Förderung der Mehrsprachigkeit durch lebenslanges Lernen

Förderung der Mehrsprachigkeit durch lebenslanges Lernen

von Prof. Dr. Albert Raasch • Artikel im ZMI Magazin 2010, S. 7

Vorbemerkung: Wozu also die Mehrsprachigkeit?
Die Identität Europas definiert sich durch ein scheinbares Paradox: eine Einheit anzustreben und zugleich die sprachliche und kulturelle Vielfalt zu bewahren. In dieses Spannungsfeld gehört das sprachenpolitische Problem der Förderung der individuellen und auch der territorialen Mehrsprachigkeit. Eines der vordringlichen sozialen und politischen Probleme europäischer Gesellschaften ist die Arbeitslosigkeit. Die Förderung von Sprachkenntnissen – muttersprachlichen, zweitsprachlichen und fremdsprachlichen – kann einen Beitrag zur Qualifizierung der Menschen leisten und zugleich mithelfen, soziale Kohäsion im zusammenwachsenden Europa zu fördern.

„Zwar wird Englisch wohl seine führende Rolle als Weltgeschäftssprache behalten, andere Sprachen werden jedoch den Ausschlag dafür geben, ob ein Unternehmen in der Masse untergeht oder sich im Wettbewerb profilieren kann. […] Die Integration mehrsprachiger und multikultureller Beschäftigter ist von entscheidender Bedeutung.“ (Europäische Kommission, Bildung und Kultur, S. 5)
„Mehrere Forschungsstudien zeigen, dass auf den internationalen Märkten eine Vielzahl von Sprachen in Verbindung mit der kulturellen Kompetenz benötigt wird, deren Aneignung in der Regel mit dem Erlernen einer Sprache einhergeht. Gleichzeitig haben Unternehmen immer mehr Schwierigkeiten, qualifiziertes Personal zu finden, dessen Sprachkenntnisse über ein Grundwissen der englischen Sprache hinausgehen. Dies wird als echtes Problem wahrgenommen.“ (Europäische Kommission, Bildung und Kultur, S. 7)
„Kleinen Unternehmen kann eine gute mehrsprachige Kommunikation neue Möglichkeiten eröffnen, die den Ausschlag für Erfolg oder Misserfolg geben. Sprachkenntnisse sind ein Gewinn für alle unternehmerischen Aktivitäten, nicht nur für Verkauf und Vermarktung. Eine direkte Kommunikation aller Beteiligten auf allen Ebenen führt zur schnelleren Lösung von Problemen und vermeidet Verzögerungen.“ (Europäische Kommission, Bildung und Kultur, S. 8)

1. Lernphasen

Die zunehmende Bedeutung von Fremdsprachenkenntnissen wird allgemein anerkannt, die Realisierung der in dieser Feststellung enthaltenen Forderung aber lässt durchaus zu wünschen übrig.
Die europäischen Institutionen haben vielfältig und frühzeitig auf diese Tatsache hingewiesen. Als Beispiel zitieren wir ein Memorandum der Europäischen Gemeinschaften vom Jahr 2000, in dem die Fremdsprachenkenntnisse zu den Basisqualifikationen gezählt werden; diese Basisqualifikationen werden dort (auf S. 13) definiert „als Kompetenzen, die Voraussetzung sind für eine aktive Teilhabe an der wissensbasierten Gesellschaft und Wirtschaft – am Arbeitsmarkt und am Arbeitsplatz, in realen und virtuellen Gemeinschaften und in der Demokratie. Impliziert ist auch, dass diese Kompetenzen es Bürgern ermöglichen, eine Identität zu finden und sich Lebensziele vorzugeben. Einige dieser Fertigkeiten – so z. B. digitale Kompetenz – sind neu, während andere – zum Beispiel Fremdsprachenkenntnisse – für viel mehr Menschen als in der Vergangenheit wichtiger werden.“ Voraussetzung für den Erwerb dieser Basisqualifikationen ist das lebenslange Lernen.
Der Erfolg der individuellen Bemühungen um lebenslanges Lernen hängt wesentlich von dem Zusammenspiel der institutionell definierten und determinierten Lernphasen ab. Der Wechsel von einer Phase in die nächste ist für das Erlernen einer Zweit-/Fremdsprache ein besonders kritischer Moment, der von der Linguistik, der Psychologie, der Pädagogik, der curricularen Planung, der Lehrerausbildung und der Sprachenpolitik besonders aufmerksam analysiert wird. Das Hineinwachsen in eine neue Sprache (Zweitoder Fremdsprache) im Kindergarten und in der Kita hat grundsätzlich eine größere Ähnlichkeit mit der Sprachenvermittlung in der Grundschule – während Grundschule und weiterführende Schule, insbesondere das Gymnasium, ihre Probleme miteinander haben, Kontinuität zu verwirklichen. Ob der Übergang von der weiterführenden Schule in das Fremdsprachenlernen der Erwachsenenbildung optimal ist, lässt sich anhand folgender Kriterien – formuliert in Form zentraler Leitfragen – entscheiden:

