Internationale Förderklassen an Kölner Berufskollegs
von Barbara Hofmann • Artikel im ZMI Magazin 2012, S. 18
Jedes Jahr reisen Tausende von jungen Migrantinnen und Migranten im Alter mindestens sechzehn Jahren nach Deutschland ein. Die Gründe für die Einreise sind vielfältig. Manche haben Familienangehörige hier und kommen im Rahmen der Familienzusammenführung. Andere kommen als Flüchtlinge aus Kriegs- und Krisengebieten oder stellen als politisch Verfolgte einen Antrag auf Asyl. Wieder andere kommen im Zuge der Freizügigkeit innerhalb Europas.
Zum Zeitpunkt ihrer Einreise sind die Jugendlichen in einem Lebensabschnitt, in dem die berufliche Perspektive im Mittelpunkt ihres Denkens und Handelns steht. Wie aber lässt sich das Ziel, eine qualifizierte berufliche Bildung anzustreben, erreichen?
Weil die Jugendlichen am Ende ihrer Vollzeitschulpflicht stehen, können sie in der Regel nicht an allgemeinbildenden Schulen aufgenommen werden. Da sie zudem nicht oder nur unzureichend Deutsch verstehen und sprechen, fehlen ihnen aber auch die Voraussetzungen, sich in weiterführenden Bildungsgängen schulisch oder beruflich qualifizieren zu können. Dabei kommt der Sprachförderung eine zentrale Bedeutung zu, wenn es um den Erwerb von Bildung im Allgemeinen geht. Allein die deutsche Sprachkompetenz reicht aber natürlich für den Zugang zum Ausbildungs- und Arbeitsmarkt nicht aus. Daher stellt die Vermittlung in Sprachkurse keine geeignete Alternative dar, wenn es um berufliche Bildung geht.
Für den Zugang dieser Jugendlichen zum Regelsystem sind in enger Kooperation von Bezirksregierung, Berufskollegs und Regionaler Arbeitsstelle zur Förderung von Kindern und Jugendlichen aus Zuwandererfamilien (RAA) Vorbereitungsklassen an Berufskollegs eingerichtet worden, die als Internationale Förderklassen (IFK) bezeichnet werden. Diese Internationalen Förderklassen an Berufskollegs fördern die Kompetenz der deutschen Sprache, verbessern die Allgemeinbildung und vermitteln berufliche Grundkenntnisse. Sie geben so den Jugendlichen Orientierung und Stabilität, verbessern ihre schulischen Qualifikationen und damit auch ihre beruflichen Lebensperspektiven.
Die Internationalen Förderklassen werden seit nahezu zwanzig Jahren angeboten und sind aufgrund ihrer erfolgreichen Arbeit aus dem Kölner Bildungsangebot nicht mehr wegzudenken.
Die Rechtsgrundlage zur Beschulung von Seiteneinsteigern bildet das Schulpflicht-gesetz des Landes Nordrhein-Westfalen, das auch die Berufsschulpflicht umfasst. In den Richtlinien werden die Lernvoraussetzungen, die Stundentafel und die Zielsetzungen des Bildungsganges sowie die bildungsdidaktische Umsetzung geregelt.
Die Internationalen Förderklassen bieten ein einjähriges vollzeitschulisches Angebot. Die Aufnahme der Jugendlichen erfolgt jeweils zu Beginn eines Schuljahres. In einer IFK werden durchschnittlich 19 Jugendliche beschult; der Besuch der IFK erfolgt auf freiwilliger Basis. Die Jugendlichen werden darauf vorbereitet, im Anschluss an den Besuch dieser Klasse weiterführende Bildungsgänge zu besuchen, z. B. das Berufsgrundschuljahr oder die Berufsfachschule, oder eine Berufsausbildung oder Berufstätigkeit aufzunehmen.
Die aktuellen politischen, wirtschaftlichen Entwicklungen und kriegerischen Auseinandersetzungen in der Welt spiegeln sich in der Zahl und in der Herkunft der Schüler/
-innen in den IFK wider. Aktuell kommen die Jugendlichen aus 40 verschiedenen Ländern, vor allem aus Afghanistan, aus dem Irak, aus den Krisengebieten Afrikas sowie aus den (süd-)osteuropäischen Ländern.
Die meisten Jugendlichen sind auf der Suche nach einer Neuorientierung. Die im Herkunftsland begonnene Entwicklung und Lebensplanung muss in Deutschland im Spannungsfeld der verschiedenen Kulturen oder Rollenerwartungen fortgesetzt werden. Häufig verlieren die Jugendlichen ihre Selbstsicherheit. Viele leiden an Heimweh oder traumatischen Verlusterfahrungen. Dies beeinflusst ihre Lernmöglichkeiten. Hinzu kommen weitere Belastungen in Deutschland, wie z. B. die oft beengte Wohnsituation, die soziale Isolation oder der meist sehr erschwerte Zugang zum Arbeits- und Ausbildungsmarkt, der viele in Abhängigkeit von staatlichen Leistungen bringt. Die Art des Aufenthaltsstatus und die sich daraus ergebenden Perspektiven sind vor allem dann von Bedeutung, wenn es im Anschluss an den Besuch der IFK um Möglichkeiten der beruflichen Integration geht.
