Was tut sich eigentlich in BiSS
von Sabine Wilmes • Artikel im ZMI Magazin 2014, S. 6
Vor einem Jahr haben wir Ihnen an dieser Stelle das Programm „Bildung durch Sprache und Schrift“ (BiSS) vorgestellt. Damals waren wir noch in der Planungsphase, die Verbünde waren größtenteils noch nicht an Bord und wir konnten Ihnen zunächst nur Rahmendaten vorstellen. Seither hat sich viel getan.
Alle Verbünde haben sich konstituiert und konnten sich auf verschiedenen BiSS-Veranstaltungen kennenlernen, austauschen und vieles aus den Bereichen Sprachbildung, -förderung und -diagnostik erfahren.
Im nachfolgenden Interview mit María José Sánchez Oroquieta, die den Kölner Verbund mit dem Namen „Koordinierte Entwicklung von Lese- und Schreibfähigkeiten in Deutsch und in der Herkunftssprache während der Primarstufe“ koordiniert, möchten wir Ihnen einen Einblick in die Arbeit des Programms BiSS geben und Ihnen gleichzeitig die Arbeit des Kölner Grundschulverbunds vorstellen. Die drei Grundschulen im Verbund unterrichten nach dem KOALA-Prinzip, einem Unterrichtsmodell, in dem Grundschullehrkräfte und Lehrkräfte für den Herkunftsprachlichen Unterricht zusammenarbeiten und ihren Unterricht inhaltlich-methodisch koordinieren. Ein Schwerpunkt ist dabei die koordinierte Alphabetisierung.
Sabine Wilmes: Frau Sánchez Oroquieta, was sind die Inhalte und Ziele Ihrer Verbundarbeit?
María José Sánchez Oroquieta: Das Hauptziel unseres Verbundes ist, dass Schülerinnen und Schüler neben dem Deutschen auch ihre Herkunftssprache auf mindestens annähernd bildungssprachlichem Niveau beherrschen lernen. Wir entwickeln und erproben Verfahren, um die Lese- und Schreibfähigkeiten von mehrsprachigen Kindern zugleich im Deutschen und in der Herkunftssprache zu stärken. Die (schriftsprachliche) Mehrsprachigkeit wollen wir auch bei den Schülerinnen und Schülern fördern, die nicht am KOALA-Unterricht teilnehmen. Wissenschaftlich begleitet werden wir dabei von der Universität zu Köln.
Sabine Wilmes: Seit Februar sind nun alle Verbünde dabei, im Mai fand in Berlin die große Auftaktveranstaltung statt und erste weitere Fortbildungen haben stattgefunden. Wie haben Sie die ersten BiSS-Monate in Ihrem Verbund gestaltet?
María José Sánchez Oroquieta: Wir haben zunächst die Konzepte der koordinierten Alphabetisierung der drei Verbundschulen gesichtet und verglichen. Anschließend haben wir an den Schulen hospitiert und mit den Lehrkräften gesprochen. Gemeinsam mit den BiSS- Multiplikatorinnen und -Multiplikatoren an den Schulen und den Schulleitungen wurde entschieden, standardisierte und normierte Verfahren zum Leseverständnis und zur Leseflüssigkeit im Deutschen und gegebenenfalls in einer türkischen Adaption einzusetzen. Es ist uns sehr wichtig, so viele Herkunftssprachen wie möglich einzubeziehen. In unseren Klassen sind bis zu 13 verschiedene Sprachen vertreten. Dafür sollen Strategien für den Unterricht nach dem Konzept Translanguaging (siehe García, Ofelia, www.ofeliagarcia.org) entwickelt und in sprachheterogenen Klassen im Rahmen des KOALA-Konzeptes erprobt werden. Durch eine verbundinterne Fortbildungsreihe werden diagnostische Fähigkeiten und Translanguaging-Strategien vermittelt. Zum Programmende möchten wir ein Handbuch zum Koordinierten Unterricht im Deutschen und in den Herkunftssprachen erstellen. Das Handbuch soll diesen Unterricht mit praktischen Beispielen exemplarisch darstellen. In einem Film würden wir gern Unterrichtsausschnitte aus der Alltagspraxis unserer Schulen zeigen.
Sabine Wilmes: Ein zentraler Punkt in BiSS ist die Weiterentwicklung der Konzepte der Verbünde. Hierzu fand im Juli eine Fortbildung im BiSS-Cluster „Qualitätsmonitoring“ statt. Was konnten Sie aus dieser Fortbildung zur Weiterentwicklung Ihres Verbundes mitnehmen?
