Das ZMI und die Europäische Kommission
Michalina Trompeta und Kristina Cunningham • Artikel im ZMI Magazin 2015, S. 22
In ganz Europa wächst in den Schulen die sprachliche und kulturelle Vielfalt. Schülerinnen und Schüler kommen mit unterschiedlichen sozialen und kulturellen Hintergründen und Lebenswelten zusammen. Sie sprechen unterschiedliche Sprachen zu Hause, in ihrer Freizeit sowie in der Schule. Lehrkräfte haben häufig wenig Kenntnisse von den Lebenswelten ihrer Schülerinnen und Schüler, und einige Kinder und Jugendliche beherrschen nur beschränkt die Unterrichtssprache.
Die Europäische Kommission arbeitet gemeinsam mit den Mitgliedsstaaten, Forscherinnen und Forschern, Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern sowie anderen Expertinnen und Experten an der Anpassung von Lehrmethoden und Schularbeit an aktuelle mehrsprachige Verhältnisse. Durch das Förderungsprogramm Erasmus+ finanziert die Europäische Kommission beispielsweise innovative Unterrichtsmethoden, Erfahrungsaustausch, Forschungsprojekte sowie die Entwicklung von Arbeitsmaterialien.
Im aktuellen Projekt „Multilingual Classrooms“ (Mehrsprachige Klassenräume) wurde mit Hilfe von ICF International, einem Beratungs- und Forschungsunternehmen für Schulunterricht und Ausbildungsfragen, ein ausführlicher Bericht zur gegenwärtigen Situation von Mehrsprachigkeit in der EU erstellt. Im Bericht werden Forschungsergebnisse analysiert und durch Praxisbeispiele ergänzt, in denen erfolgreiche Strategien in verschiedenen europäischen Ländern vorgestellt werden.
Das ZMI in Brüssel beim runden Tisch „Mehrsprachige Klassenräume“
Die Geschäftsführung des ZMI reiste auf Einladung der Europäischen Kommission im Februar und April zu zwei Expertengesprächen sowie zum European Day of Languages am 25. September 2015 nach Brüssel. An insgesamt vier spannenden Tagen nahmen wir mit Vertreterinnen und Vertretern anderer europäischer Mitgliedsstaaten, Forschungseinrichtungen, Bildungsadministrationen und Projekten an den runden Tischen und Panels zum Thema mehrsprachige Klassenräume teil. Im Rahmen zweier Vorträge präsentierte das ZMI seine Kölner Projekte und Initiativen im schulischen und außerschulischen Bereich, wie z.B. das Projekt Herkunftssprachlicher Unterricht im Museum, eine Kooperation des ZMI mit dem Mu-
seumsdienst Köln und dem Schulamt für die Stadt Köln.
Die Europäische Kommission in Köln
Vertreterinnen und Vertreter der Kommission zeigten sich in Brüssel sehr interessiert an den Projekten des ZMI. Und so entstand die Idee, eine kleine Delegation nach Köln einzuladen, die sich ein Bild davon machen könnte, wie Mehrsprachigkeit an Kölner Schulen implementiert ist und die Gespräche mit Verantwortlichen aus Verwaltung und Politik sowie Expertinnen und Experten aus der Wissenschaft führen könnte. Die Gäste aus der Kommission erhofften sich von den Erfahrungen der Praktikerinnen und Praktiker und lokalen Politikerinnen und Politiker eine Flankierung ihrer bereits „am Schreibtisch“ gesammelten Forschungsergebnisse. Die Herausforderungen bei der Beschulung der neu zugewanderten Kinder und Jugendlichen standen ebenso auf dem Programm wie Lernerfolge der zweiten und dritten Migrationsgeneration.
Anfang Juni ging es los: Nach intensiver Vorbereitung startete die Geschäftsführung des ZMI mit drei Gästen aus Brüssel und London. Unsere erste Station war die deutsch-italienische Grundschule KGS Vincenz-Statz in Ehrenfeld. Dort erwartete uns die Schulleiterin, Frau Leusner. Die bilinguale Schule, Teil des Verbundes Kölner Europäischer Grundschulen, eröffnete unseren Tag mit einer kleinen mehrsprachigen Musik-Show. Die Kinder gaben Lieder in beiden Sprachen zum Besten, musizierten und tanzten, was das Zeug hielt. Im Anschluss diskutierten die Gäste mit Lehrerinnen und Lehrern über ihre Ausbildung, den Schulalltag und den Unterricht. Stolz berichteten die engagierten Lehrerinnen und Lehrer von den Leistungen ihrer Schülerinnen und Schüler und die positive Schul-Atmosphäre, die auch für uns wahrnehmbar war. Die hohe Motivation der Lehrkräfte fiel unseren Gästen sofort auf. Insbesondere die Begeisterung der Italienischlehrer, die dank des zweisprachigen Ansatzes der Schule vollständig in das Kollegium integriert sind, überzeugte sie. Es sei schwierig, berichteten die Kolleginnen und Kollegen, gute zweisprachige deutsch-italienische Arbeitsmaterialien zu finden – weshalb sie sehr viel selber machen.
