„Grundschulbildung stärken durch HSU – Mehrsprachigkeit
unterstützt den Bildungserfolg der Kinder“ –
Mehrsprachigkeit und Herkunftssprache – unsere Lebenswelt ist nicht einsprachig geprägt.
von Manfred Höhne • Artikel im ZMI Magazin 2021/22, S. 22
In der Schule, im Freizeitbereich oder auch in den Medien begegnen uns täglich unterschiedliche Kulturen und Sprachen. Die Entwicklung einer mehrsprachigen und mehrkulturellen Handlungsfähigkeit wird zu einer übergreifenden Aufgabe von Gesellschaft und Schule. In diesem Zusammenhang kommt dem Sprachbildungsprozess eine entscheidende Rolle zu. Er bildet die Voraussetzung für Verstehen und Verständigung, für Kennenlernen und Kooperationsfähigkeit. Der Aufbau und die Förderung einer individuellen Mehrsprachigkeit sind seit Jahren wichtige Aufgaben im schulischen Kontext. Die Erfahrungen mit der Einbindung herkunftssprachlicher Fähigkeiten der Schülerinnen und Schüler im Unterricht, die einige Lehrkräfte in unseren Schulen erleben, führen zu vertiefter Sprachkompetenz und zu sichtbarer Sprachbewusstheit.
Gibt es aber so etwas wie eine Empfindung, ein Gemüt der Schule, wenn es um Sprachenvielfalt, besonders im Sinne der Mehrsprachigkeit, geht? Gibt es eine gemeinsame Grundhaltung? Und wenn ja, wie hat sie sich entwickelt und wie kann sie unterstützt werden? Schulen, und hier besonders die Grundschulen mit dem Auftrag der Alphabetisierung, haben sich seit Jahren damit beschäftigt, ihre Unterrichtsentwicklung hinsichtlich der Sprachbildung mit den Lernausgangslagen der Schülerinnen und Schüler in Passung zu bringen. Die Herkunfts- oder Familiensprachen unserer mehrsprachigen Gesellschaft haben Eingang in vereinzelte didaktische Konzepte gefunden, die teilweise im Verbund mit anderen Schulen, teilweise auch isoliert umgesetzt werden.
Das Programm
Mit dem Landesprogramm „Grundschulbildung stärken durch HSU – Mehrsprachigkeit unterstützt den Bildungserfolg der Kinder“ hat das Ministerium für Schule und Bildung in Nordrhein-Westfalen zusätzlich zum bestehenden Herkunftssprachlichen Unterricht ein schulfachlich sehr anspruchsvolles Bildungsprogramm initiiert. Mehrsprachige und mehrkulturelle Unterrichts- und Schulentwicklung durch Einbindung der Herkunftssprachen in schulische Sprachbildungsprozesse zu gestalten, stellt einen zentralen Aspekt dieses Programms dar. Die bildungssprachlichen Kompetenzen aller Schülerinnen und Schüler durch Unterricht zu verbessern, ungeachtet dessen, ob sie ein-, zwei- oder dreisprachig aufgewachsen sind, beschreibt ein Ziel und sichert die Bildungssprache Deutsch und die Mehrsprachigkeit der Kinder. Zudem erweitert eine mehrperspektivische Sicht Dank der herkunftssprachlichen Mehrsprachigkeit den Wissenserwerb dadurch, dass ein Unterrichtsgegenstand aus einer kulturell anderen Sicht oder Perspektive betrachtet und erarbeitet wird.
Die Landesstelle Schulische Integration (LaSI) bei der Bezirksregierung Arnsberg koordiniert dieses Schulentwicklungsprogramm, das in enger Kooperation mit dem Fachreferat Integration durch Bildung des Ministeriums für Schule und Bildung und der Schulaufsicht umgesetzt wird. Wichtige Kooperationspartner sind die Kommunalen Integrationszentren der teilnehmenden Schulämter.
Die Kerngedanken des Landesprogramms
Mit Beginn des Schuljahres 2021 nehmen 32 Grundschulen aus 16 Schulämtern im Land Nordrhein-Westfalen an der ersten Phase des Landesprogramms teil. Alle fünf Regierungsbezirke sind mit Grundschulen beteiligt. 34 weitere Grundschulen in NRW werden ab Februar 2022 folgen.
