10 digitale Tools für den sprachenbildenden Unterricht
von Till Woerfel • Artikel im ZMI Magazin 2021/22, S. 15
Digitale Medien und Tools bieten für die (mehr)sprachliche Bildung vielfältige Möglichkeiten, da sie oft automatisch alle sprachlichen Kompetenzbereiche abbilden. Diese zehn Tools haben sich in der Fort- und Weiterbildung von Lehrkäften als besonders nützlich für den Einsatz in mehrsprachigen Lernsettings erwiesen.
Die international vergleichende Schulleistungsstudie ICILS 2018 (Eickelmann, Bos, Gerick, Goldhammer, Schaumburg, Schwippert, Senkbeil & Vahrenhold, 2019) zeigt, dass der Einsatz digitaler Medien im Unterricht an deutschen Schulen im internationalen Vergleich weiterhin ausbaufähig ist. Die Umfragen des deutschen Schulbarometers aus den Jahren 2020 und 2021 lassen zwar erkennen, dass ein Zuwachs in der Nutzung digitaler Medien und Tools zu verzeichnen ist, vorwiegend werden sie von Lehrpersonen im Unterricht aber zu Präsentationszwecken genutzt oder von Schüler:innen in Form von Lernspielen oder Lern-Apps (Robert Bosch Stiftung, 2021, S. 21). Für kooperative und kollaborative Lernprozesse werden digitale Medien und Tools jedoch weiterhin wenig genutzt (vgl. ebd.), wenngleich sie hierfür ein großes Potential bereithalten.
Digitale Medien und Tools bieten auch für die (mehr)sprachliche Bildung neue Möglichkeiten, da sie oft automatisch alle sprachlichen Kompetenzbereiche, d. h. Sprechen, Zuhören, Lesen und Schreiben, abbilden. Schüler:innen können z. B. durch Ton-, Bild-, oder Videoaufnahmen ihr gesamtsprachliches Repertoire einbringen (s. dazu auch den Beitrag von Lawida, Maahs & Achahboun).
In meinen Seminaren im Modul „Deutsch für Schüler:innen mit Zuwanderungsgeschichte“ an der Universität zu Köln teste ich seit 2019 mit meinen Studierenden zahlreiche Medien und Tools und erstelle Unterrichtsentwürfe zu deren Nutzung für sprachsensible und mehrsprachige Lernprozesse (Woerfel & Wiesmann, 2020). Mein Anliegen ist dabei zukünftige Lehrpersonen darin auszubilden, den Bildungsauftrag der Kultusministerkonferenz (Sekretariat der Kultusministerkonferenz, 2016; Kultusministerkonferenz, 2021), nämlich Schüler:innen auf die Anforderungen des 21. Jahrhunderts vorzubereiten, umsetzen zu können und die Themen der sprachlichen Bildung und des digitalen Wandels aufeinander zu beziehen (Woerfel, 2020).
Die Ideen der Studierenden und meine eigenen Erkenntnisse lasse ich außerdem in Fort- und Weiterbildungsangebote für Lehrpersonen aller Schulstufen einfließen und erhalte wertvolle Rückmeldungen für den Einsatz im Unterricht. Auf dieser Grundlage1 stelle ich in diesem Beitrag zehn Tools vor, die sich für den Einsatz in mehrsprachigen Lernsettings, d. h. sowohl im Herkunftssprachen- als auch im Fach- und Fremdsprachenunterricht, anbieten.
Dabei gehe ich auch auf das Thema Datenschutz ein, über das sich viele Lehrpersonen weiterhin nicht ausreichend informiert fühlen (Robert Bosch Stiftung, 2021, S. 24).
