Du wirst es hier nicht einfach haben, du musst doppelt so hart arbeiten“ Interview mit Roberto Lepore, Handwerkskammer zu Köln

Du wirst es hier nicht einfach haben, du musst doppelt so hart arbeiten“
Interview mit Roberto Lepore, Handwerkskammer zu Köln

Das Gespräch führte Elcin Ekinci. • Artikel im ZMI Magazin 2019 S. 34

Sie sind der erste italienische Abteilungsleiter bei der Kölner Handwerkskammer. War es für Sie besonders schwer, diesen Posten zu erreichen?
Ja, der Erste …, ist dem so? (lacht). Eigentlich ist der Posten das Ergebnis meiner langen schulischen und beruflichen Vita sowie meines Ehrgeizes. Dennoch haben es meiner Einschätzung nach, Migranten in Deutschland insgesamt schwerer beruflich Fuß zu fassen als Deutsche – das sind zumindest meine persönlichen Erfahrungen, ähnliche Rückmeldungen bekomme ich auch aus einem Teil meines ausländischen Freundeskreises. Im Vergleich zu heute waren die damaligen Startchancen für Migranten von vorne herein schlechter. Als in den 60er und 70er Jahren die ersten Gastarbeiter kamen, haben wohl die wenigsten gedacht, dass die angeworbenen Arbeitskräfte dauerhaft bleiben würden – weder die Deutschen noch die Ausländer selbst.
Als meine Eltern Anfang der 70er Jahre nach Deutschland kamen, hatten sie anfangs auch nicht vor zu bleiben, aber mit der Zeit, dem familiären Zuwachs und den für sich erkannten besseren Perspektiven in Deutschland, haben sie sich dann doch dazu entschieden zu bleiben. Und das, obwohl sie hier keine Verwandten, deutsche Freunde, Netzwerke oder Unterstützung hatten und anfangs nur über rudimentäre Deutschkenntnisse verfügten. Meine Mutter hat das damals ganz klar kommuniziert: “Du wirst es hier nicht einfach haben, du musst doppelt so hart arbeiten!” Wenn ich heute daran zurückdenke, dann hat sich dieser Satz wie ein roter Faden durch mein Leben gezogen. Zwar stehen in Deutschland jedem, egal welcher Herkunft alle Wege offen, jedoch muss man als Migrant eben mehr dafür tun, gerade dann, wenn einem nicht die Eltern bei den Hausaufgaben oder beim Zurechtfinden im neuen Umfeld helfen können. Wenn man als Deutscher hier aufwächst, kann man i.d.R. auf Hilfestellungen, Netzwerke etc. zurückgreifen, hat ganz andere Möglichkeiten der Entwicklung und Entfaltung.

Wie haben Sie Sprachen gelernt?

Bis zum Kindergarten wurde ich zu Hause bilingual, spanisch und italienisch, erzogen. Meine Eltern haben nicht so gut Deutsch gesprochen, nur das, was sie für die Arbeit benötigt haben. Mein älterer Bruder besuchte schon den Kindergarten und brachte von dort die ersten deutschen Wörter und Sätze mit. Auch ich habe erst im Kindergarten angefangen richtig Deutsch zu lernen. Mit der Entscheidung meiner Eltern, hier in Deutschland zu bleiben, wurde zu Hause auch immer mehr Deutsch gesprochen, denn meinen Eltern war es wichtig, dass sich ihre Kinder integrieren und die Sprache vernünftig lernen. Dies hatte natürlich auch gleichzeitig Vorteile für meine Eltern, denn auf diese Weise konnten sie auch ihr eigenes Deutsch verbessern. Weitere Sprachen – Englisch und Französisch – lernte ich dann später an weiterführenden Schulen.