Gleichzeitig besuchte ein Mitglied der Kommission eine Internationale Förderklasse des Berufkollegs Deutzer Freiheit. Neu zugewanderte Jugendliche im Alter von 16 bis 23 Jahren werden hier in einer Klasse auf ihre spätere Ausbildung vorbereitet. In Deutz wird das Schulleben durch einen engagierten sozialpädagogischen Ansatz strukturiert. Pädagogisches Personal ist immer zur Unterstützung der Jugendlichen verfügbar. So beginnt das Schuljahr mit einer gemeinsamen Reise der Schülerinnen und Schüler und 16 Lehrkräften in die Niederlande. Die neuen Schülerinnen und Schüler müssen sich für fünf Tage in ihren Quartieren organisieren. Dies schmiedet einen einzigartigen Gemeinschaftsgeist, auf den sich die Pädagoginnen und Pädagogen das ganze Jahr stützen können. Lediglich zehn bis 15 Prozent der Schülerinnen und Schüler brechen die Vorbereitungsklasse ab. Fast alle wechseln anschließend in eine Berufsausbildung oder integrieren sich in den Arbeitsmarkt. Das Angebot besteht bereits seit vielen Jahren und wurde im Laufe der Zeit weiter differenziert, etwa in Angebote für traumatisierte Schülerinnen und Schüler oder diejenigen, die das lateinische Alphabet noch nicht beherrschen. Ihr Erfolg sei das Ergebnis des sozialpädagogischen Ansatzes und des menschlichen Engagements aller Beteiligten, hoben die Sozialpädagogin Frau Wölker und die Lehrkräfte gegenüber dem Besucher hervor.
Die nächste Hospitation führte uns nach Zollstock an die GGS Sankt Nikolaus. Dort erlebten wir das Konzept KOALA in Deutsch-Türkisch am Thema Wikinger: In einer Team-Teaching-Stunde einer deutsch- und einer türkischsprachigen Lehrkraft lernten die Schülerinnen und Schüler geschichtliche Ereignisse und Schiffskunde der Wikinger in beiden Sprachen kennen. Für all diejenigen Kinder, die auch am Herkunftssprachlichen Unterricht Türkisch teilnehmen, vertiefte Herr Doğan das Gelernte in türkischer Sprache. Nach diesem informativen Praxiseinblick kamen unsere Gäste mit dem Schulleiter, Herrn Weber, sowie einigen Lehrkräften der Schule ins Gespräch. Alle Beteiligten berichteten, dass sowohl die Arbeit mit KOALA als auch die generelle Offenheit für Mehrsprachigkeit die Schülerinnen und Schüler aufgeschlossener für andere Sprachen und Kulturen mache. Dies hätte zu einem kooperativeren und positiven Schulklima geführt. María Sánchez von der Bezirksregierung Köln nutzte den Besuch, um dem Schulleiter in Anwesenheit der Kommission ein Schild zu überreichen, das die Teilnahme der GGS Sankt Nikolaus am Bund-Länder-Programm BiSS (Bildung durch Sprache und Schrift) beurkundet.
Für den Nachmittag stand ein Expertengespräch mit Vertreterinnen und Vertretern aus Wissenschaft, kommunaler Politik und Verwaltung an. Im Mercator-Institut für Sprachförderung und Deutsch als Zweitsprache diskutierten wir über Strategien in der LehrerInnenbildung und pädagogische Konzepte, wie z.B. sprachsensibler Fachunterricht oder das DaZ-Modul in der Lehramtsausbildung. Ein weiteres wichtiges Thema stellten Weiterbildungsmaßnahmen für bereits ausgebildete Lehrkräfte sowie die Einbindung der Sozialpädagogik und Sozialen Arbeit in den Schullalltag sowie die Beschulung von neu zugewanderten Kindern und Jugendlichen dar.
Nach einem anstrengenden Tag gönnten sich unsere Gäste ein traditionelles Spargelessen in einem der Kölschen Brauhäuser, bevor es am nächsten Vormittag in die Katharina-Henoth-Gesamtschule in Höhenberg ging. Dort hospitierten wir in einer Unterrichtsstunde der Leiterin der Fachdidaktik Türkisch, Hilal Günday: Türkisch als zweite Fremdsprache stand auf dem Stundenplan. Die Schülerinnen und Schüler der 10. und 11. Jahrgangsstufe beeindruckten uns mit ihrem sehr hohen Sprachniveau in der türkischen Sprache. Sie diskutierten lebhaft und fundiert über eine Ausstellung zum Thema Einwanderung in Deutschland, die sie zuvor in Bonn besucht hatten. In einem anschließenden Gespräch mit einigen der Jugendlichen erklärten sie uns, dass sie sehr froh seien, dass sie ihre zweisprachigen Fähigkeiten seit der Grundschule weiterentwickeln konnten mithilfe des KOALA-Ansatzes, des Herkunftssprachlichen Unterrichts oder als zweite Fremdsprache in der Oberstufe.
Schließlich wurden wir ins „Mütter-Café“ der Schule eigeladen und herzlich empfangen. Die Mütter, die sich jeden Mittwoch in einem eigens dafür bereitgestellten Raum treffen, um über schulische und private Themen ihrer Kinder sowie gemeinsame Aktivitäten zu sprechen, überraschten uns mit einem großzügigen Buffet voller Köstlichkeiten. An dem Treffen nahmen Mütter, Lehrkräfte der Schule und Mitarbeiterinnen des Vingster Treffs e.V., der das Café in Kooperation mit der Gesamtschule anbietet, teil. Wir sprachen über ihre Einbindung in das Schulgeschehen und die Bildungsmöglichkeiten sowie Entscheidungen ihrer Kinder, die sie aktiv begleiten. Alle zeigten sich auch sehr interessiert an der Arbeit der Kommission auf europäischer Ebene zum Thema mehrsprachiger Klassenzimmer.
Die spannenden und sehr informativen Tage endeten nach diesem letzten Besuch und am Kölner Neumarkt verabschiedeten wir uns von unseren Gästen, die vollgepackt mit diversen Eindrücken aus Köln zum Thema Mehrsprachigkeit die Stadt Richtung Brüssel verließen.