Mehrsprachigkeit in den MINT-Fächern Interview mit Prof. Dr. André Bresges, Geschäftsführender Direktor des Instituts für Physikdidaktik an der Universität zu Köln

Mehrsprachigkeit in den MINT-Fächern Interview mit Prof. Dr. André Bresges, Geschäftsführender Direktor des Instituts für Physikdidaktik an der Universität zu Köln

Die Fragen stellte Rosella Benati, ZMI-Zentrum für Mehrsprachigkeit und Integration • Artikel im ZMI Magazin 2017, S. 19

Herr Bresges, im laufenden Schuljahr werden Sie ein Projekt zur Mehrsprachigkeit in MINT-Fächern gemeinsam mit den Schulen des Verbunds Kölner Europäischer Grundschulen durchführen. Wie sind Sie darauf gekommen?

An der Universität zu Köln modernisieren wir derzeit die Ausbildung der Lehrerinnen und Lehrer hin zu einem deutlich aktiveren und vernetzteren Studienerlebnis. Im Rahmen der von Bund und Ländern geförderten „Qualitätsoffensive Lehrerbildung“ bauen wir als Teil unserer „Zukunftsstrategie Lehrer*innenbildung“ vier sogenannte „Competence Labs“ auf; das sind außerschulische Lernorte, die von den Schülerinnen und Schülern der Kölner Schulen besucht werden können. Wir bemühen uns, den Schulen ein attraktives Angebot bereitzustellen, damit sie die Competence Labs auch gerne besuchen und nutzen. Dies ist für uns auch deshalb wichtig, weil an diesen Orten auch die Ausbildung der angehenden Lehrerinnen und Lehrer stattfindet. Im „Science Lab“ werden die Studierenden beispielsweise zu MINT-Lehrerinnen und Lehrern ausgebildet, sollen aber zusammen mit dem „Language Lab“ auch sprachsensibel unterrichten lernen. Der Kontakt und die Auseinandersetzung mit Kölner Schülerinnen und Schülern ist uns dabei sehr wichtig; die Studierenden sammeln somit Erfahrung in der Vermittlung von Unterrichtsinhalten und lernen, wie diese Inhalte auch auf Interesse bei den Schülerinnen und Schülern stoßen. Dabei gilt es eben auch all das miteinzubeziehen, was das Leben und Lernen in Köln ausmacht. Teil davon ist die Mehrsprachigkeit, die wir an unseren Kölner Schulen als Realität vorfinden; die müssen wir abbilden in unseren Lernstandorten. Es geht vor allem auch darum, dass wir als Lehrerausbilderinnen und -ausbilder von den Schülerinnen und Schülern sowie den Lehrkräften in der Stadt Köln lernen und dazu dient die Begegnung in den Competence Labs.

Und warum gerade ein Projekt mit dem Verbund Kölner Europäischer Grundschulen? Wie sind Sie auf den Verbund gekommen?
Auf den Verbund Kölner Europäischer Grundschulen sind wir aufmerksam geworden aufgrund der langjährigen, hervorragenden Zusammenarbeit mit dem Mercator-Institut für Sprachförderung und Deutsch als Zweitsprache sowie dem ZMI-Zentrum für Mehrsprachigkeit und Integration, das den Verbund Kölner Europäischer Grundschulen begleitet. Die Universität zu Köln und das Mercator-Institut kooperieren schon seit vielen Jahren mit den Schulen im Verbund, meist jedoch in erster Linie mit den Sprachbildnerinnen und -bildnern der Universität. Nun kommen wir als MINT-Lehrerbildnerinnen und -bildner mit den Fächern Mathematik, Naturwissenschaft und auch Technik neu dazu, möchten uns vorstellen und uns mit Projekten, die wir in Kooperation mit dem ZMI durchführen, in den Verbund einbringen. Uns scheinen die Schulen im Verbund, die sich gegenüber der Mehrsprachigkeit im Sachunterricht bereits in ihren Konzepten und in der Unterrichts-praxis geöffnet haben, die besonders geeigneten Partnerinnen und Partner für unser Vorhaben zu sein. Und wir denken, dass sowohl Schülerinnen und Schüler und ihre Lehrkräfte, als auch unsere Studierenden von der Zusammenarbeit profitieren können.