Dieses Sprachbildungsprogramm beinhaltet die gemeinsame Unterrichtsentwicklung einer Lehrkraft aus dem Herkunftssprachlichen Unterricht und einer Grundschullehrkraft. Hierfür erhält jede teilnehmende Grundschule zusätzlich eine volle HSU-Stelle für ein kooperierendes gemeinsames Lehren und Lernen beider Lehrkräfte. Dieses gemeinsame Lehren und Lernen der Lehrkraft aus dem Herkunftssprachlichen Unterricht und der Grundschullehrkraft kann in allen Fächern der Schule umgesetzt werden.
Ein derart angestrebtes Sprachbildungskonzept bedeutet natürlich für die gesamte Schulgemeinde auch eine Herausforderung, für die zusätzliche Unterstützungsangebote bereitstehen.
Auf regionaler Ebene finden für die teilnehmenden Schulen eine schulfachliche Begleitung und ein Austausch mit der Fachberatung „Integration durch Bildung“ des jeweiligen zuständigen Schulamtes statt.
Dafür erhalten die Fachberaterinnen und Fachberater Integration durch Bildung der Schulaufsicht ein mehrstufiges Unterstützungsangebot zur mehrsprachigen Unterrichts- und Schulentwicklung. Ein Kernteam, dem Frau Rosella Benati, Frau María Sánchez Oroquieta, Herr Franz Kaiser Trujillo und die Programmleitung angehören, sichert durch fachliche Expertise den notwendigen Austausch und einen Kompetenztransfer der Fachberaterinnen und Fachberater. Dieses mit dem Ziel, Grundlagen und mehrperspektivische Inhalte für standortbezogene und teilweise unterschiedliche Mehrsprachigkeitsprogramme der Grundschulen zu erarbeiten und darzustellen.
In Kooperation mit dem Kommunalen Integrationszentrum des teilnehmenden Schulamtes werden für jede teilnehmende Grundschule mehrsprachige Bücherkoffer für ein außerunterrichtliches Angebot bereitgestellt. Diese „Bücherkoffer NRW“ sind integrale Bestandteile dieses Landesprogramms zur Mehrsprachigkeit durch die Herkunftssprache. Das gemeinsame Lesen mehrsprachiger Literatur der Eltern mit ihren Kindern sichert einen wesentlichen Beitrag zur Lesekultur im Elternhaus. Die Kolleginnen und Kollegen der teilnehmenden Kommunalen Integrationszentren ermöglichen innerhalb des Programms diesen „rollenden Bücherkoffer NRW“ und arbeiten eng mit den Schulen und den Fachberaterinnen und Fachberatern zusammen.
Nach Überarbeitung des bestehenden Programms „Rucksack Schule“ unterstützt dieses Angebot die Bildungs- und Erziehungspartnerschaft innerhalb des Gesamtprogramms.
Fachkolloquien und Fachtagungen mit den teilnehmenden Schulen, den Erziehungsberechtigten, den Schulaufsichten und Kooperationspartnerinnen und -partnern zur Unterrichts- und Schulentwicklung ermöglichen inhaltliche und strukturelle Perspektiven einer Mehrsprachigkeit im Sinne der Multiliteralität.
Das Landesprogramm „Grundschulbildung stärken durch HSU – Mehrsprachigkeit unterstützt den Bildungserfolg der Kinder“ ist Teil des Masterplans Grundschule. Die Kernfrage, wie Schule individuelles Lernen besser unterstützen kann, ist nicht neu. Schulgesetzlich und ethisch fundiert ist es Auftrag aller am Bildungsprozess beteiligten Personen.
Durch Einbezug der Herkunftssprachen von mehrsprachigen Schülerinnen und Schülern eine Verbesserung des fachlichen Lernens durch sprachübergreifende Vermittlung zu ermöglichen, öffnet jedoch neue Lernwege. Die Akzeptanz dieser herkunftssprachlich individuellen Lernwege und die Möglichkeit, diese zu betreten, sind besondere Anliegen dieses Sprachbildungsprogramms zur Mehrsprachigkeit in der Grundschule.
Eine Zielperspektive des Landesprogramms „Grundschulbildung stärken durch HSU – Mehrsprachigkeit unterstützt den Bildungserfolg der Kinder“ ist die Förderung der deutschen Bildungssprache und die Erweiterung der bildungssprachlichen Kompetenzen in den Herkunfts- oder Familiensprachen. Dieses in allen Fächern der Grundschule durch gemeinsames Lehren und Lernen einer Lehrkraft des Herkunftssprachlichen Unterrichts und einer Grundschullehrkraft umzusetzen, sichert die Teilhabe und soziale Integration aller Schülerinnen und Schüler in unserer mehrsprachigen Gesellschaft.