Ist das Ganze mehr als die Summe seiner Teile?
Ein Projekt des ZMI begleitet die Zusammenarbeit in Höhenberg-Vingst
von Dr. Uwe Neugebauer • Artikel im ZMI Magazin 2011, S. 13
Zusammenarbeit und Kooperation werden zunehmend als Möglichkeit betrachtet, Herausforderungen und Probleme unserer Zeit erfolgreich zu bewältigen. Qualität und Ausmaß der Kooperationen sind dabei gleichwohl des Öfteren dem Zufall überlassen; Zusammenarbeit kann auch Konflikte schaffen, sowohl zwischen einzelnen Personen als auch zwischen Organisationen oder gesellschaftlichen Institutionen. Damit erhebt sich die Frage nach dem wünschenswerten Verhältnis von Nutzen und Aufwand – denn Zusammenarbeit bedeutet immer auch zusätzliche Arbeit. Wo jedoch macht sie Arbeit leichter, wo entlastet sie, wo schafft sie Emergenz, also Ergebnisse, die ohne Zusammenarbeit gar nicht zu erzielen wären? Im Zuge fortschreitender gesellschaftlicher Komplexität und Heterogenität ist das beständige Entstehen neuer, die Auflösung alter und die Wiederbelebung vergessener Formen von Kooperation zu einer solchen Selbstverständlichkeit geworden, dass ein kritisches Hinterfragen schon fast Irritation auslöst nach dem Motto: „Wieso? – Zusammenarbeit ist doch gut, das erleichtert schließlich meine Arbeit, ohne sie geht es doch heutzutage nicht mehr.“
Das Potenzial der Zusammenarbeit im Bereich sprachlicher Bildung soll in Köln sowohl gesamtstädtisch als auch stadtteilbezogen gestärkt werden: Seit April 2010 arbeitet das Zentrum für Mehrsprachigkeit und Integration (ZMI) darauf hin, in einem Projekt mit dem Arbeitstitel „Vernetzung im Sozialraum Höhenberg-Vingst“ – in Kooperation mit dem Projekt „Lernen vor Ort“ – alle Angebote von der frühkindlichen Bildung im Kindergarten und Schule über die berufliche Weiterbildung und wissenschaftliche Ausbildung bis hin zu Bildungsangeboten für Senioren miteinander zu koordinieren. Neben der Initiierung und Koordination von Einzelmaßnahmen soll dabei insbesondere auch geprüft werden, welche Effekte vernetzte Maßnahmen der Sprachförderung in Köln haben – ob also die Zusammenarbeit zwischen den Akteuren einen Mehrwert bringt oder nur zusätzlichen Aufwand darstellt.
Wie in anderen deutschen Großstädten zeigt sich auch in Köln als sozialräumlicher Effekt ein mitunter gravierendes Bildungsgefälle zwischen verschiedenen Stadtteilen: So belegt auch der Vergleich der beiden Stadtteile Höhenberg und Vingst mit weiten Teilen des übrigen Stadtgebietes strukturelle Defizite. Dem wirken die in der Bildungsarbeit engagierten Akteure in Höhenberg und Vingst nachdrücklich entgegen: Die Aktivitäten in den beiden Kölner Stadtteilen sind in den vergangenen Jahren bereits Gegenstand mehrerer soziologischer Untersuchungen gewesen (vgl. zuletzt unter anderem Blasius/Friedrichs/Klöckner 2008: Doppelt benachteiligt? Leben in einem deutsch-türkischen Stadtteil. VS Verlag für Sozialwissenschaften) – die alle den hohen Grad der Vernetzung sowie die intensive Zusammenarbeit der Akteure im Bildungsbereich betonen: Un-, wenn nicht außergewöhnlich ist beispielsweise ein regelmäßig stattfindendes Stadtteiltreffen mit Vertreterinnen und Vertretern von bis zu 40 Einrichtungen als Arbeitsgremium aller Vereine, Institutionen, Ämter und Bürger, die auf lokaler Ebene in Höhenberg und Vingst tätig sind und sich freiwillig zusammengeschlossen haben, um gemeinsam an einer positiven Stadtteilentwicklung mitzuwirken. Darüber hinaus hat sich ein Pädagogischer Arbeitskreis fest etabliert, der dafür sorgt, dass die Bildungsarbeit im Sozialraum – trotz seiner Defizite – verglichen mit anderen Stadtteilen geradezu ideal miteinander verbunden wird: in konstruktiver und kooperativer Arbeitsatmosphäre.
Eine neue, zusätzliche Qualität erhält dieses gemeinsame, unter- und aufeinander abgestimmte Vorgehen bei der Bildungsarbeit in Höhenberg und Vingst dadurch, dass die Stadt Köln mit dem Projekt „Lernen vor Ort“ einen professionellen Partner etabliert hat, der seit Sommer 2010 die Kommunikation der Akteure unterstützt und moderiert. Der Rat der Stadt Köln hat im Jahr 2008 beschlossen, die bestehende Bildungsarbeit in den Stadtteilen Höhenberg und Vingst auf diese Weise zu einer „kommunalen Bildungslandschaft“ weiterzuentwickeln.
