Binational – ganz normal!?
von Michaela Schmitt • Artikel im ZMI Magazin 2010, S. 28
Als ich neulich den Berg zu einem Tagungshaus erklomm, begegnete mir ein Schaf, das ich mit einem freudigen Määäh begrüßte. Dies weckte die Neugier des Halters, der wie aus dem Nichts vor mir auftauchte und sich erkundigte, ob ich denn zur Tagungsstätte wolle und was ich dort zu tun gedenke. Etwas unwillig, aber höflich erzählte ich ihm, dass ich einen Vortrag über binationale Paare hielte, also Paare unterschiedlicher Herkunft, Nationalität, Sprache, Religion etc. „Was gibt es denn da zu besprechen?“ wollte er wissen „Hier am Ort gibt es mehrere solcher Paare. Das ist doch ganz normal.“ Grundsätzlich eine gesunde Einstellung, dachte ich mir, aber das Leben ist dann doch etwas komplizierter. Was ich dem Schafhalter nicht näher erläutern konnte, möchte ich an dieser Stelle kurz darlegen.
Auch 38 Jahre nach Gründung unseres Verbandes im Jahre 1972 sind binationale Partnerschaften insbesondere dann Beschränkungen unterworfen, wenn eine/-r der Partner/-innen keine EU-Nationalität hat. Paare sind frühzeitig angehalten eine Ehe oder gleichgeschlechtliche Lebenspartnerschaft zu schließen,damit sie zusammenbleiben können. Und wenn sie sich zu diesem Schritt entschließen, werden sie oft der Scheinehe verdächtigt und getrennt nach ihren Lebensgewohnheiten befragt, um die Echtheit ihrer Liebesbeziehung unter Beweis zu stellen. Zahlreiche bürokratische Hürden müssen genommen werden, um die notwendigen Papiere beizubringen – und seit Inkrafttreten des neuen Zuwanderungsgesetzes im Jahr 2007 muss die/der ausländische Partner/-in im Ausland bereits Sprachkenntnisse vor der Einreise erwerben.
Oberstes Ziel von Gesetzgebung und Verwaltungspraxis scheint nach wie vor die Abwehr von Einwanderung zu sein, obwohl nach unserer Verfassung das Recht auf Ehe und Familie garantiert ist und wir somit eigentlich heiraten dürfen, wen wir möchten (und auch die Sprache sprechen k.nnen, die wir bevorzugen). Auch aus volkswirtschaftlicher Sicht ist Zuwanderung bei drohender Bevölkerungsabnahme und Alterung eher Teil der Lösung als Teil des Problems.
Binationale haben Übung darin, Denk- und Handlungsgewohnheiten in Frage zu stellen. Sie verlassen das eigene Milieu, die erweiterte Familie, den geographischen Raum, kulturelle Selbstverständlichkeiten und sprachliche Codes und setzen sich mit anderen Lebenserfahrungen und -konzepten auseinander. Verbindungen außerhalb der eigenen gesellschaftlichen Gruppe werden fast überall auf der Welt mit Skepsis begleitet, die das Paar oft zu spüren bekommt. Prozesse der interkulturellen Aushandlung innerhalb der Partnerschaft und Familie sind herausfordernd. Sie können zugleich beispielgebend sein für das gesamtgesellschaftliche Zusammenleben in der Einwanderungsgesellschaft. Dafür bietet der Verband in seinen Publikationen und Veranstaltungen zahlreiche anschauliche Beispiele.
Wir haben uns zur Aufgabe gestellt zu beraten, Lobbyarbeit für unsere Belange zu leisten und kreative neue Ideen für das Zusammenleben zu entwickeln. Dass das Private vom Gesellschaftlichen und Politischen nicht zu trennen ist, spüren Binationale besonders deutlich. Sie müssen häufig über gesellschaftliche Machtverhältnisse reflektieren, um die eigene Situation zu verstehen. Rassismus ist für die Mitglieder unseres Verbands kein Schimpfwort für extremistische Haltungen, sondern ein gesamtgesellschaftliches Phänomen, von dem sie sich selbst nicht ausnehmen. Eine gründliche Auseinandersetzung mit diesem Thema über alle Generationen und in allen gesellschaftlichen Feldern böte unserer Gesellschaft die Möglichkeit einer Öffnung und Neugestaltung, also ein großes kreatives Potenzial.