  • Erfahren die Schüler/-innen, dass das schulische Lernen nur eine Phase, und zudem eine relativ (zur Erwachsenenbildung gesehen) kurze Phase, des Sprachenlernens ist?
  • Werden die Schüler/-innen damit vertraut gemacht, dass das Sprachenlernen in der Erwachsenenbildung die natürliche Fortsetzung des schulischen Lernens ist?
  • Erwerben Schüler/-innen in der Schule die Strategien, die für das anschließende Weiterlernen nötig sind?
  • Lernen die Schüler/-innen zu beobachten, wie man vorgeht, um eine neue Sprache zu lernen?
  • Wie weit sind die Lehrkräfte mit den Besonderheiten des Lernprozesses bei Erwachsenen vertraut?

Wer solche Fragen formuliert, bringt damit zweifellos eine gewisse Skepsis zum Ausdruck, die in die Forderung nach einem Abbau der institutionellen Grenzen mündet, damit das lebenslange Lernen im Fremdsprachenbereich nicht von diesen Blockaden behindert wird.
Nun könnte man versuchen, die Unterschiedlichkeit der Lernphasen als eine Chance zu sehen, und zwar in folgendem Sinne: Jede Phase hat ihre je spezifischen Merkmale, z. B. im methodischen Vorgehen, in den Lerninhalten, in den Lernmaterialien, in den institutionellen Strukturen usw. Diese Unterschiede könnte man nicht nur akzeptieren, sondern fruchtbar machen, indem jede Phase auf das Neue, andere hinweist, so dass man das lebenslange Lernen als abwechslungsreiches Kontinuum gestaltet und beschreibt und damit die Motivation für das Weiterlernen steigert. Die Voraussetzung für das Gelingen einer solchen Interpretation wäre, dass die Lernenden auf die je spezifischen Lernweisen aufmerksam gemacht werden, dass man sie ihnen erläutert und dass die Ausbilder/-innen jeder Phase die Vorgehensweise der anderen Phasen als gleichwertig anerkennen.
Es erscheint vielleicht nicht abwegig, beide Interpretationen miteinander zu verknüpfen.

1. Lernformen
Ein wichtiger Ansatz zur Förderung kontinuierlichen Sprachenlernens besteht in dem je angemessenen Gleichgewicht von formalem, nicht formalem und informellem Lernen.
Diese Begriffe werden ziemlich unterschiedlich definiert; wichtig aber ist die Unterscheidung
dieser drei Kategorien, da dann eine Umsetzung in die Praxis des Lernens und der Lernplanung möglich wird. In dem erwähnten Memorandum von 2000 lauten (auf S. 9f.) die Definitionen folgendermaßen:
„Es sind drei grundlegende Kategorien ‚zweckmäßiger Lerntätigkeiten’ zu unterscheiden:

  • Formales Lernen findet in Bildungs- und Ausbildungseinrichtungen statt und führt zu anerkannten Abschlüssen und Qualifikationen.
  • Nicht-formales Lernen findet außerhalb der Hauptsysteme der allgemeinen und beruflichen Bildung statt und führt nicht unbedingt zum Erwerb eines formalen Abschlusses. Nicht-formales Lernen kann am Arbeitsplatz und im Rahmen von Aktivitäten der Organisationen und Gruppierungen der Zivilgesellschaft (wie Jugendorganisationen, Gewerkschaften und politischen Parteien) stattfinden. Auch Organisationen oder Dienste, die zur Ergänzung der formalen Systeme eingerichtet wurden, können als Ort nicht-formalen Lernens fungieren (z. B. Kunst-, Musik- und Sportkurse oder private Betreuung durch Tutoren zur Prüfungsvorbereitung).
  • Informelles Lernen ist eine natürliche Begleiterscheinung des täglichen Lebens. Anders als beim formalen und nicht-formalen Lernen handelt es sich beim informellen Lernen nicht notwendigerweise um ein intentionales Lernen, weshalb es auch von den Lernenden selbst unter Umständen gar nicht als Erweiterung ihres Wissens und ihrer Fähigkeiten wahrgenommen wird.
    Bislang war es in erster Linie das formale Lernen, mit dem sich die Politik beschäftigt hat und das die Ausgestaltung der Bildungs- und Ausbildungsangebote wie auch die Vorstellung der Menschen davon, was als ‚Lernen’ angesehen wird, geprägt hat. Das Kontinuum des lebenslangen Lernens rückt das nichtformale und das informelle Lernen stärker ins Bild.“
    Die Bedeutung informellen Lernens geht aus folgender Feststellung hervor, die aber zugleich auch die reale Situation andeutet, in der sich die Bewertung von Ergebnissen informellen Lernens derzeit noch befindet:
    „Wirklich mehrsprachige Personen haben ihre Sprachkenntnisse häufig außerhalb des formalen Bildungssystems erworben. Eine offizielle Anerkennung des nicht-formalen und informellen Lernens ist jedoch nicht die Regel […]“ (Europäische Kommission, Bildung und Kultur, S. 5)

Von der zweisprachigen Kita über die Grundschule und die weiterführende Schule bis in die Erwachsenenbildung hinein ist das formale Lernen (in der Schule bzw. in den Einrichtungen der Erwachsenenbildung) stets begleitet von mehr oder weniger ausgedehntem informellen Lernen; für eine Mehrzahl der Fälle mag gelten, dass der Anteil des informellen Lernens im Laufe dieser Zeit zunimmt, so dass das eigentliche Kontinuum darin zu sehen wäre.

2. Lernen durch Mobilität
Die Bedeutung dieser Lernformen für das Sprachenlernen wird deutlich, wenn man versucht, jenseits vom traditionellen Lernort Schule oder Kurs diejenigen Lerngelegenheiten zu erkennen, die neben der Schule existieren und genutzt werden.
Formales Lernen beinhaltet im Allgemeinen: Lernen in einer Gruppe; curricular geordnetes Lernen; Anleitung und Betreuung durch Lehrer; Benotung und Zertifizierung.
Beispiele für informelles Lernen sind: einen Fernsehfilm in der Fremdsprache sehen, im Internet surfen, an einem Gespräch in der Fremdsprache teilnehmen, ins Ausland fahren. Die große Bedeutung dieser Lernmöglichkeiten wird durch das Europäische Sprachenportfolio deutlich sichtbar gemacht und in das Bewusstsein der Lernenden gerückt. Beruflich Tätige haben auch in ihrer Firma Gelegenheiten zu informellem Lernen: Gespräche,
Telefonate, Werbung, Beschreibungen, Fortbildungsmöglichkeiten, Besuch von Messen. Auslandsaufenthalte („learning by leaving“ CEDEFOP 2/2005, S. 3) sind eine wichtige Quelle informellen Lernens. Die Kopenhagener Erklärung, in der u. a. die Validierung von nicht formalem Lernen gefordert wird, sieht eine Verbesserung der Anerkennung von Ausbildungsleistungen im Ausland vor. Derartige Maßnahmen sind notwendig, denn:
„Die Mobilität der Beschäftigten ist weiterhin vergleichsweise gering. Nur 2 % aller Bürger im erwerbsfähigen Alter leben und arbeiten in einem anderen Mitgliedstaat als ihrem Heimatland. Fehlende Sprachkenntnisse ist das am häufigsten angegebene Hindernis für die innereuropäische Mobilität.“ (Europäische Kommission, Bildung und Kultur, S. 7; vgl. auch den „Aktionsplan für berufliche Mobilität“ für die Jahre 2007 bis 2010 in der Sozialagenda vom Februar 2008) Die sozialpolitische Agenda 2000–2004 hat daher ein „Europäisches Portal zur beruflichen Mobilität“ geschaffen. „Es stellt für Arbeitssuchende eine einfache Möglichkeit dar, Informationen über freie Stellen und Jobchancen in ganz Europa zu bekommen.“ (Sozialpolitische Agenda 2005–2010, S. 12) Der Europass existiert seit 2005 als Online-Portal, das Arbeitsgebern und Arbeitssuchenden gestattet, ihre eigenen Kompetenzen und Qualifikationen zu vergleichen.

