Auf den Weg gebracht:
Verbund Kölner Europäischer Grundschulen
von Rosella Benati und Thomas Jaitner • Artikel im ZMI Magazin 2009, S. 10
Endlich ist es so weit, beim Sprachfest am 28. Januar 2009 hat Kölns Oberbürgermeister Fritz Schramma zur Gründung des Verbundes „Kölner Europäischer Grundschulen“ aufgerufen. Damit ist der Startschuss gefallen zur Umsetzung eines Ratsbeschlusses vom November 2006. Die ursprüngliche initiative ging vom Integrationsrat aus, der den entsprechenden Antrag in den rat der Stadt Köln eingebracht hatte.
Worum geht es bei diesem wichtigen bildungspolitischen Beschluss auf kommunaler Ebene? In ihrer Antragsbegründung während der Ratssitzung vom 14. November 2006 wies Gonca Mucuk-Edis, Mitglied des Integrationsrates, darauf hin, dass die Mehrsprachigkeit in Köln bereits der Normalfall ist – und das Bildungswesen auf diese Situation produktive Antworten geben muss. Sie erklärte: Dieser
Antrag „ist entstanden, weil Köln sich immer mehr verändert. Die aktuellsten Studien besagen übrigens, dass mittlerweile nicht mehr nur 40 %, sondern sogar 50 % aller Jugendlichen unter 18 Jahren einen Migrationshintergrund besitzen […] Auf diese Realität müssen sich sowohl die Gesellschaft als auch die Politik einstellen. Das bedeutet, dass der lang gehegte Wunsch der EU nach der interkulturellen Schule als Regelschule der Zukunft […] allmählich in die Tat umgesetzt werden sollte.“ Die Stadt Köln hat sich in ihrem Leitbild 2020 dafür entschieden, die Potenziale der kulturellen Vielfalt für die Stadtgesellschaft zu erschließen und aus Köln eine attraktive Wissensstadt zu machen. Dazu gehört auch ein Perspektivwechsel: Die natürliche Mehrsprachigkeit und die Vertrautheit mit dem Leben in unterschiedlichen Kulturen, mit denen viele Kinder und Jugendliche in Köln aufwachsen, dürfen nicht länger nur als Problem betrachtet werden. Vielmehr sind sie „ein großes Potenzial, eine enorme Chance für die Schulen und die gesamte Stadt Köln“ (aus dem Ratsbeschluss). Auch für die schulfachliche Seite ist die Förderung der natürlichen Mehrsprachigkeit ein wichtiges Ziel mit zwei Aufgaben: Einmal soll das rasche und effektive Erlernen der deutschen Sprache durch die Einbindung der Muttersprachen erleichtert werden. Zum anderen geht es um die Erziehung zur Mehrsprachigkeit, die im zusammenwachsenden Europa und in der globalen Einen Welt immer größere Bedeutung erlangt.
Eines der wichtigsten Kriterien für eine „Europäische Grundschule“ ist laut Ratsbeschluss ein koordinierter, zweisprachiger Sprach- und Sachunterricht. Über diesen Kernbereich hinaus ist ein Engagement auch in anderen Gebieten gefordert. So sollen die europäischen Grundschulen auch die Förderung des interkulturellen Lernens, die Einbindung der Eltern in das Schulleben, Kontakte zu den Herkunftsländern der Migranten und den europäischen Nachbarstaaten, die Einbeziehung mehrsprachiger Lehrkräfte und mehrsprachige kulturelle Veranstaltungen pflegen.
Der neue Verbund wird nicht am Punkt Null anfangen. Seit einigen Jahren gibt es in Köln Grundschulen mit einem bilingualen Zweig (mit den Sprachkombinationen Deutsch – Französisch/Italienisch und Türkisch) und die Koala-Schulen, in denen der Herkunftssprachliche Unterricht und der Regelunterricht miteinander koordiniert werden (in der Kombination Deutsch-Türkisch). In diesen Schulen wird wichtige Pionierarbeit geleistet – mit gutem Erfolg. Die von Prof. Hans-Joachim Roth (Universität zu Köln) durchgeführte Evaluation der ersten deutsch-italienischen Grundschule hat deutlich gemacht, dass der bilinguale Unterricht sowohl sprachlich weiter entwickelte Kinder als auch solche mit Förderbedarf in beiden Sprachen fördert. Die Hauptschulempfehlungen der italienischen Schülerschaft haben sich halbiert, während die Gymnasialempfehlungen um 10 % angewachsen sind. Das Koala-Projekt wird im dritten Schuljahr evaluiert, die bisherigen Ergebnisse geben Anlass zu Optimismus.
Mit der Gründung des Verbundes sollen die schon bestehenden bilingualen und Koala-Schulen gestärkt werden – und eine öffentliche Anerkennung und Wertschätzung erfahren. Zugleich sollen weitere Schulen ermuntert werden, sich ebenfalls auf diesen Weg zu machen. Dabei sind auch neue Sprachkombinationen erwünscht; im Ratsbeschluss werden
z. B. deutsch-russische und deutsch-polnische Zweige genannt. Als Perspektive wird die Weiterführung in der Sekundarstufe eingefordert.