Haben Sie den herkunftssprachlichen Unterricht besucht?
Damals nannte sich dieser, muttersprachlicher Ergänzungsunterricht. Mit dem Wechsel von der Grundschule in die 5. Klasse der Realschule, begann ich den Ergänzungsunterricht, zweimal wöchentlich, zu besuchen. Als Kind fand dieser für mich in der fußläufigen italienischen Schule statt, zu der ich nach der sechsten Stunde ging. Im ersten Jahr war ich nicht wirklich begeistert – ich muss gestehen, die Entscheidung ging auf die Initiative meiner Eltern zurück – denn in der siebten und achten Stunde hatten alle meine Freunde frei.
Doch ich habe an der Schule schnell weitere Freundschaften schließen können. Der Vorteil des Unterrichts war, dass ich dort ein stückweit zu meinen kulturellen Wurzeln zurückkehren konnte, ich habe die Sprache, die Grammatik und Schrift neu gelernt. Für mich war es spannend, mit italienischen Kindern in Kontakt zu kommen. Wir hatten zwar damals auch noch viele italienische Familienfreunde, jedoch sind die meisten über die Jahre zurück nach Italien. Von den zahlenreichen italienischen Familien, aus unserem damaligen Freundes- und Bekanntenkreis, sind wir heute eine der wenigen, die in Deutschland geblieben sind. Schon während dieser Zeit besuchte meine Mutter in der Volkshochschule mehrere Sprachkurse – dort hat sie viele Dozentinnen und Mitschülerinnen mit unterschiedlichen Nationalitäten kennengelernt, woraus ein enger und großer Freundeskreis entstanden ist, der bei uns zu Hause ein und aus ging. Oft kam man aus der Schule und es waren Freunde meiner Mutter zu Besuch – dann wurde gemeinsam französisches, spanisches oder russisches Essen gekocht. Mit dieser Interkulturalität bin ich groß geworden und das hatte – aus heutiger Sicht – immer nur Vorteile, gerade im Hinblick auf die Sensibilität für Sprachen sowie auf meine interkulturelle Handlungsfähigkeit. Durch den Kontakt mit unterschiedlichen Kulturen und unterschiedlichen Hintergründen, konnte ich diese besser verstehen und einschätzen.
Besonders die kulturellen Unterschiede von einzelnen Personen sind sehr wichtig, man bekommt im Kontakt und Austausch mit diesen vielmehr Sichtweisen antrainiert und lernt die feinen Unterschiede kennen – das hilft einem sehr, auch im Arbeitskontext.

Wie geht die Handwerkskammer mit der Mehrsprachigkeit um?
Die Handwerkskammer zu Köln suchte vor Jahren einen Mitarbeiter in der Ausbildungsvermittlung mit dem Schwerpunkt „MobiPro-EU“ einem Sonderprogramm der Agentur für Arbeit, bei dem Jugendliche aus Spanien nach Deutschland kamen, um eine Ausbildung im Handwerk zu absolvieren. Das Themenfeld fand ich sehr spannend, zumal ich selbst eine Ausbildung im Handwerk durchlaufen habe und schon vorher in der Arbeit mit Jugendlichen, im Übergang Schule-Beruf, tätig war. Der Schwerpunkt meiner Arbeit lag in der Vermittlung potentieller Auszubildenden sowie in der Beratung der Betriebe, die spanische Auszubildende eingestellt hatten. Schnell kamen aber – aufgrund meiner Sprachkenntnisse – Übersetzungstätigkeiten sowie Begleitungen bspw. zu Behörden hinzu.
Mittlerweile leite ich die 12-köpfige Abteilung „Nachwuchssicherung“ in der inzwischen mehrere Kolleginnen und Kollegen arbeiten, die mehrsprachig sind. Wenn in der Ausbildungsvermittlung Jugendliche und junge Erwachsene sitzen, die sprachlich noch nicht so fit sind, dann unterstützen wir durch entsprechende Kollegen.
Um den Anteil der Auszubildenden mit Migrationshintergrund weiter zu steigern, hat die Handwerkskammer die Fachstelle „Integration durch Ausbildung im Handwerk“ eingerichtet. Damit wollen wir erreichen, dass mehr Jugendliche mit Migrationshintergrund ihren Weg in die duale Berufsausbildung im Handwerk finden. Denn gerade dieser Zielgruppe und ihren Eltern, sind oftmals die guten Karriere- und Zukunftsperspektiven im Handwerk unbekannt.
Ferner bieten wir als bundesweit einzige Kammer, in Zusammenarbeit mit Agenturen für Arbeit und Kreishandwerkerschaften, mehrsprachige Ausbildungsbörsen an. Hier haben Jugendliche und deren Eltern die Möglichkeit sich in verschiedenen Handwerksberufen zu erproben. Dabei steht ein Übersetzungsservice in mittlerweile 13 Sprachen zur Verfügung.