1. Die Aktivierung von Vorwissen mit Miro
Zur Gestaltung von interaktiven Unterrichtseinstiegen eignen sich digitale Mindmaps, bei denen alle Schüler:innen in Echtzeit die Eingaben der anderen auf ihrem Bildschirm sehen können. Der Einstieg lässt sich auch mehrsprachig, z. B. in Form einer Wort- und Phrasensammlung gestalten, wobei Schüler:innen gemeinsam Wörter zu einem vorgegebenen Thema in allen ihren verfügbaren Sprachen sammeln und weiterverarbeiten. Das Tool Miro eignet sich für jedes Schulfach, in dem Zusammenarbeit über ein visuelles Medium einsetzbar ist. Es bietet neben digitalen „Klebezetteln“ und verschiedenen Templates zur Visualisierung weitere verschiedene Möglichkeiten, externe Quellen einzubinden, z. B. eine Verlinkung zu einem kollaborativen Schreibeditor wie kitspad (s. Tool 3.), mit dem dann ein Arbeitsauftrag verbunden ist. Eine Variante zu Miro, die weniger Daten der Nutzer:innen erfragt bzw. speichert, ist das Tool Mindmeister.2
2. Aufgabengestaltung und gemeinsame Aufgabenbearbeitung mit TaskCards
Digitale Pinnwände bieten Lehrpersonen vielfältige Möglichkeiten, verschiedene Phasen des Unterrichts umzusetzen, Aufgaben und Unterrichtsmaterialien bereitzustellen oder zu externen Quellen zu verlinken. Eine digitale Pinnwand kann auch von Schüler:innen in gemeinsamer Zusammenarbeit gestaltet werden. Hierfür eignet sich die digitale Pinnwand TaskCards besonders, die eine datenschutzkonforme Alternative zum bekannten Tool Padlet darstellt. Mit TaskCards können mehrsprachige Projekte zu einem bestimmten Thema (z. B. Klimaschutz) umgesetzt werden. Schüler:innen können in verschiedenen Sprachen recherchieren (z. B. Klimapolitik in Deutschland, Serbien oder der Türkei) und ihre Ergebnisse auf einer Pinnwand multimedial, d. h. in Form eines kurzen Textes, eines verlinkten Videos oder einer Sprachaufnahme, in zwei oder mehreren Sprachen präsentieren.
3. Gemeinsames Arbeiten und Schreiben mit den Tools von kits
Die Tools des Projektes kits3– kompetent in Technik und Sprache – fassen Medien- und Sprachbildung zusammen. Zu den freien und DSGVO-konformen Anwendungen gehören z. B. ein Mindmapping-Tool, ein Etherpad zum gemeinsamen Verfassen von Texten (kitspad) und ein Wortwolken-Generator. Der QR-Code-Generator (QRStorage) verfügt über eine integrierte Sprachausgabe, somit lassen sich z. B. Texte in verschiedenen Sprachen hinterlegen, die sich Schüler:innen von einer Computerstimme vorlesen lassen können.
4. Lesen und Vorlesen lassen mit AMIRA
Lesegewohnheiten in der Kindheit und das Vorlesen in der Familie haben einen Einfluss auf spätere Lese- und Schreibfähigkeiten (Groeben & Hurrelmann, 2004). Mit dem digitalen Leseförderprogramm AMIRA4 können sich Vor- und Grundschüler:innen Kinderbücher in neun Sprachen anhören und selber lesen. Nach dem Anhören bzw. Lesen eines Buches können sie ihr Wissen spielerisch in interaktiven Quiz vertiefen. AMIRA wird über eine Webseite aufgerufen und ist aktuell in Deutsch, Italienisch, Türkisch, Russisch, Arabisch, Englisch, Polnisch, Farsi und Spanisch verfügbar. Außerhalb des Unterrichts stellt es für Bezugspersonen eine tolle Möglichkeit dar, Lesegewohnheiten in den Familiensprachen zu fördern.
5. Audioaufnahmen und Feedback mit Qwiqr
Sprachnachrichten gehören zu einer weit verbreiteten Kommunikationsgewohnheit. Dies lässt sich im Unterricht didaktisch nutzen. Lehrpersonen können z. B. zu lernende Wörter einsprechen, die Schüler:innen anschließend anhören und nachsprechen. Hierfür eignet sich z. B. das datensparsame Tool Qwiqr5, mit dem die Lehrperson über einen Link eine Webseite generiert, auf der dann Audioaufnahmen (z. B. über ein Smartphone oder einen Computer) gemacht werden können. Das Tool eignet sich auch für ein mündliches Feedback.