Ebenso heterogen wie die nationalen und kulturellen Hintergründe der Schülerinnen und Schüler sind ihre Bildungsvoraussetzungen. Manche Jugendliche haben in ihrem Herkunftsland noch keine Abschlüsse erworben; einige blicken auf eine Schulzeit zurück, die durch Unterbrechungen und Störungen gekennzeichnet ist. Einige haben zwar lesen und schreiben gelernt, jedoch nicht auf der Basis des lateinischen Alphabets. Andere wiederum verfügen über einen Schulabschluss und können diesen in Deutschland anerkennen lassen. Die Erfahrung zeigt, dass die Jugendlichen, die eine Internationale Förderklasse besuchen, sich durch eine besonders hohe Bildungsmotivation auszeichnen.
Die schulische Förderung beinhaltet ein Höchstmaß an Differenzierung bezüglich der Lehr- und Unterrichtspläne, Arbeitsmaterialien, Lerngeschwindigkeit bzw. Einteilung der Klasse in verschiedene Niveaustufen, da die zuvor beschriebenen unterschiedlichen Eingangsvoraussetzungen der Jugendlichen dies erfordern. Um für jeden Schüler und jede Schülerin eine individuelle Förderung zu ermöglichen, hat es sich bewährt, in einem Eingangstest die Lernausgangslage zu erfassen. Dadurch können gleich zu Beginn eines Schuljahres differenzierte Maßnahmen entwickelt und Materialien eingesetzt werden, um die Klasse insgesamt adäquat zu fördern.
Da viele Jugendliche im Herkunftsland einen autoritären Unterrichtsstil kennengelernt haben und gewohnt waren, viel auswendig zu lernen und im Unterricht diszipliniert zu werden, sind grundlegende unterrichtsbezogene Sozialformen, Arbeitstechniken und Lernstrategien zu vermitteln, z. B. Projektarbeiten, Arbeiten mit Lernkarteien, sinnvolles Nachschlagen in Lexika und vieles mehr.
Durch den berufstheoretischen und berufspraktischen Unterricht lernen die Schülerinnen und Schüler bestimmte Berufsfelder kennen und erwerben berufliche Grundkenntnisse. In Köln sind dies wahlweise die Berufsfelder Wirtschaft und Verwaltung, Bau- und Holztechnik, Friseur, Ernährung, Hauswirtschaft, Gesundheit, Textiltechnik, Metalltechnik, Elektrotechnik, Kfz-Technik und Informationstechnik. Diese sind für die weitere Berufszielfindung von zentraler Bedeutung. Einen besonderen Stellenwert nimmt das dreiwöchige Betriebspraktikum zum Ende des ersten Schulhalbjahres ein. Hierauf werden die Jugendlichem fächerübergreifend intensiv vorbereitet.
In den Internationalen Förderklassen wird kein Schulabschluss vergeben. Es kann aber eine Empfehlung mit einer Prognose über den nächst erreichbaren schulischen Abschluss ausgesprochen werden. Diese berechtigt, den Abschluss in der folgenden Klasse im Regelsystem der Berufskollegs zu erwerben, z. B. den Sekundarabschluss I – Hauptschulabschluss nach Klasse 10 oder den Mittleren Schulabschluss im Berufsgrundschuljahr.
Für die schulische und berufliche Integration der Jugendlichen ist deren Biografie, sind aber auch die jeweiligen Lebensumstände von zentraler Bedeutung. Nur wenn diese im Lernprozess berücksichtigt werden, können die Jugendlichen erfolgreich die Internationale Förderklasse absolvieren und den Zugang zum Bildungssystem finden.
Für den schulischen Erfolg der Schülerinnen und Schüler ist sowohl die Wissensvermittlung als auch die sozialpädagogische Förderung von entscheidender Bedeutung. Die enge Kooperation der sozialpädagogischen Fachkräfte mit den Lehrpersonen bildet die Grundvoraussetzung für eine optimale Förderung. In der Praxis hat es sich bewährt, dass die Sozialpädagoginnen und Sozialpädagogen mit in den Unterricht eingebunden sind. Schwerpunkte der sozialpädagogischen Arbeit bilden die lebenspraktische Beratung, die Konfliktberatung/Krisenintervention, die Bildungsberatung, die Durchführung von Gruppenangeboten sowie die Unterstützung der Arbeit der Schulen. Diese Bereiche finden sich wieder im „sozialpädagogischen Fahrplan“, der – auf die Klasse und das Jahr abgestimmt – die zentralen Aktivitäten beinhaltet. Dazu gehören sowohl die kontinuierliche Einzelberatung der Jugendlichen als auch Gruppenangebote zu verschiedenen Themen, wie z. B. zur Berufszielfindung, zur Gewaltprävention, zur Gesundheitserziehung, das Feiern von Festen oder das Erstellen eines Lebensordners.
Durch das Zusammenwirken von Lehrerinnen und Lehrern einerseits und sozialpädagogischen Fachkräften andererseits gelingt es, die schulischen und beruflichen Startchancen für die meisten Schülerinnen und Schüler zu schaffen. Die hohe Durchhaltequote ist ein messbarer Erfolg; beispielsweise haben im vergangenen Schuljahr lediglich zehn Prozent der Schülerinnen und Schüler vorzeitig den Schulbesuch beendet. Die allermeisten Jugendlichen finden im Anschluss an die Internationale Förderklasse eine weiterführende schulische oder berufliche Perspektive.