Das ZMI in Norwegen – Ein fachlicher Austausch zur Förderung von Mehrsprachigkeit auf internationaler Ebene
Rosella Benati • Artikel im ZMI Magazin 2018 S. 28
Vom 23. bis 26 April 2018 besuchte das ZMI – Zentrum für Mehrsprachigkeit und Integration die norwegische Stadt Stavanger, um einige der erfolgreichen Konzepte und Aktivitäten im Bereich der Mehrsprachigkeit mit skandinavischen Kolleginnen und Kollegen zu teilen. Ausgangspunkt für den Besuch war die Teilnahme von Rosella Benati (Geschäftsführerin des ZMI) sowie María José Sánchez Oroquieta (Fachberaterin der Arbeitsstelle Migration der Bezirksregierung Köln) an der Konferenz „Great Start in Life“. Die Konferenz fand vom 30. November bis zum 01.12.2016 in Brüssel statt und wurde von der Europäischen Kommission, Direktion EDUCATION AND CULTURE (EAC) veranstaltet. Frau Benati und Frau Sánchez Oroquieta referierten hier über die Kölner Programme zum mehrsprachigen Lernen („KOALA – Koordiniertes Lernen“ und „Gelebte Mehrsprachigkeit“), was den einzigen praxisbezogenen Beitrag der Konferenz darstellte (vgl. hierzu auch ZMI-Magazin 2016, S. 10-11).
Seitdem erhält das ZMI häufig Anfragen aus dem europäischen Ausland zu Materialien zu den Kölner Konzepten (Bilinguales Lernen, KOALA, Gelebte Mehrsprachigkeit in der Primarstufe u.v.m.). Hinzu kamen einige Hospitationsanfragen mit dem Wunsch, die konkrete Arbeit in den genannten Programmen an Kölner Schulen beobachten zu dürfen. So schrieb Anfang 2017 auch Birgit Walter, pädagogische Beraterin im Johannes Læringssenter (Johannes Lernzentrum, zu finden unter: http://www.velkommentiljohannes.no) in Stavanger, Norwegen das ZMI an, um im Rahmen eines Austauschprogramms der Europäischen Union einen Hospitationsbesuch in Köln durchführen zu können. Frau Benati und Frau Sánchez Oroquieta organisierten daraufhin vom 16.-19. Oktober einen Besuch in Köln. Während dieser vier Tage hatten zehn Erzieherinnen, Erzieher, Lehrerinnen und Lehrer die Gelegenheit, mehrere Hospitationsbesuche in Kinder-tagesstätten und Grundschulen in Köln durchzuführen. Die Fachkräfte aus Norwegen zeigten sich von dem wertschätzenden Umgang mit Mehrsprachigkeit in den gesehenen Konzepten sehr angetan und luden Frau Benati und Frau Sánchez Oroquieta zu einem Gegenbesuch ein, um die Programme auch ihren Kolleginnen und Kollegen in Stavanger vorstellen zu können.
Im Rahmen des Austauschprogramms der Europäischen Union finanzierten und organisierten die Kolleginnen in Stavanger eine Reise für vier erfahrene Lehrkräfte aus Köln. Am 22. April machte sich eine vierköpfige Kölner Delegation, zu der neben Rosella Benati und María José Sánchez Oroquieta noch Christiane Hartmann (Schulleiterin an der James-Krüss-Grundschule) und Katja Peipe (Lehrerin der Sankt Nikolaus Schule) gehörten, auf den Weg nach Skandinavien. Die Kölner Lehrkräfte hatten nun ihrerseits die Möglichkeit, in norwegischen Kindertagesstätten und Grundschulen zu hospitieren und beobachteten kreative Formen der Einbeziehung und Förderung von Mehrsprachigkeit als Ressource für den Bildungsprozess von Kindern. Aus der Vielzahl der Impressionen können im Folgenden nur einige ausgewählte Eindrücke exemplarisch beschrieben werden. So fiel positiv auf, dass an den Kindertagesstätten alle Lehrkräfte – inklusive der Lehrkräfte für den Herkunftssprachlichen Unterricht – einen eigenen Arbeitsplatz inklusive eigenem PC zur Verfügung gestellt bekamen, an dem sie auch persönliche Lehrmaterialien lagern konnten. Zusätzlich war an der Kita eine große Bibliothek angeschlossen, in der sich zahlreiche Bücher in verschiedenen Sprachen sowie zur Förderung von Mehrsprachigkeit befanden. In der Praxis wurden diese beispielsweise verwendet, um Märchen in Form zweisprachiger Schattenspiele zu präsentieren. Selbst die Kantine war in das Konzept der Lehreinrichtung eingebunden. Lernende bzw. Eltern von Lernenden des Zentrums waren gleichzeitig zur Teilhabe an organisatorischen Prozessen des Zentrums angehalten, indem sie
z. B. festangestellte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Kantine bei der Erstellung der Mahlzeiten unterstützen. Somit erlebten die Kölner Gäste dort eine Vielfalt von Speisen aus der ganzen Welt als auch eine allgemeine Wertschätzung von Herkunftskulturen und –sprachen. Durch die Teilhabe an der Schulorganisation wird die Verantwortlichkeit, Selbstwirksamkeit und letztlich gesellschaftliche Inklusion der neu zugewanderten Familien unterstützt.