Ob der Schafhalter mit meinen bisherigen Ausführungen hätte etwas anfangen können, bleibt dahingestellt. Etwas konkreter wird es vielleicht, wenn wir auf das Thema Mehrsprachigkeit zu sprechen kommen:
In den binationalen Familien werden meist mehrere Sprachen im Alltag gesprochen. Die mehrsprachige Erziehung der Kinder ist ein wichtiges Anliegen, denn es versetzt den Nachwuchs in die Lage, die Familien beider Eltern und ihre Herkunft zu erkunden, selbständig zu kommunizieren und Beziehungen zu knüpfen. Im Verband konnten wir den Lebensweg vieler Kinder mitverfolgen und stellen fest, dass grundsätzlich ein großes Interesse an der eigenen bzw. der Herkunft beider Eltern besteht. Dieses Interesse verläuft allerdings alles andere als gleichförmig. Oft wechseln Phasen der Ablehnung, Anziehung und Gleichgültigkeit miteinander ab. Geschwister haben unterschiedlichen Bezug zur – wenn man so will – ausländischen Familie, dem Herkunftsland und der Kultur. In jedem Fall spielt die Sprache auf dem Weg der Annäherung eine Schlüsselrolle.
So sehr sich Kinder auch beschweren, wenn sie neben Kita- und Schulbesuch noch Sprachunterricht absolvieren sollen, so frustriert sind sie, wenn sie im Erwachsenenalter die Herkunftssprache eines Elternteils nicht verstehen oder sprechen. Es gibt zahlreiche Bespiele dafür, dass Binationale im Erwachsenenalter keine Mühe scheuen, sich diese Fähigkeit noch nachträglich anzueignen.
Der Verband ermutigt und unterstützt Eltern bei der anspruchsvollen Aufgabe der mehrsprachigen Erziehung. Gleichzeitig betreibt er Lobbyarbeit für Mehrsprachige und streitet für einen Ausbau der Infrastruktur im formellen und informellen Bildungssektor. Die Förderung der in den Familien gelebten Mehrsprachigkeit ist ein relevantes gesellschaftliches Potenzial, das verdient systematisch gefördert zu werden und nicht allein dem Selbsthilfeoder kommerziellen Bereich überlassen werden kann. Und was noch wichtiger ist: Für Migrant/innen und ihre Nachkommen bedeutet die Anerkennung und Berücksichtigung von Mehrsprachigkeit insbesondere im Bildungssystem, aber auch auf dem Arbeitsmarkt bessere Beteiligungschancen und den Abbau von struktureller Diskriminierung.
Mit dem Vorleseprojekt „Unsere Omas und Opas erzählen in verschiedenen Sprachen‘, das an sieben Kindertagesstätten in Köln durchgeführt wurde, entwickelte der Verband eine solches lebensnahes Angebot. Einmal wöchentlich bieten Migrant/innen Sprachfördereinheiten in Türkisch, Russisch und Französisch für kleine feste Kindergruppen an, denen diese Sprachen als Familiensprachen vertraut sind. Dadurch verbessert sich ihr sprachlicher Ausdruck, ihr Spaß an Sprache, Geschichten und Liedern und sie erhalten die Bestätigung, dass ihre Fähigkeiten geschätzt und aufgegriffen werden.
Ein weiterer Schwerpunkt unserer derzeitigen Arbeit in Köln sind Angebote für afrodeutsche Familien. In Zusammenarbeit mit Jugendhilfe Afrika 2000 e. V. haben wir im Juli eine Ferienfreizeit für afrodeutsche Kinder im Alter von acht bis zehn Jahren durchgeführt. Im August veranstalteten wir ein Wochenende für afrodeutsche Vorschulkinder im Bürgerzentrum Köln-Ehrenfeld.
Wir suchen immer Mitstreiter/-innen für unsere Themen und Anliegen. Wenn Sie uns unterstützen wollen, wenn Sie Vernetzung und Information suchen, melden Sie sich gerne! ψ