und plötzlich fliegt der Stift über das Papier! Das 5. Kölner Lesekonzert

und plötzlich fliegt der Stift über das Papier! Das 5. Kölner Lesekonzert

Christiane Wengmann • Artikel im ZMI Magazin 2017, S. 32

Viele Sprachen, viele Kulturen, eine Stadt – unter diesem Motto fanden zwischen 2009 und 2012 alljährlich die Kölner Lesekonzerte statt. Nachdem dieses Projekt einige Jahre in einer Art Dornröschenschlaf geschlummert hat, wurde es nun in diesem Schuljahr von der Arbeitsstelle Migration der Bezirksregierung Köln im Rahmen des QuisS-Programms (QuisS – Qualität in sprachheterogenen Schulen) in Zusammenarbeit mit dem ZMI – Zentrum für Mehrsprachigkeit und Integration wieder wachgeküsst. Denn was damals galt, das gilt heute noch immer: An unseren Kölner Schulen gibt es viele Schülerinnen und Schüler, die Freude am Schreiben haben und die manchmal nur einen kleinen Anschub benötigen, damit ganz wunderbare Texte entstehen können. Eben diese vorhandene Kreativität und Schreibfähigkeit der Schülerinnen und Schüler zu fördern und zu fordern war von jeher das Anliegen der Kölner Lesekonzerte.