6. Mehrsprachige Quiz- oder Vokabelkarten in H5P erstellen
Vokabelkarten sind eine didaktische Möglichkeit, im Schrift- und Fremdsprachenerwerb neue Wörter und deren Schreibweise zu lernen. Mit digitalen Tools wie H5P können Lehrpersonen mehrsprachige digitale Vokabelkarten (Flashcards) bereitstellen, diese mit Bildern illustrieren und per Audioaufnahme Aussprachebeispiele bereitstellen. Gleichzeitig können Schüler:innen solche digitalen Vokabelkarten auch selber erstellen und somit ihre schriftlichen und mündlichen und auch ihre digitalisierungsbezogenen Fähigkeiten ausbauen. Die Flashcards können per Mausklick gedreht werden, sodass sie sich auch zum Vokabellernen eignen. Alternativ können mit H5P auch Vokabelquiz erstellt werden. H5P ist eine Open Source-Anwendung, die in Moodle- oder ILIAS-basierten Lern-Management-Systemen integriert ist oder über WordPress-Webseiten oder in TaskCards (s. Tool 2) eingebunden werden kann.
7. Mehrsprachige interaktive Bücher erstellen mit BookCreator
Schüler:innen können mit verschiedenen Tools und Medien selber mehrsprachige digitale Produkte erstellen und so ihre schriftlichen und mündlichen Sprachkompetenzen und digitalisierungsbezogenen Kompetenzen gleichsam ausbauen. Hierfür eignet sich etwa das Tool BookCreator6. Neben der Texteingabe können eigene Bilder oder Zeichnungen sowie Audio- und Videoaufnahmen hochgeladen werden. Da das Tool mit einem Baukastensystem intuitiv nutzbar ist, eignet es sich bereits für den Einsatz in der Grundschule. Schüler:innen können im frühen Englischunterricht ihren Wortschatz durch das Anlegen eines digitalen Wortschatztagebuchs ausbauen, indem sie gelernte Vokabeln z. B. durch selbst mit dem Tablet aufgenommene Fotos illustrieren, diese beschriften und vertonen. Das Tool kann unter bestimmten Einstellungen datenschutzkonform genutzt werden, eine Alternative stellt die digitale Buchfunktion von H5P (s. Tool 6) dar.
8. Comics erstellen mit StoryboardThat
Visualisierungen stellen im Unterricht eine unterstützende Darstellungsform für die Einführung von z. B. Fachbegriffen dar. Das Tool StoryboardThat7, das sich über eine Webseite aufrufen lässt, stellt einen Baukasten zur Verfügung, mit dem Lehrpersonen Visualisierungen erstellen bzw. mehrsprachig verschriftlichen können. Hierfür stehen Hintergründe, Personen, Gegenstände, Sprechblasen usw. zur Verfügung, die intuitiv in Kachelfelder gezogen, vergrößert, verkleinert und verschoben werden können. Aber auch Schüler:innen können eigene Szenen, Situationen und Räume oder ein Comic gestalten und mit der Texteingabefunktion auch mehrsprachig beschriften. Ebenfalls können (literarische) Szenen mit dem Tool visualisiert und beschriftet werden, in eine andere Sprache übersetzt oder mehrsprachig gestaltet werden (für eine weitere Anwendungsmöglichkeit siehe den Beitrag von Lawida, Maahs & Achahboun in diesem Heft).
9. Sprachreflexion mit der Webseite Eurotopics
Die Fähigkeiten, Informationen zu recherchieren und zu beurteilen, haben gerade mit Blick auf Fake News eine immer wichtigere Bedeutung. Auf der Webseite Eurotopics8 lassen sich Berichterstattungen global nach Themen und in verschiedenen Sprachen recherchieren. Lehrpersonen können fortgeschrittene Lernende politische Debatten aus unterschiedlichen internationalen Perspektiven recherchieren, zusammenfassen und gegenüberstellen lassen, und so die in einer Klasse vorhandenen mehrsprachigen Ressourcen nutzen. Für jüngere Schüler:innen bieten sich z. B. kindergerechte Suchmaschinen wie Blinde Kuh an, die es auch auf Türkisch9 gibt.