Aus all diesen Gründen bietet sich die Bildungslandschaft Höhenberg-Vingst für wissenschaftliche Forschungsaktivitäten bezüglich der Wirksamkeit von vernetzter Sprachförderung an – da vor Ort bereits eine vorbildlich funktionierende Zusammenarbeit der Akteure besteht und die Akteure motiviert sind, sich aktiv einzubringen. Zudem werden in Höhenberg und Vingst zahlreiche Sprachfördermaßnahmen wie beispielsweise DemeK („Deutschlernen in mehrsprachigen Klassen der Grundschule“) und KOALA („Koordinierte Alphabetisierung im Anfangsunterricht“) eingesetzt – diese beiden Konzepte wurden bereits als einzelne Maßnahmen an anderer Stelle evaluiert und können auf dieser Grundlage nun besonders gut gezielt daraufhin betrachtet werden, wie sie zusammenwirken.
Untersucht werden somit alle in Höhenberg und Vingst umgesetzten Integrationsmaßnahmen (dazu gehören unter anderem die Sprachfördermaßnahmen an den teilnehmenden Schulen, die Sommercamps, die Lernförderung durch das Bürgerzentrum) im Hinblick darauf, welcher Mehrwert durch ein koordiniertes Vorgehen im Unterschied zu Einzelmaßnahmen erzeugt wird. Die Untersuchung wird die Altersspanne von 3 bis 12 Jahren erfassen, da dieser Zeitraum der Lebensbiographie Kindertagesstätten, Grundschulen und die 5./6. Klasse als Erprobungsphase umfasst. In diesem Lebensabschnitt werden somit sechs Schuljahre und zwei Übergänge zu beobachten sein. Aber nicht nur Angebote der drei Grundschulen, 10 Kindertagesstätten sowie der Haupt- und Gesamtschule sollen dabei betrachtet werden, sondern auch außerschulische Akteure und deren Maßnahmen. Hier sind sowohl die Träger des offenen Ganztags zu beachten als auch die offene Kinder- und Jugendarbeit und Institutionen wie die Stadtteilbibliothek. Letztere sind häufig Orte der Begegnung für Kinder und Jugendliche mit Zuwanderungsgeschichte. Solche Anknüpfungspunkte gilt es – anstelle von Schulräumen – zu erkennen und zu nutzen. So lassen sich beispielsweise Angebote der Ferienschule mit Angeboten der Stadtbibliothek kombinieren.
Die übergeordnete Frage der Untersuchung lautet: Was ist der Mehrwert von Sprachförderung als integrierte Leistung gegenüber der Durchführung als Einzelmaßnahme? Um diese am Beispiel der Angebote in Höhenberg-Vingst zu beantworten, wird Folgendes untersucht:
• Wie kann die Risikogruppe der 20 % schwächsten Lerner in der Sekundarstufe I zur Ausbildungsfähigkeit gebracht werden?
• Wie kann der Übergang in die gymnasiale Oberstufe für Kinder aus bildungsfernen Schichten ermöglicht werden?
• Wie kann in den Klassenstufen fünf und sechs die nötige Lesefähigkeit (insbesondere Leseflüssigkeit) erreicht werden?
• Wie kann in der späten Sekundarstufe I das Verstehen und Verfassen sowie das zielorientierte Nutzen von Texten gefördert werden?
• Wie kann die fachbezogene mündliche Kommunikationsfähigkeit verbessert werden?
• Welchen Stellenwert hat die Sprachbewusstheit bzw. die Sprachreflexion für die Förderung und Entwicklung bildungssprachlicher Kompetenz?
Die Analyse betrachtet insbesondere, in welchem Verhältnis in Kooperationen der initiierte und geförderte Austausch und die erzielten Wirkungen stehen. Somit muss die Grundannahme des Konzepts geprüft werden: Wird das Ziel der Maßnahmen wirksamer durch Kooperationssysteme erreicht als durch eine individuelle Förderung einzelner Akteure? Für eine Bewertung von Kooperationssystemen gibt es zwei zentrale Maßstäbe:
• Wurden die Ziele wirtschaftlich erreicht? Gestaltete sich das Verhältnis von eingesetzten Ressourcen (unter anderem Kooperationsaufwand) und den damit erzielten Resultaten angemessen? Mit anderen Worten: Welches ist der Grad der Effizienz der Zusammenarbeit?
• In welchem Maß war Kooperation zielführend für die Erreichung der angestrebten Wirkungen? Diese Frage zielt auf die Effektivität der Zusammenarbeit.