Was ist heute Ihr kulturelles Selbstverständnis?

Ich fühle mich als Europäer – selbst habe ich in einigen EU-Ländern gelebt und gearbeitet. Über die Jahrzehnte hat sich in Europa vieles verändert und angenähert. Die Wahrung kultureller Vielfalt, die Förderung von Bildung oder unsere Freizügigkeit sind nur einige Bereicherungen. Wir sind zusammengewachsen und können stark von landesspezifischen und kulturellen Unterschieden profitieren, das zieht sich durch viele Schichten der Gesellschaft. Wo stünde Deutschland heute wirtschaftlich und gesellschaftlich ohne das Beiwerk aus unterschiedlichsten Kulturkreisen?
Heute ist mein Zuhause dort, wo mein Herz hingehört. Ich bin in Spanien, Italien und Deutschland, aber auch in Frankreich oder in England zu Hause.

Welche Sprachen sprechen Sie mit Ihren Kindern?

Mit meinem vierjährigen Sohn und meiner fünfjährigen Tochter lese ich regelmäßig italienische Kinderbücher, einige ihrer Lieblingsgeschichten sind „Orso Bimbotto – va a lavoro“ und „gaya alla fattoria“. Beide lieben die Sprachrhythmik. Meine Eltern sprechen ebenfalls mit beiden italienisch und meine Mutter insbesondere auch spanisch. An Wochenenden, wenn wir gemeinsam kochen, haben wir das Ritual italienisch zu sprechen. Wenn ich meinen Kindern einen Teller zeige, dann können sie mir sagen, wie der auf Italienisch oder Spanisch heißt – übrigens meine deutsche Frau auch (lacht).
Ich bin der Meinung, es ist wichtig, den Menschen die Ängste oder Vorbehalte durch den Dialog zu nehmen, denn im Grunde genommen sind wir alle nicht so verschieden. Ein Beispiel im Handwerk ist der Wandergeselle, der für drei Jahre und einen Tag auf die Wanderschaft geht, um sich mit den Lebensgewohnheiten und Arbeitspraktiken in anderen Regionen, Ländern und sogar auf fernen Kontinenten vertraut zu machen. Das Beispiel zeigt, dass wir im kulturellen sowie beruflichen Kontext gemeinsam voneinander lernen können. Techniken, Praktiken, Verhaltensmuster aber auch zwischenmenschlichen Umgang.
International ist die Handwerkskammer zu Köln gut aufgestellt – wir unterhalten zahlreiche Partnerschaften im europäischen Ausland und führen Entwicklungshilfeprojekte durch – weit über die europäischen Grenzen hinaus.
Dazu besteht die Möglichkeit für unsere Auszubildenden und Gesellen Auslandsaufenthalte zu realisieren. Hier haben wir Partnerstädte, -betriebe und Institutionen, mit denen wir zusammenarbeiten und uns regelmäßig austauschen. Die Möglichkeit zum Erlernen bzw. Weiterbilden, im gleichen Beruf, auch ins Ausland zu gehen, ist für unsere Handwerker eine große Chance. Übrigens, hilft dabei das Sprechen weiterer Sprachen ungemein … (lacht).
Vielen Dank für das Gespräch.