Am 5. Kölner Lesekonzert konnten sich Schülerinnen und Schüler der Klassen 5 bis 9 und der Sprachfördergruppen von Kölner QuisS-Schulen mit selbst geschriebenen Texten beteiligen. Viele der eingereichten Texte entstanden auf der Grundlage des Generativen Schreibens, einer Methode, die von Gerlind Belke in den 1980er-Jahren entwickelt wurde und die zum festen Methodenrepertoire an QuisS-Schulen gehört. Belke ging es darum, ein didaktisches Konzept für mehrsprachige Lerngruppen zu entwickeln, das Spracherwerb und Sprachvermittlung, Mündlichkeit und Schriftlichkeit, Poesie und Grammatik sowie interkulturelles Lernen miteinander verbindet. Ein großes Ziel:‒ Die dabei entstehenden Texte der Schülerinnen und Schüler zeigen, auf wie beeindruckende Weise dieses Ziel erreicht wird und dass fiktionale Literatur in Form von Gedichten und Prosatexten als wunderbare Brücke zwischen Alltagssprache und Bildungssprache fungieren kann, nicht nur bei der Textrezeption, sondern auch bei der eigenen Textproduktion. Marita Bongartz (ehemalige DemeK-Trainerin in der Sekundarstufe) und Thomas Jaitner (ehemals ZMI) ist es zu verdanken, dass diese Textschätze nicht einfach so verschwinden. Sie entwickelten das Konzept der Kölner Lesekonzerte und schufen so für die Texte der Schülerinnen und Schüler einen angemessenen Rahmen. Und genau dieses Konzept wurde nun wieder aufgegriffen.
Wie in der Vergangenheit wählte eine Jury, in diesem Jahr bestehend aus Jolanta Boldok vom ZMI, Helmut Frangenberg w w vom Kölner Stadt-Anzeiger und dem Kölner Autor Manfred Theisen, die besten Texte aus. Die Autorinnen und Autoren der ausgewählten Texte nahmen im Mai 2017 an einer zweitägigen Schreibwerkstatt mit Manfred Theisen teil. Zwei Tage, an denen es einmal nur um das Schreiben gehen durfte, an denen es Zeit gab, sich auf ganz individuelle Weise an den eigenen Text heranzutasten. Einige der Schülerinnen und Schüler schrieben sofort los, andere warteten erst einmal ab und ließen sich vielleicht von den Texten der anderen oder von gezeigten Videos inspirieren. Manche kamen am zweiten Tag mit Texten wieder, die sie nach der Schreibwerkstatt zuhause geschrieben hatten, einige hatten sogar Videos dazu erstellt. Für einige war es auch inspirierend, sich mit einem anderen Teilnehmer oder einer anderen Teilnehmerin zu unterhalten, den/die man vorher gar nicht kannte, der/die aber die gleiche Familiensprache spricht, die nicht die uns allen gemeinsame Sprache Deutsch ist. Einige Texte wurden in Gemeinschaftsarbeit geschrieben. Schülerinnen, die sich ohne die Schreibwerkstatt vielleicht nie begegnet wären, stellten plötzlich fest, dass sie sich gegenseitig beim Schreiben eines Textes unterstützen können: Am Anfang stand vielleicht ein Gespräch über etwas, das beide interessiert, gar nicht mit dem Hintergedanken, dass sich daraus ein Text entwickeln könnte. Aber dann steht doch der erste Satz auf dem Papier. Bei der einen sprudeln die Ideen nur so aus ihr heraus, die andere zeigt großes Geschick darin, die Ideen sprachlich zu fixieren.
Bewundernswert auch, wie die Schülerinnen und Schüler aus den Sprachfördergruppen, die erst seit kurzer Zeit in Deutschland leben und die deutsche Sprache lernen, es trotzdem schafften, ihre Gedanken und Gefühle in der für sie noch neuen Sprache zum Ausdruck zu bringen. Einigen half es, ihre Texte zunächst in einer für sie vertrauten Sprache aufzuschreiben und anschließend ins Deutsche zu übersetzen. Andere schrieben gleich auf Deutsch. Welchen Anschubs es auch immer bedurfte, plötzlich fliegt der Stift über das Papier!
So entstanden nicht nur berührende Texte, sondern viele der betreuenden Lehrerinnen und Lehrer berichteten, dass ihre Schülerinnen und Schüler enormes Selbstvertrauen während des Projektes entwickelt hätten. Beflügelt davon, dass der eigene Text von einer Jury, in der auch professionelle Schriftsteller sitzen, aus einer Vielzahl von Texten ausgewählt wurde und dass die Schule einen für zwei Tage vom Unterricht freistellt, um an der Schreibwerkstatt mit einem „echten“ Schriftsteller teilnehmen zu können, legten alle Schülerinnen und Schüler eine beeindruckende Konzentration, Ernsthaftigkeit und Zuverlässigkeit während der Schreibwerkstatt und der Probe für die Abschlussveranstaltung an den Tag.
Bei der Abschlussveranstaltung des Projekts, dem eigentlichen Lesekonzert, lasen die Schülerinnen und Schüler dann vor ihren Familien, ihren Freundinnen und Freunden, ihren Lehrerinnen und Lehrern und anderen Interessierten ihre eigenen Texte im Lesesaal der Kölner Stadtbibliothek vor. Diese Herausforderung, die eigenen Texte an einem öffentlichen Ort vor Publikum vorzutragen, meisterten alle mit großer Bravour. Neben der uns allen gemeinsamen Sprache Deutsch lasen einige Schülerinnen und Schüler ihre Texte auch in ihren Familiensprachen vor. Für einige war es ganz selbstverständlich, ihre Texte in unterschiedlichen Sprachen vorzutragen. Andere hatten zuvor fleißig geübt, ihren Text nicht nur auf Deutsch, sondern auch in einer Familiensprache vorzutragen, mit der sie selber nicht so vertraut wie mit der deutschen Sprache sind.
Gezeigt wurden auf der Abschlussveranstaltung auch die während der Schreibwerkstatt entstandenen Videos, die mit der von Manfred Theisen kreierten Methode des medialen Schreibens entstanden waren. Hierbei schreiben die Schülerinnen und Schüler – angeregt durch Videos – Texte und sprechen ihre Texte in ein Mikrofon ein. „Sie produzieren so ein les- und hörsehbares Literaturprojekt. Der eigene Text erhält dadurch für die Jugendlichen einen besonderen Wert, da er Teil eines ihrer Medienwelt entsprechenden Produktes wird. Auf diese Weise werden die Schülerinnen und Schüler nicht nur zum kreativen Schreiben ermutigt, sondern darüber hinaus von Medienkonsumenten zu Jugendlichen, die Medien produktiv nutzen und ihre Sprache verbessern.“, beschreibt Manfred
Theisen seine Methode.
Den Abschluss bildete ein Auftritt der Gruppe „Future Kids“ unter der Leitung von Brixx, die im Rahmen des Projektes „talentCAMPus“ der Volkshochschule Köln ihre musikalische Performance mit selbst geschriebenen mehrsprachigen Texten erarbeitet hatte. Alle beteiligten Jugendlichen konnten am Ende der Veranstaltung ihren wohlverdienten Applaus entgegen und die Broschüre mit ihren eigenen Texten, die in der Schriftenreihe des ZMI „Eindrücke“ erschienen ist, mit nach Hause nehmen.
Viele Unterstützerinnen und Unterstützer u. a. von den beteiligten Schulen, der SK Stiftung Kultur, der Stadtbibliothek Köln, der Universität zu Köln, trugen dazu bei, dass die Neuauflage des Kölner Lesekonzerts zu diesem berührenden Projekt werden konnte, ein Projekt, dass Menschen aus den unterschiedlichsten Bereichen in Köln zusammen brachte. Nach der Abschlussveranstaltung kamen viele der teilnehmenden Jugendlichen und fragten: „Wird das Kölner Lesekonzert noch einmal stattfinden und dürfen wir uns dann wieder bewerben?“ Es bleibt zu hoffen, dass dieses Projekt weiterhin unterstützt wird und wieder seinen festen Platz in unserer Stadt findet.