In einer zusätzlich besuchten Grundschule erstellten die Schülerinnen und Schüler eigene Märchenkoffer, die sie den Kölner Besuchern stolz präsentierten. Dies waren selbstgebastelte Koffer mit Protagonisten aus alttradierten Märchen des Herkunftslandes. Besonders interessant war die Präsentation der Kinder mit der Herkunftssprache Deutsch. Denn ja: Es befinden sich auch Kinder mit der Herkunftssprache Deutsch in anderen Ländern! Gerade diese Schülerinnen und Schüler freuten sich sehr darüber, das Märchen über die Bremer Stadtmusikanten auf Deutsch und Norwegisch vorstellen zu können.
Umgekehrt hielten Rosella Benati und Christiane Hartmann einen Workshop zum Thema Gelebte Mehrsprachigkeit für ca. 60 Schulleitungen und Lehrkräfte vor Ort. Dieser Workshop erhielt sehr positive Resonanz seitens der norwegischen Kolleginnen und Kollegen, die sich zudem über die vielen mitgebrachten Lernmaterialien freuten (siehe hierzu auch die Publikation der Bezirksregierung Köln, abrufbar unter: https://www.bezreg-koeln.nrw.de/brk_internet/publikationen/abteilung04/pub_abteilung_04_gelebte_mehrsprachigkeit.pdf).
Frau Peipe und Frau Sánchez Oroquieta hielten zusätzlich einen praxisnahen Workshop mit rund 90 Lehrkräften des Herkunftssprachlichen Unterrichts und des Regelunterrichts zum Konzept KOALA-koordinierte Alphabetisierung im Anfangsunterricht (siehe hierzu auch die Veröffentlichung der ZMI, abrufbar unter https://zmi-koeln.de/wp-content/uploads/2018/08/4-15-41_Reich-Evaluierung_24-4-2015_WEB.pdf) und https://www.bezreg-koeln.nrw.de/brk_internet/publikationen/abteilung04/pub_abteilung_04_koala.pdf. Der Erfolg des Workshops zeigte sich insbesondere in der Entwicklung der folgenden Monate, in denen in Stavanger mit der Umsetzung des Koala-Konzeptes seitens HSU-Lehrkräfte begonnen wurde. Zudem hatte Rosella Benati die Gelegenheit, ein Fachgespräch mit Odd Ragnar Waade Ommundsen (Leiter des Johannes Zentrums) zu führen, in dem die theoretischen Grundgedanken, praktischen Umsetzungsmöglichkeiten und landesspezifische Besonderheiten
(z. B. bezüglich gesetzlicher Vorgaben) diskutiert und verglichen werden konnten. Ommundsen hob einen ganzheitlichen Ansatz hervor, der die ganze Familie mit ihrer Sprache und ihrem lebensweltlichen Hintergrund wahrnimmt und das Erlernen der norwegischen Sprache mit der Inklusion in die norwegische Gesellschaft zu verbinden sucht. Für das Erlernen der norwegischen Sprache bedeute dies konkret, dass mit den Kindern im ersten Jahr noch viel über das Leben in der Klasse gesprochen würde und sich die Themen nach und nach auf die Lebenswelt der Schülerinnen und Schüler außerhalb des Klassenzimmers ausweiten und zunehmend abstrakter würden. Es sei wichtig, dass man einen Raum schaffe, in der Sprache verständlich ist und langsam erweitert wird. Grundlage hierfür sei die Wertschätzung und Achtung der Herkunftssprachen und –kulturen der neu zugewanderten Familien, auf dem das solidarische Zusammenleben in einer vielfältigen Gesellschaft in Norwegen aufbauen müsse.
Insgesamt war der Erfahrungsaustausch für beide Seiten sehr bereichernd. Die Vorstellung der einzelnen Konzepte als auch die – manchmal durchaus kontrovers geführten – Diskussionen zwischen den Akteuren aus verschiedenen Ländern war sehr gewinnbringend. Ausgehend von diesen Erfahrungen kann man nur dafür plädieren, europäische Kooperationen auch und gerade in Bezug auf die Förderung von Mehrsprachigkeit zu stärken und somit über nationale (Denk-)Grenzen hinauszugehen.