Der Verbund wird daneben eine zweite wichtige Aufgabe erfüllen. Die Schulen sollen in ihrer Arbeit begleitet und unterstützt werden. Mit dieser Aufgabe ist das Zentrum für Mehrsprachigkeit und Integration ZMI betraut worden. Damit ist gewährleistet, dass die Stadt Köln, die Bezirksregierung Köln und die Universität zu Köln ihre Kompetenzen und Ressourcen gemeinsam und gezielt einsetzen. Es geht um didaktisch-methodische Beratung, Unterstützung bei der Einrichtung eines mehrsprachigen Zweiges, die Entwicklung von Unterrichtsmaterial, die Öffentlichkeitsarbeit oder die Organisierung des Erfahrungsaustausches bei Tagungen. Unmittelbar nach den Sommer-Schulferien 2009 wird der Rat der Stadt Köln beschließen, welche Schulen sich an dem Verbund beteiligen können. Für den Herbst ist in einer öffentlichen Veranstaltung die eigentliche Gründung vorgesehen. ψ
Hintergrund: Mehrsprachigkeit in Europa
• „Die Gemeinschaft ist immer ein multi-kulturelles und multi-ethnisches Gefüge gewesen, dessen Vielfalt für die Gemeinschaft selbst eine Bereicherung darstellt und allen Bürgern nützt, nicht ohne jedoch die Gemeinschaft als Ganze und die Einwanderergruppen vor Herausforderungen zu stellen… Kulturelle und sprachliche Vielfalt der Schülerpopulationen (ist) nicht mehr die Ausnahme, sondern die Regel. Da Daten… nicht von allen Mitgliedsstaaten erhoben werden und daher keine umfassenden Analysen möglich sind, muss unionsweit der Anteil der Schüler, die täglich mit Schülern anderer sprachlicher und kultureller Herkunft in Kontakt kommen, ungefähr auf die Hälfte der gesamten Schülerpopulation geschätzt werden. Europa ist heute unwiderruflich Bestandteil der Schulwirklichkeit.“
Kommission der Europäischen Gemeinschaften: Bericht über die Schulbildung von Migrantenkindern in der Europäischen Union, 1994, S. 5f
• „Es ist nicht länger möglich, die Beherrschung von Fremdsprachen einer Elite vorzubehalten oder solchen Menschen, die Sprachen erwerben wegen ihrer geographischen Mobilität. In Übereinstimmung mit der Resolution des Rats der Erziehungsminister vom 31.3.1995 ist es für jeden notwendig, unabhängig von der schulischen oder beruflichen Laufbahn in wenigstens zwei europäischen Sprachen zusätzlich zur Muttersprache entsprechende Kenntnisse zu erwerben und aufrechtzuerhalten.“
Europäische Kommission, Weißbuch zu Erziehung und Ausbildung: Lehren und Lernen für die lernende Gesellschaft, 1995, S. 67
• „Bildung und Erziehung sollten ein Gespür für Relativität, Diversität und Toleranz vermitteln. Dazu sollte sie sowohl die Einzigartigkeit der menschlichen Erfahrung, die Variationsweite jeder einzelnen Kultur und die lange Geschichte der Wechselbeziehungen zwischen menschlichen Gruppierungen herausarbeiten. Identität ist ein Beziehungsbegriff, keine Festung. Nur wo das anerkannt wird, gibt es wechselseitige Offenheit, eine Zweiwegebeziehung.“
UNESCO Report: Unsere kreative Vielfalt, 1996 (Kurzfassung), S. 62
• „Die Wichtigkeit der Rolle des Lehrers als Akteur des Wandels, der Verständnis und Toleranz fördert, war noch nie so augenfällig wie heute und wird im 21. Jahrhundert noch an Bedeutung gewinnen. Die Welt ist im Wandel: vom engstirnigen Nationalismus hin zu Toleranz, Verständnis und Pluralismus, von autokratischen Systemen zur Demokratie in ihren verschiedenen Spielarten, von einer Welt, in der einige im Besitz von Hochtechnologien sind, zu einer technologisch vereinten Welt. Dies bedeutet für Lehrer, die die Charaktere und den Geist der Zukunft formen, eine enorme Verantwortung.“
UNESCO-Bericht 1996, Lernfähigkeit: unser verborgener Reichtum, Luchterhand Verlag, 1997, S. 123
• „Im Hinblick auf Erfahrungen, die auf europäischer Ebene verbreitet oder angestoßen werden sollen, sollte man sich mit der interkulturellen Schule befassen. Europa muss sich die Mittel an die Hand geben, zusammen mit den Mitgliedstaaten interkulturelle Modellversuche an den Schulen zu entwickeln. Die interkulturelle Schule existiert bereits, bisher allerdings nur vereinzelt in den prestigeträchtigen internationalen Schulen und in den städtischen Quartieren mit hohem Ausländeranteil. Heute muss sie als Konzept entwickelt werden, denn in der interkulturellen Schule ist die gesamte Problematik der Bürgerschaft zusammengefasst. Sie muss zum Versuchsfeld werden, das auf die allgemeine Verbreitung dieses Schultyps vorbereitet, zu der es aufgrund der demographischen Tendenzen auf jeden Fall kommen wird.“
Kommission der Europäischen Gemeinschaften: Europa verwirklichen durch die allgemeine und berufliche Bildung, 1997, S. 19