3. Mehrsprachigkeit
Wenn hier von lebenslangem Sprachenlernen die Rede ist und die Orientierung dabei auf die Förderung der Mehrsprachigkeit gelegt wird, muss man die Begriffe Sprache und Mehrsprachigkeit ebenfalls näher betrachten. Mehrsprachigkeit fordert die Europäische Gemeinschaft von den Bürgern Europas in folgendem Sinne: Kenntnisse in zwei weiteren Gemeinschaftssprachen (neben der eigenen).
Die Gründe hierfür sind zahlreich: Entfaltung der Persönlichkeit, Kennenlernen anderer Arbeitskulturen, Förderung der persönlichen und beruflichen Mobilität, Nutzung der beruflichen Chancen in einem Europa ohne Grenzen, Beitrag zu gegenseitigem Verstehen und Verständnis sowie zur sozialen Kohäsion, Förderung der europäischen Identität, Entwicklung einer angemessenen Lebensqualität.
Das Ziel dieser Mehrsprachigkeit erscheint jedoch noch in weiter Ferne, zumindest in der Bundesrepublik Deutschland.
„Die einzelstaatlichen Regierungen sind noch sehr weit von dem gemeinsamen Ziel entfernt, das die Mitgliedstaaten auf dem Gipfeltreffen im Jahr 2002 in Barcelona festgelegt haben, dem Ziel, dass jeder Schüler zusätzlich zu seiner Muttersprache zwei weitere Sprachen erlernt.“ (Europäische Kommission, Bildung und Kultur, S. 5)
Die Aufzählung der Ziele, die mit dieser Mehrsprachigkeit verknüft sind, lässt erkennen, dass die traditionelle Unterscheidung von Allgemein- und Berufssprache problematisiert werden muss. Am Arbeitsplatz sind allgemeinsprachliche Unterhaltungen ebenso anzutreffen wie fachsprachliche Gespräche.
Berufsorientierte Tests enthalten viele Aspekte der Allgemeinsprache; Beispiel: Business English Certificates. Dort findet sich auch eine sehr vorsichtige Definition der Testgegenstände:
„to assess candidates to operate English in an international business environment“ (University of Cambridge, BEC, S. 3). Umgekehrt finden berufsorientierte Themen zunehmend, wenn auch zögerlich, Eingang in schulische Curricula (Beispiel: Lernplan Französisch im Saarland, 2008, S. 8), und die Lektüre einer Zeitung ist oftmals von hoher fachlicher Spezialisierung. Zur Vorbereitung auf das Sprachenlernen Erwachsener können Schulen dadurch beitragen, dass sie in die Strukturen einer Fachsprache (am besten anhand eines Beispiels) einführen; Kurse, in denen der Berufstätige nicht nur eine Sprache lernt, sondern auch die Merkmale einer Fachsprache kennenlernt, sind natürlich besonders effizient. Erwachsene, die sich für Sprachen im Hinblick auf berufliche Verwendung interessieren, sollten einige Leitlinien berücksichtigen:

  • Eine Sprache lernen, das ist eines; über dieses Lernen einer Sprache gleichzeitig einen Zugang zu einer Sprachfamilie erhalten, ist ein zweites. Wer Französisch (Spanisch, Italienisch) lernt, lernt nicht nur diese Sprache, sondern lernt schon ein Stückweit die anderen romanischen Sprachen mit; mindestens was das Verstehen von Texten angeht; für slawische Sprachen gilt Ähnliches. Intercomprehension ist der wissenschaftliche Terminus hierfür.
  • Es gibt eine lange Tradition, dass die Sprachen in Fächern nebeneinander her gelehrt und gelernt werden. Auch die Ausbildung von Lehrkräften ist nach Fächern organisiert. Im Menschen dagegen lässt sich beobachten, dass die gleichzeitigen Lernprozesse miteinander verknüpft sind. Durch Vergleiche mit anderen Sprachen kann man Sprachkenntnisse vertiefen; durch sogenannte falsche Freunde lassen sich Sprachkenntnisse festigen.

