Das A und O ist eine gute Zusammenarbeit vor Ort
Anna Kleiner • Artikel im ZMI Magazin 2015, S. 15
Wie müssen Schule und Unterricht für Kinder und Jugendliche ohne Deutschkenntnisse aussehen, um die notwendigen Kompetenzen zu vermitteln und gleichzeitig Potenziale zu fördern? Das war das Thema der Fachtagung „Neu zugewanderte Kinder und Jugendliche in der Schule“ am 17. Juni 2015 im Bürgerhaus Stollwerck in der Kölner Südstadt. Eingeladen hatten das Mercator-Institut für Sprachförderung und Deutsch als Zweitsprache sowie das Zentrum für LehrerInnenbildung der Universität zu Köln.
„Die erste Zeit in der neuen Klasse war sehr hart. Alle haben nur Deutsch gesprochen, ich konnte nur ein bisschen Englisch. Nach der Schule habe ich oft geweint und wollte zurück nach Afghanistan“, sagte
Farahnaz. Die 23-Jährige ist vor fünf Jahren nach Deutschland gekommen, gemeinsam mit ihrer Klassenkameradin Johana steht sie zum Start der Fachtagung auf der Bühne und erzählt, wie es ist, in einer deutschen Schule anzukommen.
150 Lehrkräfte, Schulleitungen, Vertreterinnen und Vertreter aus Ministerien und Trägern der Jugendhilfe aus dem gesamten Bundesgebiet sitzen im Saal. Sie sind tief gerührt von den Worten der beiden Schülerinnen. Auch Sylvia Löhrmann, Vizepräsidentin der Kultusministerkonferenz und NRW-Schulministerin, greift die Schilderungen der beiden auf: „Für die Menschen, die eine Zeit lang oder dauerhaft mit uns leben werden, sollten wir alles unternehmen, damit sie sich schnell willkommen fühlen, sie unsere Sprache lernen und hier dazugehören können.“
Prof. Dr. Hans-Joachim Roth, Professor für Interkulturelle Bildungsforschung und stellvertretender Direktor des Mercator-Instituts, zeichnete in seinem Vortrag die Migrationsbewegungen der letzten Jahrzehnte und deren Auswirkungen auf die Schulen nach. Gleichzeitig kritisierte er, dass diese Modelle und Konzepte zwischen den Höhepunkten der Migration nicht weiterentwickelt worden und in Vergessenheit geraten seien. „Neu zugewanderte Kinder und Jugendliche sind ein wiederkehrendes Thema und eine langfristige Aufgabe für die Schulen“, betonte er.
Im anschließenden Fachgespräch stand die Frage im Mittelpunkt, ob neu zugewanderte Kinder vom ersten Tag an in integrativen Modellen oder in parallel geführten Klassen unterrichtet werden sollten. Der Erziehungswissenschaftler Louis Henri Seukwa von der Hochschule für Angewandte Wissenschaften Hamburg plädiert dafür, den Schonraum besonderer getrennter Angebote zu nutzen, um den Übergang ins Regelsystem zu schaffen. Helmut Kehlenbeck ist ehemaliger Förderschullehrer und in Bremen für die schulische Einbindung neu zugewanderter Kinder und Jugendlicher verantwortlich. Seine Erfahrungen zeigen, dass es vor allem auf die Zusammenarbeit der Akteure vor Ort ankommt: „Damit die Integration gelingt, ist es das A und O, dass es eine extrem gute Zusammenarbeit auf kommunaler Ebene gibt und die verschiedenen Institutionen kooperieren.“
Am Nachmittag fanden fünf Fachforen statt, die sich den unterschiedlichen Facetten der Arbeit mit neu zugewanderten Kindern und Jugendlichen widmeten, von der Alphabetisierung über unterschiedliche schulorganisatorische Modelle bis hin zu der Frage, wie man die Lebenswelt in Schule und Unterricht einbeziehen kann. „Wie man gleichberechtige Teilhabe an Bildung und Gesellschaft schafft, ist von Schule zu Schule, von Ort zu Ort und Schüler zu Schüler unterschiedlich “, resümierte Myrle Dziak-Mahler, Geschäftsführerin des Zentrums für LehrerInnenbildung, in der Abschlussrunde. Farahnaz und Johana gaben den Lehrkräften einen wichtigen Hinweis mit auf dem Weg: „Man sollte ihnen das Gefühl geben, dass sie nicht doof sind, sondern sie einfach nur nicht die Sprache sprechen können“, betonte Farahnaz. Jetzt, fünf Jahre später, macht sie ihre Fachhochschulreife, Johana eine Ausbildung zur Restaurantkauffrau.
Netzwerk Neu zugewanderte Kinder und Jugendliche in der Schule
Zu Beginn des Jahres 2014 haben Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler des Mercator-Instituts für Sprachförderung und Deutsch als Zweitsprache, des Zentrums für LehrerInnenbildung und des Arbeitsbereichs interkulturelle Bildungsforschung der Universität zu Köln das Netzwerk Neu zugewanderte Kinder und Jugendliche in der Schule gegründet. Ziel des Netzwerks ist es, die schulische Situation neu zugewanderter Kinder und Jugendlicher daraufhin zu untersuchen, wie weit aus der Wissenschaft hilfreiche Beiträge zu diesem Thema kommen und wie Forschung, Praxis und Politik sinnvoll miteinander verzahnt werden können. Zu den ersten Aktivitäten gehörten die Fachtagung im Juni und die Veröffentlichung der Studie im Oktober 2015. Ein Sammelband und Bausteine für eine Fortbildungsreihe für Lehrkräfte sind derzeit in Planung.