10. Automatische Übersetzungen mit digitalen Übersetzungstools: DeepL
Übersetzungsanbieter wie DeepL, übersetzen mit einem Algorithmus automatisch Wörter, Phrasen oder ganze Texte. Schüler:innen können DeepL nutzen, um sich eigenständig unbekannte Wörter zu erschließen und Synonyme oder Beispiele für Formulierungen zu finden. DeepL lässt sich aber auch für Korrekturen nutzen: Hierfür wird ein z. B. auf Deutsch verfasster Text, z. B. auf Englisch übersetzt und anschließend wieder ins Deutsche rückübersetzt. In einem mit DeepL automatisch übersetzten Text finden sich aber im Bereich des Fachwortschatzes häufig noch Ungenauigkeiten. Dies kann im Unterricht didaktisch für Sprachreflexionen genutzt werden, indem Schüler:innen gemeinsam Synonyme in anderen digitalen (Synonym-)Wörterbüchern finden oder sich (gemeinsam mit der Lehrperson) die korrekten grammatische Strukturen oder Fachbegriffe erarbeiten.
Literatur
Eickelmann, Birgit; Bos, Wilfried; Gerick, Julia; Goldhammer, Frank; Schaumburg, Heike; Schwippert, Knut; Senkbeil, Martin & Vahrenhold, Jan (Hrsg.). (2019). ICILS 2018 #Deutschland Computer- und informationsbezogene Kompetenzen von Schülerinnen und Schülern im zweiten internationalen Vergleich und Kompetenzen im Bereich Computational Thinking. Münster: Waxmann.
Groeben, Norbert & Hurrelmann, Bettina (Hrsg.). (2004). Lesesozialisation in der Mediengesellschaft: ein Forschungsüberblick. Weinheim: Juventa.
Kultusministerkonferenz (2021). Lehren und Lernen in der digitalen Welt. Ergänzung zur Strategie der Kultusministerkonferenz „Bildung in der digitalen Welt“ Verfügbar unter: https://www.kmk.org/fileadmin/veroeffentlichungen_beschluesse/2021/2021_12_09-Lehren-und-Lernen-Digi.pdf [10.12.2021].
Robert Bosch Stiftung (Hrsg.). (2021, Oktober 19). Das Deutsche Schulbarometer Spezial: 2. Folgebefragung. Ergebnisse einer Befragung von Lehrerinnen und Lehrern an allgemeinbildenden Schulen im Auftrag der Robert Bosch Stiftung in Kooperation mit der ZEIT.
Sekretariat der Kultusministerkonferenz (2016). Bildung in der digitalen Welt Strategie der Kultusministerkonferenz. Beschluss der Kultusministerkonferenz vom 08.12.2016 in der Fassung vom 07.12.2017 Verfügbar unter: https://www.kmk.org/themen/bildung-in-der-digitalen-welt/strategie-bildung-in-der-digitalen-welt.html
Woerfel, Till (2020). Sprachbildungs- und digitalisierungsbezogene Kompetenzen als Gegenstand der Lehrer*innenbildung – ein Good Practice Beispiel aus dem DaZ-Modul. In Kai Kaspar, Michael Becker-Mrotzek, Sandra Hofhues, Johannes König & Daniela Zchmeinck (Hrsg.), Bildung, Schule und Digitalisierung (S. 271–277). Münster: Waxmann. Verfügbar unter: https://doi.org/10.301244/9783830992462
Woerfel, Till & Wiesmann, Mechthild (2020). Digitaler Content in der (mehr)sprachlichen Bildung. Lernmodul, Verfügbar unter: https://digill.de/course/digitaler-content-in-der-mehrsprachlichen-bildung/
Handreichung zum Thema:
Woerfel, Till (2020). Unterricht mit digitalen Medien organisieren. Mehrsprachigkeit gezielt nutzen und fördern. Mercator-Institut für Sprachförderung und Deutsch als Zweitsprache. Verfügbar unter: https://www.mercator-institut-sprachfoerderung.de/fileadmin/Redaktion/PDF/Publikationen/200804_Handreichung_A3_final.pdf