4. Qualitätsentwicklung
Der Erwerb von Sprachkenntnissen gehört in die allgemeine berufliche Förderpolitik, auch auf europäischer Ebene (CEDEFOP Info 2005, S. 5): „Übergreifendes strategisches Ziel der EU – und damit auch des Cedefop – im Bereich der beruflichen Bildung ist die lebenslange Kompetenzund Qualifikationsentwicklung.“ Es ist im Sinne der europäischen Zielsetzung, den Erwerb von Fremdsprachen in diesen Kontext einzubeziehen; dadurch bekommt auch das informelle Lernen eine weitere Dimension. Sprachkompetenzen haben daher ihren Platz im Europass, in den Maßnahmen der Qualitätssicherung, in den Bemühungen um Validierung informeller Qualifikationen, im europäischer Qualifikationsrahmen (EQF), im Leistungspunktesystem (ECVET). Entscheidend sind die europaweiten Beschlüsse im Rahmen des Kopenhagen-Prozesses. Wer nach Beispielen von konkreten, ausgezeichneten Projekten zur Förderung der Mehrsprachigkeit in Europa sucht, findet diese u. a. in der Zusammenstellung „Sprachen für Europa“ in Europäische Gemeinschaften, GD Bildung und Kultur (2007). Erwachsene, die ihrerseits die Qualität ihres Lernprozesses erhöhen wollen, können folgenden Fragen systematisch und kontinuierlich nachgehen:

  • Was will ich lernen? Fachliches, Kulturelles, Sprachliches, Nützliches, Politisches, Schönes, Lustiges, Aktuelles? Mündliches, Schriftliches? Kommunikatives?
  • Wie will ich es lernen? Vernetzen, verlinken, assoziieren, einordnen in Hierarchien; verknüpfen mit Muttersprache/anderen Sprachen; Wortfamilien, Reihen, Chunks; mündlich mit schriftlich kombiniert; mündlich und schriftlich je getrennt; kognitiv, imitativ, mit vielen Wiederholungen?
  • Wie viel Interesse, wie viel Zeit habe ich für das Lernen? Bin ich ein intensiver Lerner; Lernumgebung (Ruhe, abgelenkt); Hörprobleme? Vorkenntnisse: Kann ich Lautschrift lesen? Weiß ich, was Lernstrategien sind, wie man seine eigenen Leistungen einschätzt? Will ich das Lernen planen, spontan angehen, organisieren? Welche Lernerfahrungen ha be ich gemacht? Woraus erklären sich Erfolge/Misserfolge? Will ich mit anderen lernen? Zeitweise? Will ich Kontakte (z. B. direkt, elektronisch, telefonisch usw.) mit parallelen Lernern? Wie kann ich solche Kontakte herstellen? Wie will ich meine Lernbedürfnisse erkennen/auswerten/bewerten/kritisch analysieren? Will ich/kann ich institutionelles Lernen mit Selbstlernen kombinieren?
  • Welche Lernmedien stehen zur Verfügung (Lehrbuch, Übungsbuch, Vokabeltrainer, Grammatik, CDs, CD-ROMS, Videos etc.)? Zeitungen? Internet? Computer? Kann ich damit umgehen? Materialien zur Lernberatung? Selbsteinschätzungsmaterial? Kulturelle Informationsquellen?
  • Will ich Lernerfolge testen? Will ich meine Lernerfolge analysieren (z. B. für eine genauere Diagnose über Erfolge/Misserfolge/Defizite)? Will ich wissen, ob ich ein bestimmtes Niveau erreicht habe? Will ich wissen, wie ich im Vergleich zu anderen Lernern stehe? Weiß ich, wie man Selbsteinschätzungen durchführt/ interpretiert/auswählt/beschafft?
  • Brauche ich einen Lehrer? Zeitweise, regelmäßig, kontinuierlich, auf Anforderung? Was erwarte ich vom Lehrer? Was erwartet der Lehrer von mir?
  • Welches Ziel hat mein Lernen? Kann ich Lernziele definieren? Kann ich Fertigkeiten, Kompetenzen, Wissen unterscheiden?

An diese punktuellen Bestandsaufnahmen schließt sich folgende Überlegung an: Wie verbinde ich diese Merkmale miteinander, also z. B. wie kann ich (mit meinem Lernhintergrund) das Arsenal an methodischen Möglichkeiten so nutzen, dass ich ein bestimmtes, mir wichtig erscheinendes Ziel erreiche?
Oder: Wie muss ich aufgrund des vorgegebenen Lernmaterials mein Zeitbudget planen und die vorhandenen institutionellen Möglichkeiten optimal nutzen? Idealerweise könnte ich die erwähnten Faktoren allesamt in ein Bezugsfeld integrieren und dieses Feld mit seinen vielfältigen Bezugsmöglichkeiten zur Grundlage meiner Lernaktivitäten (Planung, Durchführung, Evaluierung) machen. Dieses Lernmodell, das der Planung und Evaluierung des Lernprozesses dienen und ihn begleiten kann, hat den Zweck, die Qualität des Lernens zu erhöhen.