Zur Bewertung der Effizienz werden zeitlicher Aufwand für die Kooperation (der Aufwand für Abstimmung/Koordination einerseits sowie der Aufwand für inhaltliche Aufgaben andererseits) und subjektive Einschätzungen der Qualität der Kooperation erhoben und zueinander in Beziehung gesetzt. Die Kennziffer zur „Effektivität der Kooperation“ ergibt sich aus der Einschätzung zum Aufwand für die Zusammenarbeit relativ zum (eingeschätzten) Aufwand für eine Zielerreichung ohne Zusammenarbeit. Dem liegen Einschätzung durch die Beteiligten zu Aussagen wie zum Beispiel „Nur durch Zusammenarbeit kann das angestrebte Ziel erreicht werden“; „Mit genau diesen Partnern kann die Kooperation erfolgreich die anvisierten Ziele erreichen“ zugrunde.
Das Projekt beginnt im Oktober 2011 und hat eine Laufzeit von 36 Monaten; hiervon sind als reine Erhebungsphase 24 Monate vorgesehen, während die Vorbereitungs- und eine abschließende Auswertungsphase jeweils sechs Monaten umfassen. Im Zentrum des Projektes steht die Befragung der Akteure vor Ort, die eine Mitarbeiterin vor Ort mit den Partnern gemeinsam durchführt: Diese zusätzliche Mitarbeiterin wird aller Voraussicht nach durch eine Stiftung finanziert. Ihre Aufgabe ist es, die geplante Befragung optimal durchzuführen, ohne die alltägliche Arbeit in der Bildungslandschaft mit dem zusätzlichen wissenschaftlichen Forschungsvorhaben zu belasten. Wohlverstandener Nebeneffekt des Erhebungsdesigns und unmittelbarer praktischer Nutzen für die Akteure vor Ort ist: Die Projektmitarbeiterin steht auch bereit, um die Vernetzung der Akteure vor Ort zu festigen und sofort noch weiter voranzutreiben in Bildungsbereichen, die während der Befragung als defizitär identifiziert werden: Zugleich kann, dies war bei der Konzeption des Forschungsvorhabens wichtig, nicht nur die notwendige Erhebung durchführt, sondern auch eine Erleichterung und Verbesserung der Arbeit vor Ort gewährleistet werden – auf diese Weise wird nicht nur die Zusammenarbeit unterstützt, sondern durch die zeitnahe Rückmeldung der Erkenntnisse kann auch eine Optimierung bestehender Angebote durch den Abgleich von Bedarf, Ressourcen und Nachfrage vorgenommen werden.
Dass die Projektmitarbeiterin die Vernetzung der Akteure vor Ort festigen und weiter vorantreiben soll, wird von allen Beteiligten als Besonderheit des Projektkonzeptes und große Chance gesehen. Beispielsweise, das wäre ein wichtiger Nebeneffekt, könnten dann auch die Eltern erreicht werden, die – das ist bereits vor Beginn der wissenschaftlichen Untersuchung zu vermuten – trotz vieler Bemühungen nicht gut genug in die Bildungsarbeit eingebunden sind. Unmittelbarer praktischer Nutzen für die Beteiligten wären also beispielsweise neue Konzepte für die Elternarbeit. Hier liegt die Besonderheit der Idee, mit einem persönlichen Gesprächsangebot auf die Akteure zuzugehen. Die Beteiligten werden unmittelbar aktiv darin unterstützt, die eigenen Arbeitsfortschritte und die Art und Weise der Zusammenarbeit zu reflektieren und selbständig zu optimieren. Wir sind sehr zuversichtlich, mit dem ZMI-Projekt Ansatzpunkte für eine weiterreichende Stärkung der etablierten Sprachförderaktivitäten aufzuzeigen und Desiderate zu identifizieren: So sollen im Rahmen des Projektes je eine Bestandsaufnahme der fachlichen Qualifizierungen der Beteiligten sowie der von den pädagogischen Fachkräften verwendeten diagnostischen Verfahren und Förderinstrumente erstellt werden – dies alles unter Berücksichtigung sozialräumlicher Ansätze: So könnten – in einem nächsten Schritt – wissenschaftlich fundierte Fortbildungskonzepte geplant sowie die Weiterentwicklung der eingesetzten Diagnoseverfahren und Sprachförderinstrumente gezielt vorangetrieben werden.
Was aber wird danach, im Herbst 2014, anders sein in Höhenberg und Vingst, welchen Nutzen haben die Akteure? Am Beispiel von Höhenberg-Vingst glauben wir aufzeigen und eindrucksvoll wissenschaftlich nachweisen zu können, dass das Ganze – die koordinierte, miteinander und aufeinander abgestimmte Zusammenarbeit aller Beteiligten – tatsächlich mehr erwirkt als die Summe der einzelnen Teilleistungen.