie eigene Themen erfolgreich artikulieren und präsentieren können. Das Generative Schreiben verbindet dabei verschiedene Teilbereiche des Deutschunterrichts. So wird im produktiven Umgang mit Literatur auch der Grammatikerwerb, das Leseverstehen oder die Orthographie gefördert. Seit den 1970er Jahren hat Gerlind Belke den Ansatz der Generativen Textproduktion in intensiver Auseinandersetzung mit linguistischen, sprach- und literaturdidaktischen Theorien und nicht zuletzt auf der Basis eigener biografischer und unterrichtspraktischer Erfahrungen entwickelt.

Biografischer Hintergrund
Während des Zweiten Weltkriegs wuchs Gerlind Belke in Schweden auf. Die Familie kehrte 1947 zurück nach Deutschland. Dort musste die damals Achtjährige den deutschen Schriftspracherwerb nachholen, weil sie Deutsch zunächst mit schwedischem Alphabet und Orthographie gelernt hatte. Im Rahmen eines Studienjahres in Reykjavik unterrichtete sie Anfang der 1960er Jahre Deutsch für bilinguale deutsch-isländische Kinder. Die studierte Skandinavistin, Anglistin und Germanistin promovierte über „Abstrakta in der altisländischen Familiensaga“. An der Universität Uppsala lehrte sie im Bereich Deutsch als Fremdsprache. Nach Referendariat und Schuldienst ging sie als Akademische Rätin an die Pädagogische Hochschule Hagen, später an die Universität Dortmund, wo sie u. a. zur Didaktik des Deutschen als Fremd- und Zweitsprache sowie zu Mehrsprachigkeit und Schriftsprachenerwerb forschte und lehrte. Nach ihrer Pensionierung 2002 wurde sie Beraterin und enge Wegbegleiterin für das damals noch junge Konzept DemeK – Deutschlernen in mehrsprachigen Klassen an der Bezirksregierung Köln. Im Mittelpunkt eines DemeK-basierten Deutschunterrichts standen dabei meist literarische Texte.

Fiktionalität und Poesie
„Fiktionalität“, heißt es in einem Interview, „erlaubt einen freieren Umgang mit sprachlichen Strukturen und ist für Kinder attraktiver als die platte Reproduktion der Alltagsrealität“.2 In poetischen Texten können Tiere sprechen, Mücken mit Hennen oder über Löwen kommunizieren – wie in der nachfolgenden Geschichte von Günther Anders, die Gerlind Belke sehr mochte: Beim Generativen Schreiben werden Lernende dazu befähigt, auf der Basis dieses poetischen Ausgangstextes, in dem es um Wahrnehmung und Kommunikation geht, mit Sprache zu spielen und sich im Bereich der konzeptionellen Schriftlichkeit sicher auszudrücken. Nachfolgend finden sich exemplarisch vier von insgesamt zehn Schritten des Generativen Schreibens. Auf Wortschatzkarten werden im Nominativ Tiere und Verben der tierischen Kommunikation gesammelt. Die Artikelplakate sind bereits auf der Ebene des Satzes angesiedelt (hören + Akkusativ) und der Satzbaukasten gibt eine sprachliche Strukturhilfe für die Substitution, um schließlich eigene Texte sprachrichtig zu verfassen.

Die Generative Textproduktion kann in allen Jahrgangsstufen angewendet werden, vom Elementarbereich bis in die Sekundarstufe II. Es bedarf allerdings einer geeigneten Textauswahl samt sprach- und literaturdidaktischer Analyse. Wichtig für Gerlind Belke war stets, dass das Generative Schreiben nicht isoliert als gelegentliche Übung in einem ansonsten muttersprachlich orientierten Deutschunterricht eingesetzt, sondern eingebettet wird in ein integratives Gesamtkonzept, das von Mehrsprachigkeit als gesellschaftliche Normalität ausgeht.
Ihr Lebenswerk werden wir in Ehren halten, indem wir es weiter verbreiten und fortentwickeln.


1 Belke, Gerlind (2008): Mehrsprachigkeit im Deutschunterricht. Sprachspiele, Spracherwerb und Sprachvermittlung. 4. unveränderte Auflage, Baltmannsweiler, S. 2.
2 Struktur und Kreativität im Deutschunterricht. Interview mit Dr. Gerlind Belke. In: DemeK-Themenheft GENERATIVES SCHREIBEN in der Sekundarstufe. Textsammlung mit Didaktisierungsvorschlägen. Erprobungsfassung. Hg. v. P. Heinrichs und C. Wengmann. Beiträge der Arbeitsstelle Migration: sprachstark – Qualität in sprachheterogenen Schulen (QuisS). Köln 2018, S.13-17; S. 15.