Die Herbstschule 2010
von Dr. Lotte Weinrich & Monika Lüth • Artikel im ZMI Magazin 2011, S. 23
Monika Lüth: Frau Weinrich, der für NRW neu konzipierte Studiengang für angehende Lehrerinnen und Lehrer sieht einen umfangreicheren Praxisteil vor. Prof. Oelkers von der Universität Zürich kritisiert, dass „der Anschluss der Praktikumserfahrung an das Themenvorkommen der Ausbildung nicht gesichert“ sei – wenn Sie sich Ihr Seminarangebot anschauen – sehen Sie dies ebenso?
Lotte Weinrich: Nein, ich bin da etwas optimistischer als Herr Oelkers. Seit fast zehn Jahren bieten wir an unserem Institut sogenannten Praxisseminare an, die durch eine Kopplung von Theorie und Schulpraxis gekennzeichnet sind: Die Studierenden erteilen wöchentlich an Kölner Grundschulen Sprachförderunterricht in Kleingruppen und werden durch das Praxisseminar bei dieser Aufgabe begleitet. Diese enge Kopplung von Theorie und Praxis erzielen wir darüber hinaus bei unseren Ferienschulen und Sprachcamps, die unsere Studierenden unter Anleitung an Kölner Schulen durchführen. Bei der Umstellung auf die neuen Studiengänge (BA/MA: Bachelor und Master) dürfen diese erfahrungsgesättigten Konzepte natürlich nicht verloren gehen, sondern sie sollen als prägende Elemente im Praxissemester fortgeführt oder sogar intensiviert werden. Wie das genau an so einer großen Lehrerausbildungsstätte umgesetzt werden kann, wird zurzeit in einer Arbeitsgruppe konkretisiert.
Monika Lüth: Ich erinnere mich noch gut daran, als Sie vorschlugen, einmal in meinem Unterricht zu hospitieren – einerseits hat mich Ihr Interesse an unserer Schularbeit wirklich sehr gefreut, auf der anderen Seite war ich auch etwas aufgeregt … ich war gespannt, ob unser DemeK-Konzept dem kritischen Uni-Blick standhalten würde.
Lotte Weinrich: Lehrerinnen und Lehrer wissen vermutlich gar nicht, wie sehr viele von uns es genießen, in die Praxis zu gehen und – wenn man so will – echte Kinder zu sehen und richtige Schulluft zu schnuppern. Die Stunde hat mir sehr gut gefallen. Ich weiß noch genau, wie schöpferisch die Kinder beim Er-Finden neuer Textelemente waren, und mit welchem Produktstolz sie ihre eigenen Texte vorgetragen haben. Dabei wurde wieder deutlich, dass Kinder grammatische Strukturen erwerben, weil sie von den literarischen Inhalten fasziniert sind und deshalb den genauen Wortlaut memorieren wollen, mit dem diese zum Ausdruck gebracht werden. Die grammatischen Strukturen alleine bieten für Kinder in der Regel wenig Lernanreize, wie schon der im Fremdsprachenunterricht der 1970er Jahre nur mit mäßigem Erfolg praktizierte „pattern drill“ gezeigt hat. Ideale DemeK-Texte bestechen durch ihren Inhalt und durch ihre formale Struktur, die zur Entwicklungsaufgabe des Lernenden passt. Die Qualität von Texten zu erkennen, ist nicht leicht und muss im Studium intensiv geübt werden. Neben der generativen Textproduktion ist ein wichtiges Element von DemeK die möglichst konsequente farbliche Kennzeichnung der drei Genera (blau = Maskulinum, grün = Neutrum und rot = Femininum) mit dem Ziel, den Genuserwerb mnemotechnisch zu unterstützen. Ich hätte allerdings nicht gedacht, wie schwer es selbst an DemeK-Schulen ist, in jedem Raum drei farbige Plakate (in der vereinbarten Reihenfolge) zentriert aufzuhängen, damit überhaupt Wörter auf ihnen gesammelt und sortiert werden können.
Monika Lüth: In den Herbstferien 2010 hat an meiner Schule ein Sprachcamp stattgefunden, zu dem 36 Kinder zehn Tage lang von 10 bis 16 Uhr in die Schule kamen – und auf 12 gut vorbereitete Studierende trafen. Für diese Kinder sehe ich große Vorteile – welche Rückmeldung haben Sie im letzten Jahr von den Studierenden bekommen?
Lotte Weinrich: Die zwölf studentischen Förderkräfte, die sich für das „Hundecamp“ an der Grüneberg-Schule außerordentlich engagiert haben, waren allesamt begeistert. Das intensive Zusammensein mit dem Kindern im zukünftigen Berufsfeld führt nicht nur automatisch zur Überprüfung des eigenen Berufswunsches, sondern erweist sich auch als eine komplexe Herausforderung, die vom Plaudern während des Mittagessens über das Trösten eines weinenden Kindes bis hin zu der schwierigen Einschätzung reicht, wo das Kind in seiner sprachlichen Entwicklung steht und was es als Nächstes lernen kann. Am Ende eines solchen Sprachfördercamps können die Studierenden sehr genau benennen, was sie pädagogisch noch lernen wollen und welchen Studieninhalten sie sich zukünftig intensiver widmen möchten. Auch ich selbst habe mich nach den wunderbaren Camperfahrungen schwungvoll und glücklich ins nächste Semester begeben – und kann deshalb nur unterstreichen, dass Ferienschulen für alle Beteiligten bestens geeignet sind, die eigenen Aufgaben klarer zu sehen und motivierter anzugehen.
Monika Lüth: Welchen Tipp oder guten Rat würden Sie uns Lehrkräften, die wir täglich mit Spracharbeit zu tun haben, gern mit auf den Weg geben?
Lotte Weinrich: Vom Kindergarten bis zur Hochschule gilt, glaube ich, die Beobachtung, dass sich die Begeisterung für Sprache und für Sprachen mitteilt und lernlustig macht. In einer Grundschule im Kölner Norden konnte ich erleben, wie eine Lehrerin ihren Unterricht eröffnet, indem sie den Wochentag und das Datum an die Tafel schreibt. Nach und nach stehen einzelne Kinder auf und schreiben den Wochentag in ihrer Herkunftssprache darunter. Das ist Sprachkultur im besten Sinne. Durch unser Sprachförderprojekt habe ich begriffen, dass viele Kinder und Jugendliche einen langen Weg vor sich haben, wenn es um den Erwerb der schriftnahen Standardsprache geht. Von daher ist es zentral bedeutsam, nicht von der hohen Warte auf den noch unvollkommenen Lernstand zurückzuschauen, sondern den Blick mit dem Lerner vom bereits erreichten Stand auf den nächsten Lernschritt zu richten. Aus dieser Entwicklungsorientierung können Schüler und Lehrkräfte für ihren Schulalltag Mut schöpfen und gemeinsam einen langen Atem bewahren.