Ausblick
Wie wichtig die Förderung von Sprachkenntnissen für die Länder Europas ist – und eingeschätzt wird –, das geht aus folgendem Zitat hervor: „Europa ist in Gefahr, den Kampf der Kompetenzen zu verlieren, da die Länder mit sich rasch entwickelnden Volkswirtschaften in Asien und Lateinamerika sehr schnell die Sprachkenntnisse und andere Kompetenzen erwerben, die für einen erfolgreichen Wettbewerb auf den Märkten von morgen erforderlich sind. Die Herausforderung besteht darin, Mehrsprachigkeit fest in allen Strategien zu verankern, die auf die Entwicklung des Humankapitals für die Zukunft abzielen.“ (Europäische Kommission, Bildung und Kultur, S. 8)
Wir haben in dieser Darstellung den Schwerpunkt auf den Bereich der Fremdsprachen gelegt. Wir möchten aber abschließend betonen, welch große Bedeutung Sprachkenntnisse für die Förderung der sozialen Kohäsion innerhalb unseres Landes haben. Zur Unterstützung zitieren wir:
„Mehrsprachigkeit ist auch ein Schlüsselelement der Integration und ermöglicht den interkulturellen Dialog. Mehrsprachigkeit kann dabei helfen, die Situation von Millionen von Zuwanderern in Europa zu verbessern und sie in den Arbeitsmarkt einzugliedern. Eine wirkungsvolle Unterstützung der Zuwanderer beim raschen Erlernen der Sprache ihres Aufnahmelandes ist eine Voraussetzung für den reibungslosen Ablauf von Arbeitsvorgängen. Eine bessere Kommunikation unter den Beschäftigten erhöht Effizienz, Qualität und Sicherheit – Schlüsselparameter jeder Produktion. Die Sprachkenntnisse zugewanderter Arbeitskräfte können für ein Unternehmen sehr nützlich sein, wenn sie aktiver genutzt werden. Diese Mitarbeiter sind als Kulturvermittler und im Rahmen der Vertriebsressourcen sehr wertvoll.“ (Europäische Kommission, Bildung und Kultur, S. 10)

Literatur
CEDEFOP – Europäisches Zentrum für die Förderung der Berufsbildung, CEDEFOP INFO 2 (2005). Thessaloniki: 2005.
Europäische Gemeinschaften, Generaldirektion Bildung und Kultur, Programm für lebenslanges Lernen: Sprachen für Europa. 30 Projekte zur Förderung des Sprachenerwerbs. Luxemburg: Amt für amtliche Veröffentlichungen der Europäischen Gemeinschaften, 2007.
Europäische Kommission, Beschäftigung und Soziales, Sozialpolitische Agenda 2005 – 2010. Luxemburg: Amt für amtliche Veröffentlichungen der Europäischen Gemeinschaften, 2005, S. 12.
Europäische Kommission, Beschäftigung und Soziales, Sozialagenda 16 (Februar 2008). Brüssel 2008.
Europäische Kommission – Bildung und Kultur, Sprachen und Geschäftserfolg: Wettbewerbsfähiger durch Sprachkenntnisse. Empfehlungen des Wirtschaftsforums bei der Europäischen Kommission. Luxemburg: Amt für amtliche Veröffentlichungen der Europäischen Gemeinschaften, 2008.
Kommission der europäischen Gemeinschaften, Memorandum über lebenslanges Lernen. Arbeitsdokument der Kommissionsdienstellen. Dokument SEK (2000) 1832. Brüssel 30. 10. 2000.
Saarland, Ministerium für Bildung, Gymnasiale Oberstufe Saar, Lehrplan für das Fach Französisch. Saarbrücken: 2008.
University of Cambridge, ESOL Examinations, Business English Certificates (BEC). Handbook for Teachers. Cambridge: University of Cambridge, 2008.
Verband Österreichischer Volkshochschulen, Europäisches Sprachenportfolio für Erwachsene. Wien (2007). Volkshochschulverband Thüringen, Europäisches Sprachenportfolio für Erwachsene. Ismaning: Hueber, 2007.