María José Sánchez Oroquieta: Leider konnte ich persönlich an dieser Fortbildung nicht teilnehmen. Für unseren Verbund hat Dr. Christoph Gantefort von der Universität zu Köln, der uns wissenschaftlich begleitet, teilgenommen und uns später berichtet. Ich fand besonders das Thema „Selbstevaluation“ interessant. Die Multiplikatorinnen und Multiplikatoren und die Kollegien in unserem Verbund verfügen über langjährige Erfahrung in der mehrsprachigen Alphabetisierung und im ‚Koordinierten Lernen‘. Sie arbeiten in Teams und besprechen laufend ihren Unterricht. Wir möchten das, was wir in der verbundinternen Fortbildungsreihe erarbeiten, mit Hilfe der Selbstevaluation überprüfen.
Sabine Wilmes: Gab es für Sie in den ersten BiSS-Monaten ein besonders herausragendes Ereignis?
María José Sánchez Oroquieta: Ein besonders herausragendes und wichtiges Ereignis war für mich der Vortrag „Challenges in reading comprehension: Academic language and distanced perspectives“ von Professor Catherine Snow von der Harvard University. Darin betonte Professor Snow die Herausforderungen, vor denen Schülerinnen und Schüler beim Erwerb der Bildungssprache stehen. Genau das ist ein zentrales Thema unserer Arbeit in BiSS. Durch die Förderung des Leseverständnisses und der Leseflüssigkeit sollen unsere mehrsprachige Schülerinnen und Schüler einen besseren Zugang zum Erwerb der Bildungssprache bekommen. Das soll geschehen, indem wir ihr gesamtes Sprachenrepertoire für den Lernprozess nutzen.
Sabine Wilmes: Was sind Ihre Erwartungen und Wünsche für die nächsten Jahre im Programm BiSS?
María José Sánchez Oroquieta: In einigen Kölner Grundschulen arbeiten Lehrerinnen und Lehrer seit vielen Jahren nach den Prinzipien der Koordinierten Alphabetisierung (KOALA) und des Koordinierten Lernens mit großen Erfolgen.Vom Programm BiSS erhoffe ich mir eine Bestätigung für die Arbeit der Schulen im Verbund und dass die Kolleginnen und Kollegen mit ihrem Unterrichtseinsatz auf dem richtigen Weg sind. Mein Wunsch ist, dass mehrsprachige Schülerinnen und Schüler fundierte Kompetenzen in der deutschen Bildungssprache und ihrer Herkunftsbildungssprache mit den entsprechenden Methoden und Strategien erreichen. Natürlich wünsche ich mir auch, dass unser Konzept auch andere Schulen erreicht und dass wir einen Transfer ermöglichen können.
Das ist BiSS
Kinder und Jugendliche in ihrer sprachlichen Entwicklung noch besser zu fördern und ihnen so einen gerechten Zugang zu Bildung und gesellschaftlicher Teilhabe zu ermöglichen, ist das Ziel des Forschungs- und Entwicklungsprogramms BiSS. Im Rahmen des Programms werden in den kommenden Jahren die vielfältigen Angebote der Länder zur Sprachförderung, Sprachdiagnostik und Leseförderung durch Fortbildungen und Beratung begleitet und weiterentwickelt. Mehr als 400 Schulen und 200 Kindertagesstätten aus allen Bundesländern haben sich zu Verbünden aus mindestens drei Institutionen zusammengeschlossen und beteiligen sich an dem Programm, das bis 2018 läuft. Weitere Informationen erhalten Sie unter www.biss-sprachbildung.de.
Der Verbund „Koordinierte Entwicklung von Lese- und Schreibfähigkeiten in Deutsch und in der Herkunftssprache während der Primarstufe“
Drei Grundschulen aus Köln und Hückelhoven haben sich zu diesem Verbund zusammengeschlossen. Sie werden in ihrer Arbeit durch das Zentrum für Diagnostik und Förderung und das ZMI – Zentrum für Mehrsprachigkeit und Integration begleitet.
Der Verbund will im Kontext des Moduls „Diagnostik und Förderung des Leseverständnisses“ arbeiten und dabei auch produktive schriftsprachliche Fähigkeiten berücksichtigen. Er knüpft an die Vorerfahrungen an, die im Regierungsbezirk Köln im Rahmen des Konzepts „Koordiniertes Lernen“ gesammelt wurden: In insgesamt 22 Schulen wird das „Koordinierte Lernen“ bereits eingesetzt, das neben der Bildungssprache Deutsch auch die Herkunftssprache(n) der Kinder berücksichtigt.