Mit Kindern im Gespräch: Qualifizierung für eine durchgängige Sprachbildung im Elementar- und Primarbereich

Mit Kindern im Gespräch: Qualifizierung für eine durchgängige Sprachbildung im Elementar- und Primarbereich

Dr. Angie Lämmerhirt • Artikel im ZMI Magazin 2017, S. 15

Die Bedeutsamkeit der kindlichen Sprachbildung und Sprachförderung ist unumstritten. Sprachkompetenz ist für die gesellschaftliche Teilhabe, den Erfolg in Bildung und Beruf unabdingbar. Aufgrund dessen gilt, je früher eine gezielte und bewusste Sprachbildung und Sprachförderung einsetzt, desto größer sind die Chancen die Ziele der heutigen Bildungsgesellschaft zu erreichen.

Im Jahr 2014 hat das MFJKS des Landes Nordrhein-Westfalen mit seiner Veröffentlichung „Alltagsintegrierte Sprachbildung und Beobachtung im Elementarbereich – Grundlagen für Nordrhein-Westfalen“ eine Neuausrichtung der alltagsintegrierten Sprachbildung vorgenommen. Demzufolge sollen DaZ-Kinder oder jene, die in spracharmen Verhältnissen aufwachsen, nicht mehr in additiven Settings, sondern alltagsintegriert in ihrer kindlichen Sprachentwicklung unterstützt werden. Zudem ist diese alltagsintegrierte Sprachbildung nicht mehr nur die Aufgabe einzelner Sprachförderkräfte in Kindertageseinrichtungen, sondern die aller pädagogischen Fachkräfte.
Allerdings wird unterschätzt, wie schwierig es ist, die dafür notwendigen Sprachförderstrategien zu erlernen und gezielt anzuwenden. Denn obwohl Video- und Beobachtungsstudien zeigen, dass sich Erzieher-Kind-Interaktionen durch eine geringe Anregungsqualität (z.B. wenige offene Fragen stellen) auszeichnen (vgl. Fried 2011; König 2009; Kammermeyer et al. 2011), äußern pädagogische Fachkräfte, dass ihnen diese Sprachförderstrategien bereits bekannt seien und sie diese einsetzen.
Vor diesem Hintergrund werden Qualifizierungen benötigt, in denen pädagogische Fachkräfte darin unterstützt werden, Sprachförderstrategien gezielt und bewusst einzusetzen. Denn die Qualität alltagsintegrierter Sprachbildung zeigt sich in der Anwendung der gezielt eingesetzten Sprachförderstrategien, mit denen Kinder zu lang anhaltenden Gesprächen herausgefordert werden und somit die kindliche Sprachbildung effektiv angeregt wird.
Hierzu folgend ein Beispiel:
In einem Bilderbuch ist ein Zebra abgebildet. Die pädagogische Fachkraft fragt Maja (4 Jahre), was dies für ein Tier sei und Maja antwortet „Das ist ein Pferd.“
Wie würden Sie sprachlich auf Majas Antwort reagieren? Halten Sie einen kurzen Augenblick inne und überlegen Sie sich mögliche Reaktionen.
Die Sprachförderkompetenz der pädagogischen Fachkraft zeigt sich darin, inwieweit es ihr gelingt, für ihre Reaktion eine Äußerung zu wählen, die direkt an den Sprachstand des Kindes anknüpft und das Kind sowohl zum Sprechen als auch zum Denken anregt.
Ein Qualifizierungskonzept, das explizit auf den Erwerb und die gezielte und bewusste Anwendung von Sprachförderstrategien in Schlüsselsituationen fokussiert, ist das Konzept „Mit Kindern im Gespräch“ (Kammermeyer et al. 2017; 2014). Im Gegensatz zu anderen Qualifizierungen geht es darin nicht in erster Linie um die Vermittlung von Fachwissen in breiten Themenbereichen, sondern um den Erwerb von Handlungskompetenzen zum Einsatz von Sprachförderstrategien. Es wurde im Rahmen der Bund-Länder-Initiative „Bildung durch Sprache und Schrift (BiSS)“ (weiter-)entwickelt, in drei Bundesländern (Rheinland-Pfalz, Nordrhein-Westfalen und Baden-Württemberg) erprobt und wird derzeit extern evaluiert.
Das Neue und Bedeutsame an diesem Qualifizierungskonzept „Mit Kindern im Gespräch“ ist, dass es bildungsstufenübergreifend angewendet werden kann. Es umfasst den Elementar- und Primarbereich und kann sowohl in der alltagsintegrierten Sprachbildung als auch in der additiven Sprachförderung eingesetzt werden. Zugleich ist es für die Förderung von Kindern mit und ohne Deutsch als Erstsprache geeignet.
Das Qualifizierungskonzept besteht aus drei Strategiemodulen (Frage- und Modellierungsstrategien, Strategien zur Konzeptentwicklung und Rückmeldestrategien) und fünf Situationsmodulen. Im ersten Schritt werden die Strategien systematisch eingeführt, im Anschluss daran werden sie auf unterschiedliche Schlüsselsituationen übertragen. Die Strategien werden unterteilt in einfache und komplexe Sprachförderstrategien. Die Schlüsselsituationen unterscheiden sich hinsichtlich des Grades ihrer Planbarkeit. Sie reichen von der sehr strukturierten und planbaren Situation der Bilderbuchbetrachtung bis hin zu spontanen Sprechanlässen.
Übertragen auf das Zebra-Beispiel könnte der Einsatz von Rückmeldestrategien wie folgt aussehen:
Je nach Sprachentwicklungsstand von Maja, kann die pädagogische Fachkraft entscheiden, ob sie eine einfache oder komplexe Rückmeldestrategie einsetzen sollte.
Falls sich Majas Sprachentwicklungsstand im Deutschen auf einem niedrigen Niveau befindet, kann die pädagogische Fachkraft durch die Anwendung einfacher Rückmeldestrategien als Sprachvorbild fungieren. In diesem Zusammenhang könnte sie die Äußerung „Das ist ein Pferd.“ erweitern und ihr dadurch weitere Wörter anbieten: „Ja, ein Pferd mit Streifen ist ein Zebra.“
Falls Maja in ihrer sprachlichen Entwicklung schon relativ weit fortgeschritten ist, kann die pädagogische Fachkraft eine komplexe Rückmeldestrategie einsetzen. Hier eignet sich die Strategie „Denken sichtbar machen“: „Wie kommst du darauf, dass das ein Pferd ist?“. Anhand der darauffolgenden Antwort von Maja erhält die pädagogische Fachkraft einen Einblick in den dahinterliegenden Denkprozess und kann die Informationen für den weiteren Gesprächsverlauf nutzen.
Wie das Beispiel zeigt, ist der gezielte Einsatz von Sprachförderstrategien eine anspruchsvolle Aufgabe. Bewährt haben sich Qualifizierungen, die nicht nur „träges“ Wissen, sondern anwendungsbezogenes Wissen vermitteln (vgl. Gruber 2009). Hierzu eigenen sich zum einen Fortbildungen, die die Methoden des Situierten Lernens einsetzen (zum Beispiel mit Fallbeispielen und Videoanalysen arbeiten) und zum anderen inhaltsbezogene Coachings, in denen pädagogische Fachkräfte ihr eigenes Sprachhandeln anhand einer videografierten Interaktion mit einem Kind gemeinsam mit der Referentin reflektieren.
Selbsteinschätzungen von pädagogischen Fachkräften am Ende der Fortbildungsreihe im beschriebenen BiSS-Projekt zeigen eine Tendenz dahin, dass dies gelingt. Inwiefern diese Ein-
schätzungen auch dem tatsächlichen professionellen Handeln der pädagogischen Fachkräfte entsprechen und sich auf die kindliche Handlungsebene auswirken, werden die Ergebnisse der Evaluationsstudie „allE – Gelingensbedingungen alltagsintegrierter sprachlicher Bildung im Elementarbereich“ (unter der Leitung von Mackowiak/Koch/Löffler) sowie die Ergebnisse des DFG-Projekts „Mit Kindern im Gespräch Ü3“ (unter der Leitung von Kammermeyer/Roux) (vgl. Kammermeyer et al. 2017) hervorbringen.