Wie wird die Zusammenarbeit mit den Schulen im Verbund konkret aussehen?
Die Zusammenarbeit wird von gegenseitigen Besuchen geprägt sein, d.h. dass wir mit unseren Lehramtsstudierenden die Verbundschulen besuchen werden. Wir möchten am Unterricht teilnehmen, zunächst zuschauen und lernen und dann unsere eigenen, an die Situationen vor Ort angepassten MINT-Konzepte einbringen, die dann an diesen Schulen ausprobiert werden können. Ziel dabei ist, dass die Konzepte auch mehrsprachig und interkulturell funktionieren. Einerseits, weil viele der Schülerinnen und Schüler selbst mehrsprachig sind und über die Sprachkenntnisse in ihren Herkunftssprachen hinaus, vielleicht auch noch für die MINT-Fächer relevantes Wissen aus z.B. Pflanzen- oder Tierwelt ihrer Herkunftsländer bzw. derer ihrer Eltern mitbringen. Andererseits, weil insbesondere an den Verbundschulen mit mehrsprachigen Unterrichtskonzepten gearbeitet wird. Im Gegenzug zu unseren Schulbesuchen möchten wir die Schülerinnen und Schüler dann dazu einladen, an unseren Competence Labs teilzuhaben und in der Universität zu Köln gemeinsam mit unseren Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern und Studierenden gemeinsam zu arbeiten. Inhaltlich möchten wir bei diesem Projekt vor allem in den Vordergrund stellen, dass die Natur etwas ist, das uns alle verbindet. Wir sprechen vielleicht unterschiedliche Sprachen, haben unterschiedliche kulturelle Hintergründe, unterschiedliche Rituale mit denen wir unser Alltagsleben meistern, aber die Natur, die haben wir alle gemeinsam, in der Natur leben wir, egal wo wir herkommen. In der Natur haben wir einen blauen Himmel über uns, eine Sonne, wir haben Flüsse und Bäche, die wir kennen und die Einfluss auf unser Leben nehmen. Diese Gemeinsamkeiten wollen wir hervorheben, als Basis für das gemeinsame Lernen nutzen und in die (Weiter-)Entwicklung von didaktischen Konzepten mit einfließen lassen.

Warum ist es wichtig, in den MINT-Fächern den Blick auf die sprachliche Bildung und explizit auf die Mehrsprachigkeit zu richten?
In den MINT-Fächern ist Mehrsprachigkeit seit jeher gelebte Realität. Die MINT-Wissenschaftlerinnen und -Wissenschaftler, die Physikerinnen und Physiker, die Biologinnen und Biologen u.a. bilden eine die Welt umspannende Gemeinschaft. Sie sprechen alle Sprachen dieser Erde. Es war immer eine Community, die über die Ländergrenzen hinweg zusammengearbeitet hat, sich die Hand gegeben hat und das macht die Naturwissenschaften zu etwas Verbindendem. Das möchten wir als Kerngedanken in die Schulen transportieren. Mehrsprachigkeit ist in den Naturwissenschaften nicht etwas Besonderes. Sie ist die gelebte Realität und die Schule soll diese Realität abbilden, sie für die Qualität der Bildung in den MINT-Fächern gezielt nutzen und von daher öffnen wir uns in Richtung Schule und wollen wir Schulen in unsere Richtung öffnen.

Noch eine letzte Frage, Herr Bresges: Wissen Sie, wie der Stand der Forschung zu Mehrsprachigkeit in den MINT-Fächern ist?
Die Mehrsprachigkeit wird in den MINT-Fächern als eine besondere Herausforderung angesehen, denn viele Fachbegriffe kommen in diesen Fächern auf die Schülerinnen und Schüler zu und müssen von ihnen gelernt werden. Beim Stand des jetzigen Bewertungssystems in der Schule müssen die Schülerinnen und Schüler die deutsche Sprache auf bildungssprachlichem Niveau beherrschen, um darauf aufbauend noch die Fachbegriffe lernen zu können. Sie müssen mit diesen Begriffen sicher umgehen, bevor sie Erfolge beispielsweise im Experimentieren nachweisen können. Das ist aus unserer Sicht ungünstig. Wir möchten zeigen, dass es eine Abkürzung gibt. Wir möchten zeigen, dass beim gemeinsamen Experimentieren, gemeinsamen Handhaben und Betrachten von Literatur es zu einer gemeinsamen Sprache kommen kann, sich also die Fachsprache aus dem gemeinsamen Handeln entwickelt. Die Schülerinnen und Schüler sollen regelrecht dazu ermuntert werden, die Gegenstände zu zeigen, die benannt werden sollen, und aushandeln, welche Begriffe sich besonders gut eignen, um z.B. ein Phänomen zu bezeichnen. Da ist jede Herkunftssprache, die man hat, gleich gut. Der Fachbegriff ist praktisch etwas, was alle gemeinsam dann neu lernen, der ist nicht an eine bestimmte Sprache gebunden, sondern der Fachbegriff, den eine bestimmte Gruppe sich erarbeitet hat, der gehört allen Mitgliedern der Gruppe gemeinsam.