Potenziale natürlicher Mehrsprachigkeit und interkultureller Verständigung sichtbar machen und nutzen

Potenziale natürlicher Mehrsprachigkeit und interkultureller Verständigung sichtbar machen und nutzen

 ein Gespräch mit Dr. Norbert Reichel • Artikel im ZMI Magazin 2012, S. 31

 Herr Dr. Reichel, Sie leiten den Bereich im Ministerium für Schule und Weiterbildung des Landes NRW, der sich mit Integration beschäftigt. Was sind die wichtigsten Handlungsfelder in diesem Bereich?

Die zentralen Handlungsfelder sind zurzeit die Weiterentwicklung der bisherigen RAA’en zu kommunalen Integrationszentren, die Umsetzung des neuen Erlasses zur Verwendung der Integrationsstellen, die Entwicklung von Konzepten zur besseren Verknüpfung von durchgängiger Sprachbildung, Fremdsprachenunterricht und herkunftssprachlichem Unterricht und – auch wenn dies nur zum Teil ein integrationspolitisches Thema ist – die Einführung von islamischem und alevitischem Religionsunterricht. Fachlich gesehen orientieren wir uns nicht mehr an den traditionellen kompensatorischen Ansätzen, sondern am Ansatz des Diversity Managements. Wir wollen die Potenziale natürlicher Mehrsprachigkeit und interkultureller Verständigung sichtbar machen und nutzen.

 Auch für Ihren Bereich bedeutet das Gesetz zur Teilhabe und Integration, das im Februar des Jahres verabschiedet wurde, einen Meilenstein. Nun gab es auch vorher schon Integration an Bildungseinrichtungen in NRW. Welche Bedeutung hat das Gesetz in diesem Zusammenhang?

Das Gesetz hat vor allem zwei Aspekte, die der gesamten Debatte um die Integration eine neue Richtung geben: Zum einen die Verknüpfung von Integration und Teilhabe, zum zweiten das Bekenntnis zur Wertschätzung der natürlichen Mehrsprachigkeit. Bildung ist die zentrale Voraussetzung zu jeder Art sozialer Teilhabe. Gleichzeitig müssen wir Bildung horizontal und vertikal durchlässiger gestalten. Dies bedeutet, dass wir gleichermaßen horizontal Unterricht, Ganztagsangebote und darüber hinausgehende Maßnahmen, z.B. aus dem Bereich der Integrationsstellen, besser miteinander verknüpfen und vertikal auf möglichst bruchlose Übergänge zwischen Kindertageseinrichtung und Schule, Grundschule und weiterführender Schule sowie Schule und Beruf achten. Ein drittes Erfordernis ist die Entwicklung von Bildungs- und Erziehungspartnerschaften zwischen Kita bzw. Schule und Elternhaus sowie von sozialräumlichen Konzepten, die auch über den Stadtteil bzw. die Gemeinde hinausreichen.

§ 7 des Gesetzes sieht die Einrichtung von Kommunalen Integrationszentren in allen Kreisen und kreisfreien Städten des Landes vor. Welche Rolle werden diese Zentren für Ihren Bereich spielen?

Ich will die Antwort in Form einer Abgrenzung formulieren: Ein kommunales Integrationszentrum wäre überfordert, wenn es sämtliche örtlichen bildungs- und integrationspolitischen Bedarfe aufzugreifen gedächte. Daher ist es wichtig, dass sich jedes kommunale Integrationszentrum Schwerpunkte setzt, die sich an den örtlichen Gegebenheiten orientieren. Diese Schwerpunkte können sich selbstverständlich bei Bedarf ändern. Wichtig für den Erfolg eines kommunalen Integrationszentrums ist eine verlässliche Arbeitsteilung und Absprache mit anderen örtlichen Akteuren, z.B. mit den regionalen Bildungsnetzwerken oder den Aktivitäten im Rahmen des Projekts „Kein Kind zurücklassen – NRW-Kommunen beugen vor“.

Die Kommunalen Integrationszentren gehen ja aus den jetzigen RAA´en hervor, und die RAA Köln vertritt die Stadt im ZMI. Wird es eine Kontinuität der Arbeit geben?

Die bisherigen RAA’en haben erfolgreich gearbeitet. „RAA“ ist geradezu ein Markenzeichen. Daher ist die Antwort ein klares Ja. Ich würde sogar so weit gehen zu sagen, dass ein kommunales Integrationszentren nur dann erfolgreich arbeiten kann, wenn die bisherigen Erfolge der RAA-Arbeit das für jedes kommunale Integrationszentrum zu erstellende integrationspolitische Gesamtkonzept prägen und tragen. Ich hoffe, dass auch der Begriff des „kommunalen Integrationszentrums“ eines Tages zum Markenzeichen wird. Die Arbeit des ZMI ist eine weitere wichtige Grundlage für die Weiterentwicklung von durchgängiger Sprachbildung, nicht zuletzt im Sinne der FÖRMIG-Prinzipien und der im Teilhabe- und Integrationsgesetz geforderten Wertschätzung natürlicher Mehrsprachigkeit.

Was sind die wichtigsten Neuerungen?

Neu ist vor allem die Einbettung von Bildung in ein kommunales integrationspolitisches Gesamtkonzept oder umgekehrt die Einordnung von Integration in ein bildungspolitisches Gesamtkonzept, beides auf der Ebene der Kommunen in verlässlicher Absprache mit anderen örtlichen Akteuren. Ziel ist eine präventiv und nachhaltig angelegte Bildungs- und Integrationspolitik, die die umfassende Teilhabe von Menschen mit Migrationshintergrund am gesellschaftlichen Leben fördert und sichert.

Sie sind Mitglied im Beirat des Zentrums für Mehrsprachigkeit und Integration (ZMI). In dieser Kooperation wird die Stadt durch die Regionale Arbeitsstelle zur Förderung von Kindern und Jugendlichen aus Zuwandererfamilien (RAA) vertreten. Welche Vorteile hat eine solche Kooperation aus Ihrer Sicht? Gibt es auch Nachteile?

Nachteile würden nur dann entstehen, wenn man oder frau sich überforderte. Wie man dies vermeidet, habe ich eben versucht darzustellen. Die Zusammenarbeit von RAA bzw. kommunalem Integrationszentrum und ZMI ist eine große Chance, deren Tragweite nach meinem Eindruck alle Beteiligten erkannt haben und nutzen werden. Insofern dürften Nachteile erst gar nicht entstehen.

Das Gespräch führte Dr. Beate Blüggel.