Literatur
Fried, Lilian (2011): Sprachförderstrategien in Kindergartengruppen – Einschätzungen und Ergebnisse mit DO-RESI. In: Empirische Pädagogik 2011, 25 (4), S. 543-562.
Gruber, H. (2009): Situiertes Lernen. In: Arnold, K.-H./Sandfuchs, U./ Wiechmann, J. (Hrsg.): Handbuch Unterricht (2., aktual. Aufl.) (S. 249-252). Bad Heilbrunn: Klinkhardt.
Kammermeyer, Gisela/Roux, Susanna/Leber, Anja/Metz, Astrid (2017/in Vorbereitung): Sprachförderung in Kitas. Evaluation eines Qualifizierungskonzepts für Erzieherinnen zur Intensivierung der Erzieher-Kind-Interaktion. DFG-Abschlussbericht. Universität Koblenz-Landau.
Kammermeyer, G./Roux, S./ King, S./Metz, A. (2014): Mit Kindern im Gespräch. Strategien zur sprachlichen Entwicklung von Kleinkindern in Kindertageseinrichtungen. Donauwörth: Auer Verlag.
Kammermeyer, Gisela/Roux, Susanna/Stuck, Andrea (2011): Additive Sprachförderung in Kindertagesstätten – Welche Sprachfördergruppen sind erfolgreich. In: Empirische Pädagogik 25 (4), S. 439-461.
König, Anke (2009): Interaktionsprozesse zwischen Erzieherinnen und Kindern. Eine Videostudie aus dem Kindergartenalltag. 1. Aufl. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften/ GWV Fachverlage, Wiesbaden (VS Research).

Weiterführende Literatur: „Mit Kindern Im Gespräch“
Kammermeyer, G./Roux, S./ King, S./Goebel, P./Lämmerhirt, A./Leber, A./Metz, A./Papillion-Piller, A. (2017): Mit Kindern im Gespräch. Strategien zur sprachlichen Entwicklung von Kleinkindern in Kindertageseinrichtungen. Donauwörth: Auer Verlag.
Kammermeyer, G./Roux, S./ King, S./Goebel, P./Lämmerhirt, A./Leber, A./Metz, A./Papillion-Piller, A. (2017): Mit Kindern im Gespräch Kita. Strategien zur sprachlichen Entwicklung von Kindern in Kindertageseinrichtungen. Donauwörth: Auer Verlag.
Kammermeyer, G./Roux, S./ King, S./Goebel, P./Lämmerhirt, A./Leber, A./Metz, A./Papillion-Piller, A. (2017): Mit Kindern im Gespräch – Grundschule. Strategien zur sprachlichen Entwicklung von Kindern in der Grundschule. Donauwörth: Auer Verlag.